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'Mit Jagoda die anstehenden Reformen durchsetzen'

Meurer: Als der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit vergangene Woche die neuesten Arbeitslosenzahlen verkündete, da interessierten sich die Journalisten nur für eines: was wusste Bernhard Jagoda von den geschönten Statistiken seiner Behörde? - Die Bundesanstalt war und ist stark in die Kritik geraten. Der Bundesrechnungshof wirft ihr vor, 70 Prozent der angeblich geglückten Arbeitsvermittlungen seien zumindest zweifelhaft, also eher geschönt. Bevor Jagoda heute seinem Dienstherren Walter Riester in Berlin Bericht erstattet, stellte sich gestern der neunköpfige Vorstand der Bundesanstalt hinter seinen Präsidenten. Mitglied in diesem Vorstand ist Roland Issen, einst Chef der Deutschen Angestelltengewerkschaft. Guten Morgen Herr Issen!

    Issen: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Warum haben Sie sich gestern hinter den Präsidenten der Bundesanstalt gestellt?

    Issen: Wir haben in zwei Sondersitzungen des Vorstandes uns sehr intensiv mit der Situation in der Bundesanstalt für Arbeit befasst. Die Geschäftsführung, also auch der Präsident, haben zugegeben, dass es in der Vergangenheit Fehler gegeben hat, aber keine bewussten Manipulationen. Wir haben in zwei Sitzungen einen ganzen Katalog von Maßnahmen beschlossen, der mit dazu führen soll, dass solche Unzulänglichkeiten künftig nicht mehr möglich sind.

    Meurer: Nur Herr Issen der Vorstand selbst hat ja gestern festgestellt, dass es Fehler in erheblichem Umfang gegeben hat. Reicht das nicht für eine Entlassung oder Versetzung?

    Issen: Es gibt in der Definition dessen, was unter Vermittlungstätigkeit verstanden wird, zwischen dem Bundesrechnungshof, der ja diese Mängel festgestellt hat, und der Bundesanstalt für Arbeit unterschiedliche Interpretationen, die mit dazu geführt haben, dass die Statistik stark angezweifelt werden musste. Die Bundesanstalt für Arbeit zieht den Begriff der Vermittlungstätigkeit weiter als der Rechnungshof. Der Rechnungshof will nur akzeptieren, dass Vermittlungstätigkeit dann zu registrieren sei, wenn sie tatsächlich auch in ein Beschäftigungsverhältnis einmündet.

    Meurer: Wie finden Sie die Interpretation, die die Bundesanstalt selbst geleistet hat?

    Issen: Sie ist zumindest nicht eindeutig gewesen. Das lag aber weniger an den Mitarbeitern als möglicherweise an Weisungen, die die Geschäftsführung der Bundesanstalt für Arbeit ausgegeben hat, die widersprüchlich waren.

    Meurer: Also es lag am Präsidenten?

    Issen: Am Präsidenten und seinen engsten Mitarbeitern.

    Meurer: 1998 hat es Alarm von einem Revisor beim Landesarbeitsamt Rheinland-Pfalz/Saarland gegeben. Der sagt heute, es sei danach nichts geschehen. Geht das nicht auch auf die Kappe von Bernhard Jagoda?

    Issen: Die Bundesanstalt für Arbeit, das heißt der Präsident, hat schon angewiesen, dass diesen Vorgängen nachgegangen wird. Das ist dann irgendwo im Apparat ich will nicht sagen versickert, aber offensichtlich nicht mit der Priorität versehen worden, wie es unter normalen Umständen hätte sein sollen.

    Meurer: Stellt der Vorstand sich vielleicht deswegen, Herr Issen, hinter Jagoda, damit der Vorstand selbst nicht in die Kritik gerät?

    Issen: Nein. Der Vorstand ist ja ehrenamtlich besetzt und hatte bisher jedenfalls keinen Anlas daran zu zweifeln, dass die von der Verwaltung vorgelegten Statistiken nicht korrekt sind. Von daher ist der Vorstand durch den Bericht des Rechnungshofes ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit überrascht worden.

    Meurer: Muss der Vorstand sich vorhalten lassen, in der Vergangenheit zu wenig den Überblick gehabt zu haben?

    Issen: Nein. Der Vorstand ist darauf angewiesen, dass solche Fakten, die die Verwaltung ihm vorlegt, auch zutreffend sind. Der Vorstand mit neun Personen - Sie hatten es genannt - wäre gar nicht in der Lage, eine Mammutbehörde mit über 90000 Beschäftigten im Detail zu kontrollieren, sondern er muss sich da auf die Führung der Bundesanstalt verlassen. Da sind wir in einer ähnlichen Situation wie ein Aufsichtsrat in einem großen Unternehmen.

    Meurer: Das Image der Arbeitsämter ist ja erheblich angeschlagen durch diese Affäre. Was sagen Sie denn zu den Vorwürfen, die es jetzt in der Öffentlichkeit gibt, zum Beispiel von Bundesfinanzminister Hans Eichel, der sagt, die Bundesanstalt ist ein selbstzufriedener Apparat, oder von Oswald Metzger von den Grünen, der sogar von Hofschrankentum spricht?

    Issen: Ich finde das sind maßlos überzogene Kritiken, die auch nicht gerechtfertigt sind. Wenn man bedenkt, dass die Bundesanstalt für Arbeit gerade bei dem Wiedervereinigungsprozess wesentliche Arbeit geleistet hat, die mit dazu beigetragen hat, dass der Verlust von etwa einem Drittel der Arbeitsplätze in der früheren DDR faktisch ohne große soziale Unruhen und Auseinandersetzungen möglich war, auch wegen einer guten Betreuung, wegen des großen Engagements vieler Beschäftigter der Bundesanstalt für Arbeit. Diejenigen, die diese Kritik äußern, denen würde ich empfehlen, sich mal ein, zwei Tage in ein Arbeitsamt zu begeben und mit den Arbeitslosen dort zu reden und dann zu erleben, wie schwierig diese Arbeit häufig für die dort Beschäftigten ist.

    Meurer: Die Arbeitslosen und die Arbeitgeber sagen nicht, dass die Arbeitsämter sozusagen aufgeblähte Verwaltungsapparate sind?

    Issen: Nein. Es mag die eine oder andere Kritik geben, aber mein Eindruck ist der, dass viele, die sich in den letzten zwei Wochen mit harscher Kritik in der Öffentlichkeit bemerkbar gemacht haben, häufig wenig Sachkenntnis über die internen Abläufe in der Bundesanstalt für Arbeit hatten. Von außen lässt sich das natürlich sehr leicht und in einer Vorwahlkampf vielleicht auch noch mit anderen Motiven versehen kritisieren.

    Meurer: Besteht aus Ihrer Sicht also relativ wenig Bedarf an Reform der Bundesanstalt für Arbeit?

    Issen: Nein. Das haben wir als Vorstand so nicht gesagt. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen. Wir werden auch die gesamte Aufbau- und Ablauforganisation der Bundesanstalt für Arbeit unter Hinzuziehung auch von externem Sachverstand auf den Prüfstand stellen. Wir haben, so wie wir das in der Vergangenheit auch gemacht haben, vor, dort wo wir Reformnotwendigkeiten sehen sie auch durchzusetzen.

    Meurer: Ist Bernhard Jagoda der richtige Mann, um die Reformen durchzusetzen und umzusetzen?

    Issen: Ich denke ja. Bernhard Jagoda hat es geschafft, seine Mannschaft zu motivieren. Er hat einen kollegialen Führungsstil und die Zusammenarbeit zwischen der Selbstverwaltung und dem Präsidenten funktioniert.

    Meurer: Haben Sie noch Zweifel daran, wie sich heute Walter Riester in dieser Personalie entscheiden wird?

    Issen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass nach dem Vertrauensvotum, das der Vorstand gestern dem Präsidenten gegeben hat, der Bundesarbeitsminister zu einer Entscheidung gelangen könnte, die ein Weiterwirken von Herrn Jagoda in seiner jetzigen Funktion unmöglich machen würde.

    Meurer: Das war heute Morgen im Deutschlandfunk Roland Issen, Mitglied im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit. - Ich danke Ihnen, Herr Issen, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio