Donnerstag, 18. April 2024

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"Mit Polizeigewalt allein sind diese Protestbewegung nicht zu beheben"

Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, sieht im Vergleich zur Revolution in Ägypten andere Ausgangssituationen für die Regime-Proteste in Libyen, Jemen und Bahrain. So sei in Lybien die Armee keine Volksarmee wie in Ägypten und stehe unter der Kontrolle des Machthabers Gaddafi.

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Anne Raith | 19.02.2011
    Anne Raith: Über die Unruhen in Bahrain, Libyen und Jemen wollen wir nun sprechen mit Jürgen Chrobog, er war Staatssekretär im Auswärtigen Amt und ist heute Vorstandschef der BMW-Stiftung Herbert Quandt. Einen schönen guten Morgen!

    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Die Proteste möglichst schon im Keim zu ersticken - ist das die Konsequenz, die die Machthaber in Bahrain, Libyen und Jemen jetzt aus dem umstürzenden Ägypten und Tunesien ziehen?

    Chrobog: Das ist die Konsequenz, die die Machthaber dort zu ziehen versuchen, aber es wird ziemlich fehlschlagen. Wir haben in anderen Ländern bereits gemerkt, dass mit Polizeigewalt allein diese Protestbewegung nicht zu beheben ist, und je länger man zögert, desto instabiler wird die Lage, desto mehr werden die Leute natürlich den Aufruhr betreiben, und das kann eigentlich nur nach hinten losgehen.

    Raith: Aber gerade in Libyen wird ja mit aller Härte gegen Demonstranten vorgegangen, und Revolutionsführer Gaddafi hat sich jetzt bei einer Autofahrt bejubeln lassen. Heißt das, dass er derzeit noch fest im Sattel sitzt?

    Chrobog: Nein, ich glaube nicht, dass er fest im Sattel sitzt, aber er hat immer noch die Sicherheitskräfte hinter sich, er hat das Geld, er kann auch die Regierungskräfte gegen die Demonstranten mobilisieren. Er ist zwar angeschlagen, aber noch nicht ganz schwach, aber die Macht liegt doch beim Staat, aber wir haben ja gesehen in Ägypten: Wenn die Massen wirklich aufstehen, dann kann diese Macht auch nicht mehr so viel ausrichten.

    Raith: Im Vergleich mit Ägypten, welche Rolle spielt denn das Militär oder spielen die Sicherheitskräfte in Libyen? Wäre das da denkbar, dass sich Ähnliches abspielt wie in Ägypten und das Militär dann kurzfristig die Macht übernimmt?

    Chrobog: Ich glaube, die Lage ist sehr unterschiedlich, ich glaube, dass der Machtapparat doch geschlossener ist dort. In Ägypten, das Militär ist eben ja doch eine Volksarmee gewesen, die Soldaten hätten auf ihre Landsleute nicht geschossen, und das hat auch die Generalität dort einsehen müssen und ist deswegen auch eingeknickt am Ende. Das sieht in Libyen anders aus, da hat doch Gaddafi in den vielen Jahrzehnten, die er an der Macht ist, es so durchsetzt und so unter Kontrolle gebracht, also ich glaube, es wird sehr viel schwerer sein, dort den Umsturz durchzuführen als in Ägypten.

    Raith: Gaddafi soll ja auch seine Söhne in die Zentren der Proteste gesandt haben. Ist das schon ein Zeichen von erster Unsicherheit, oder will er noch einmal Macht demonstrieren, was lesen Sie daraus?

    Chrobog: Ich vermute, er demonstriert Macht. Nun ist sein ältester Sohn ja immer etwas mehr auf der progressiven Seite gewesen und hat sich manchmal sogar von seinem Vater distanziert, aber das wird ihn auch nicht mehr retten heutzutage: Die Gaddafi-Familie muss weg, und das ist eindeutige Botschaft des Volkes.

    Raith: Libyen ist ein wichtiger Ölproduzent und Libyen ist auch ein wichtiger Partner der EU, was die Flüchtlingspolitik betrifft. Wie groß ist denn hier die Gefahr, die Fehler der Vergangenheit mit Blick auf Ägypten zu wiederholen und eben doch wieder auf Stabilität zu setzen, also auf Gaddafi?

    Chrobog: Ich weiß nicht, ob wir es tun. Aber es ist schon ein großes Problem, im Sinne oder in der Hoffnung, Stabilität zu wahren, setzen wir manchmal zu lange auf die eigenen Kräfte, und je länger die an der Macht sind, je mehr das Volk gegen sie aufsteht, desto instabiler wird die Lage. In Ägypten hätten wir auch uns schon eher distanzieren können und uns eher auf die Seite der Demonstranten schlagen können, denn je länger diese Dinge dauern, desto stärker wird die Revolution, desto stärker auch die Gewalt im Ergebnis natürlich, weil es das letzte Mittel sein wird aufseiten der Demonstranten, desto gefährlicher wird es am Ende und desto instabiler und unsicherer auch für uns.

    Raith: Aber haben Sie denn den Eindruck im Moment mit Blick auf Libyen, dass die westlichen Regierungen gelernt haben?

    Chrobog: Ich weiß es nicht, und bei Libyen fällt es eigentlich jedem leichter, sich von Gaddafi zu distanzieren, denn er ist ja nun wahrlich, wenn man von Berlusconi absieht, nicht gerade der große Freund unserer Länder. Ich glaube schon, dass man erstens gelernt hat, zweitens aber auch der Umgang mit Gaddafi doch sowieso so viel kritischer ist, dass die Kurve hier vielleicht leichter genommen werden kann dort.

    Raith: Aber mit Blick auf die Flüchtlingspolitik ist Gaddafi natürlich ein wichtiger Partner der EU, der sozusagen die Flüchtlinge von der europäischen Küste fernhält.

    Chrobog: Das ist völlig richtig, und der Flüchtlingsstrom wird natürlich sich ausweiten, und Gaddafi wird auch dieses Mittel einsetzen: Er wird also mehr Flüchtlinge durchlassen, und ??? Probleme haben, aber diesem Flüchtlingsstrom werden wir uns sowieso stellen müssen in der Zukunft, also wir werden sehr genau überlegen müssen, was machen wir in der Zukunft, einfach um das zu verhindern? Da reicht eben auch nicht nur Einsatz von Schiffen und Gewalt, um das zu verhindern. Wir müssen eben jetzt wirklich ein Programm auflegen, wie wir in diesen Ländern auch langfristig tätig werden, um diese Bedingungen für die Menschen zu verbessern.

    Raith: Glauben Sie denn, dass mit mehr als Appellen zu rechnen ist vonseiten Deutschlands, vonseiten der Europäischen Union?

    Chrobog: Ja, was sollen wir mehr tun, ich meine, Einfluss haben wir nicht. Libyen ist reich, wir können nichts sperren, Waffen liefern wir eh nicht, also wir haben wenig Druckmittel.

    Raith: Die amtierende Bundesregierung ist ja nicht die erste, die da in einer Art moralischem Dilemma ist. Sie haben, wenn ich Sie zitieren darf, jedem der nahöstlichen Despoten, deren Regime jetzt wanken, im Auftrag Ihres Dienstherren damals schon die Hand geschüttelt. Die Bredouille können Sie also eigentlich nachvollziehen.

    Chrobog: Ja, das war etwas ... eine ironische Bemerkung von mir. Wir haben 30 Jahre und noch länger natürlich mit diesen Regierungschefs dort zusammengearbeitet, aber ich warne so ein bisschen davor, jetzt eine Realpolitik lächerlich zu machen und sagen, das ist doch alles moralisch falsch. Wir haben große Sicherheitsinteressen, nicht nur Wirtschaftsinteressen, auch Sicherheitsinteressen in dieser Region zu wahren gehabt. Nehmen Sie mal Ägypten, Mubarak hat für den Friedensprozess gestanden, er hat den Friedensvertrag mit Israel gemacht, er war ein Partner, ein wichtiger Partner, hat ja in dem Bereich auch unglaublich viel geleistet. Und jetzt gleich alles so fallen zu lassen oder wann sagt, schon von vor zehn Jahren fallen zu lassen, hätte natürlich zu gewaltigen Verwerfungen geführt und vielleicht zu mehr Krieg in der Region. Das kann auch nicht in unserem Interesse sein. Also wir müssen ein bisschen darauf achten, was ist in unserem Interesse, was noch moralisch zu verantworten ist. Das ist eine sehr enge oder sehr, sehr scharfe Grenze, die wir ziehen müssen, aber es ist alles nicht so leicht.

    Raith: Sie haben eben schon die Sicherheitsinteressen in der Region angesprochen. Lassen Sie uns in den Jemen blicken, in den ärmsten Staat der Golfregion, wo Sie vor sechs Jahren entführt wurden. Hier halten die Proteste ja schon seit Tagen an. Welche Perspektive hat denn der Wunsch nach Freiheit in diesem fragilen Staat?

    Chrobog: Also ich glaube, dass Jemen vielleicht das gefährlichste Land ist überhaupt. Das Land ist wirtschaftlich am Ende, in zehn Jahren gibt es kein Grundwasser mehr im Jemen, Ölreserven sind ausgeschöpft. Das Land ist entsetzlich arm, die Bevölkerung liegt mit den jungen Leuten bis 25 Jahren über 50 Prozent, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, das habe ich selber damals erfahren, als ich da war sogar. Das wird schlimm, und der Präsident hat sowieso nur Macht eigentlich in der Hauptstadt Sanaa, und dann gibt es Abspaltungstendenzen im Süden, was den ehemals südlichen Staat angeht, dann im Norden. Al-Qaida ist ungeheuer stark in der Region, und Jemen könnte zu einem, was wir immer Failed State nenne, werden, also ein Staat, der auch keinen Zusammenhalt mehr hat, der unberechenbar wird, und die Terrorgefahr vom Jemen wird in der Zukunft steigen. Hier sehe ich eigentlich die größte Gefahr, auch für unsere Sicherheit direkt.

    Raith: Und was heißt das im Umkehrschluss für die Politik des Westens? Soll man einen Wandel unterstützen, an dem das Land möglicherweise zu zerbrechen droht?

    Chrobog: Ich glaube, international hätten wir viel mehr machen müssen in der Vergangenheit, das ist jetzt heute leicht zu sagen, nicht wir in Deutschland allein, sondern überhaupt die Staatengemeinschaft, auch die Amerikaner, viel weniger Militärhilfe, viel mehr setzen auf Stabilität, auf Ausbildung, auf Aufbau der Wirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen, denn so kann es nicht weitergehen. Der Staat verfällt mangels Perspektiven für die Menschen.

    Raith: Wollte man da in der Vergangenheit lieber den Deckel auf dem Pulverfass halten? Weil man wusste ja, dass sich im Jemen Gefahr zusammenbraut in Form von Al-Qaida. Es hat ja immer wieder Anschläge gegeben.

    Chrobog: Das war bekannt. Die Amerikaner haben versucht, mit Machtmitteln dem zu begegnen. Das funktioniert auf die Dauer nicht. Jemen ist ein Land, das als Staat der Stämme besteht, und man muss an diese Stämme herangehen, muss versuchen, dort zu helfen, dort auch die Stammesführer dazu zu bewegen, sich von Al-Qaida zu trennen und den eigenen Aufbau zu fördern. Es ist sehr, sehr schwierig, vielleicht ist die Sache schon zu spät inzwischen, aber ich glaube schon, dass man sehr viel mehr im wirtschafts- und entwicklungspolitischen Bereich hätte tätig werden müssen und weniger im militärischen, wie es die Amerikaner über Jahrzehnte getan haben.

    Raith: Werden die Stammesführer, die Sie angesprochen haben, denn das Machtvakuum nutzen, sollte die Regierung ins Wanken kommen?

    Chrobog: Jemen ist ein außerordentlich korruptes Land. Der Staat hat nur so lange zusammengehalten, wie Saleh der Präsident der Lage war, auch die Stammesführer zu finanzieren. Im Grunde hängt dort Loyalität ab, davon ab, welcher Preis gezahlt wird von der Regierung. Wenn das Geld nicht mehr vorhanden ist, driften die Stammesführer weg, machen ihre eigene Politik, die ist völlig korrupt, auch unter Missachtung der Menschenrechte wird dort Politik gemacht, also ich bin hier sehr, sehr pessimistisch.

    Raith: Über die Proteste im Jemen und in Libyen Jürgen Chrobog, der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, er ist heute Vorstandschef der BMW-Stiftung Herbert Quandt. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Chrobog: Gerne, guten Morgen!