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Mitgliederbegehren in der SPD

Lange: Der Haussegen hängt schief in der SPD. Da haben die Kritiker der Reformpläne von Bundeskanzler Gerhard Schröder nun schon einen Sonderparteitag durchgesetzt, und nun geben die immer noch nicht Ruhe. Ein Mitgliederbegehren wollen sie einleiten, eine Abstimmung der Parteibasis über die Agenda 2010, und davon hat sie gestern auch Franz Müntefering, der Chef der Bundestagsfraktion, nicht abbringen können. Der ist nun erkennbar verärgert und rückt die Neuen in die Nähe von Verschwörern. Die wiederum nehmen übel, dass auf dem Sonderparteitag die Abstimmung über Schröders Reformpläne mit einer Vertrauensfrage verbunden werden soll. Historisch bewanderte Genossen warnen die Partei nun vor einer Situation wie 1982, als sie dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt die Unterstützung verweigerte. 16 Jahre Opposition waren bekanntlich die Folge. Über den Richtungsstreit bei den Sozialdemokraten sprechen wir nun mit Professor Peter Glotz, in den 80er Jahren SPD-Bundesgeschäftsführer und heute Kommunikationswissenschaftler in St. Gallen. Guten Morgen Herr Glotz!

    Glotz: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Glotz, ist Gerhard Schröder nun ähnlich gefährdet wie seinerzeit Helmut Schmidt?

    Glotz: Nein, das glaube ich nicht. Der damaligen Debatte sind ja doch Jahre vorhergegangen, Friedensbewegung, die große Auseinandersetzung mit Erhard Eppler und großen Teilen der evangelischen Kirche. Das war eine ganz andere tiefgehende Bewegung, während es jetzt sicherlich eine Opposition ist. Es wird auf diesem Parteitag vermutlich erbitterte Detaildebatten geben, ob es nun zur Identität der Sozialdemokraten gehört, ob Sozialhilfe etwas anderes ist als Arbeitslosenhilfe und so weiter. Da wird man Entscheidungen treffen. Ich denke aber man wird den Kanzler stützen und ich meine jeder muss sich klar sein: Wer einen Sonderparteitag gefordert hat, hat es auch so zugespitzt, dass es jetzt um die Vertrauensfrage für Schröder geht. Denn wenn der da verlieren würde, müsste er selbstverständlich seinen Hut nehmen. Anders ginge das nicht.

    Lange: Aber die Sozialdemokraten haben damals ja im Grunde auch schon mal aus Angst vor dem Tod politischen Selbstmord begangen. Es war ja nicht nur die Nachrüstung, die da eine Rolle spielte?

    Glotz: Nein, es war natürlich auch die Sozialpolitik, aber wissen Sie da war die Entscheidung ja in einem wesentlichen Punkt in der Hand der FDP. Schmidt hat dann zwar antizipatorisch diese FDP-Minister hinausgeschmissen und dadurch hat er noch ein paar Landtagswahlen gewonnen. Die SPD hat ein paar Landtagswahlen gewonnen. Das war sicher taktisch eine richtige Entscheidung. Aber de facto sagte sich die FDP, wir halten es an der Seite der SPD nicht mehr aus. Wenn wir da bleiben, verlieren wir unsere Wählerschaft. Bei uns geht es um ein, zwei Prozent; dann sind wir weg vom Fenster. Wir müssen jetzt wechseln! Das war die Grundentscheidung, die die Führung der FDP getroffen hatte. So etwas gibt es bei den Grünen heute nicht.

    Lange: War denn Gerhard Schröder gut beraten, als er letzten Monat diese "so und nicht anders"-Rede im Bundestag hielt, ohne vorher die Partei gründlicher einzubeziehen?

    Glotz: Ich glaube er hat mit all den Gremien, die ihm erreichbar sind, also mit der Fraktion insbesondere und auch mit den Gruppen der Fraktion, ausführlich gesprochen. Sie müssen sich klar machen: wenn ein Sozialdemokrat solche Dinge für notwendig hält, ein sozialdemokratischer Kanzler, die natürlich für die Tradition der sozialdemokratischen Sozialpolitik tief eingreifend sind, dann helfen auch Hunderte weitere Gespräche nicht. Dann spitzt sich das irgendwann auf eine Auseinandersetzung zu. Nein, ich denke nicht, dass er schlecht vorbereitet hat. Die Grundfrage ist, ob all diese Einzelheiten, die er dann dort vorgeschlagen hat, hart genug sind, ob er zu denen stehen kann. Ich glaube aber, dass er sich durchsetzen wird.

    Lange: Sie sagen, der Bundeskanzler hat mit der Fraktion geredet. Hat denn auch der Parteivorsitzende mit seiner Partei geredet, denn es steht ja immer der Vorwurf im Raum, dass Schröder diese Partei im Grunde nie so richtig wahrgenommen hat?

    Glotz: Er ist sicher nicht so ein Mann der sozialen Bewegung, wie das als letzter Brandt war. Das muss man sehen. Brandt hatte in der Tat ein Feeling dafür, wann er Hermann Heilmann anrufen musste - das war der Vorsitzende des größten Bezirkes westliches Westfalen - und wann er mit den Jusos reden musste. Das mag bei Schröder schwächer entwickelt sein. Aber ich denke er hat, seitdem er Parteivorsitzender ist, guten Willen gezeigt und er kennt die Partei jetzt auch besser, als er sie früher kannte. Man muss ja wissen, dass er gegen die Partei Spitzenkandidat wurde, und das letztlich nur durch eine Entscheidung Lafontaines. Wenn der nicht gewollt hätte, wäre Schröder nicht an die Spitze gekommen. Wissen Sie, die Partei ist ja nicht in Berlin. Sie ist nicht vor Ort. Da kann man nicht hingehen, sondern jetzt versuchte man ja schon, vier Regionalkonferenzen zu machen. Bemühungen sind also da durch Olaf Scholz und die Verantwortlichen schon gemacht worden, aber dass das letztlich zu einem "Show down" drängt und dass die Partei selbst das ja verlangt hat, denken Sie an Schleswig-Holstein am vorigen Wochenende, das ist nicht verwunderlich.

    Lange: Nun sehen wir eine programmatisch - ich sage es mal so - mehr oder weniger ausgezehrte Partei, die von der Union auch vor sich hergetrieben wird, und nun zieht man ihr auch noch den letzten programmatischen Zahn, diese soziale Gerechtigkeit nach traditioneller Art der Umverteilung. Das soll es nun nicht mehr geben. Dieser Konflikt war doch vorauszusehen oder nicht?

    Glotz: Ihre Darstellung halte ich nicht für richtig. Jeder mittlere McKinsey-Berater aus der Provinz kann Ihnen ausrechnen, dass die Rentenversicherung pleite ist, wenn sie nicht irgendwann Einnahmeverbesserungen oder Kostensenkungen machen. Darauf muss eine Regierung reagieren. Die Identität der SPD besteht darin, dass sie den europäischen Sozialstaat sichert, dass sie ein soziales Netz sichert. Aber wenn das Netz so teuer ist, dass in dem Zirkus die Artisten anschließend keine Gage mehr bekommen, dann ruiniert das den ganzen Zirkus.

    Lange: Friedhelm Fartmann, ehemaliger Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, sprach kürzlich hier bei uns im Programm von einer Jahrhundertwende in der Programmatik der SPD. Hat er damit Recht?

    Glotz: Ja, die ist glaube ich notwendig. Es gibt so ein paar heilige Kühe und einige von denen müssen in der Tat geschlachtet werden. Daran kann kein Zweifel sein. Ich glaube aber nicht, dass Operationen notwendig sind, aus denen eine neue SPD hervorgeht, die die Identität der SPD verändern. Die SPD ist schon sozusagen die Schutzmacht der "kleinen" Leute, der Durchschnittsverdiener, die nicht das dicke Geld haben, und zwar unabhängig davon, ob sie Arbeiter sind oder nicht. Die Arbeiterpartei kann sie längst nicht mehr sein aufgrund der sozialstrukturellen Entwicklung, und das kann sie auch bleiben, auch mit diesem Programm, das Schröder jetzt vorgelegt hat. Jetzt wird natürlich das passieren, was immer passiert. Das heißt der Parteitag wird an irgendwelchen Detailpunkten sagen nein, im übrigen das alles akzeptieren. Dann wird Frau Merkel eine Pressekonferenz geben und sagen, Schröder ist umgefallen. So ist halt deutsche Politik. Aber das wird Schröder auch noch überleben!

    Lange: Herr Glotz, wenn ich mich daran erinnere, was es für Aufstände gab, wenn die alte Koalition minimale soziale Korrekturen vornehmen wollte wie zum Beispiel Karenztage im Krankheitsfall und ähnliches, wenn ich das zusammennehme mit der Linie, die Gerhard Schröder nun vorgibt, die nun die richtige ist, für die es keine Alternative gibt, hat sich dann die SPD als Opposition und seit 1998 als Regierungspartei nicht doch jahrelang an diesem Land versündigt?

    Glotz: Der Begriff "an dem Land versündigt" ist mir zu theologisch, aber ich meine ich habe schon am Ende der sozialliberalen Koalition gemeinsam mit Günter Verheugen versucht, einige dieser sozialpolitischen festgefahrenen Positionen aufzulockern, um die damalige Koalition zu retten, und wir sind gescheitert. Wenn sie uns damals gefolgt wären, hätte es Schröder jetzt sehr viel leichter. Wenn Sie das sagen wollen, haben Sie Recht.

    Lange: Auffällig ist ja, dass nun Parteilinke und rechte Traditionalisten dort zusammenfinden, die sich sonst eher wenig zu sagen haben. Bringt das nicht eine besondere Qualität in diese Auseinandersetzung?

    Glotz: Wissen Sie diese Gruppen waren zu meiner Zeit richtig stark. Die waren organisiert und es war wirklich so: Wenn Sie mit Harry Ristock redeten, konnten Sie einigermaßen sicher sein, dass die Linke dazu steht, und wenn Sie mit Heinz Runau redeten, konnten Sie einigermaßen sicher sein, dass die Rechte steht, auch nicht hundertprozentig, aber dann doch ziemlich. Heute ist das ein völlig zerfaserter Haufen und manch einer rechnet sich aus irgendwelchen Gründen zur Rechten oder zur Linken, ohne dass das eigentlich noch viel bedeutet. Sozialpolitik ist natürlich immer das Thema, das den Kern, die Mehrheit der SPD, die MSP, wie man in den 20er Jahren gesagt hat, betroffen hat. Das hat schon der Kanzler Hermann Müller erleben müssen. Deswegen ist das nicht nur ein Thema der Linken. Die Grundfrage ist eben doch: ist die SPD bereit, sozusagen ihre Regierungsfunktion zu opfern, jetzt, mitten im Fluss. Da glaube ich, dass sie inzwischen Machtinstinkt genug hat, dass das in der Tat für lange Zeit die Opposition bedeuten würde, und die Opposition liegt noch nicht so lange zurück, dass nicht ein großer Teil der Bundestagsfraktion wissen würde wie das war.

    Lange: Das heißt, wenn Sie eine Prognose wagen, Gerhard Schröder wird diese Geschichte am Ende mehr oder weniger mit Blessuren überstehen?

    Glotz: Ja. Meine feste Überzeugung ist: die werden an der einen oder anderen Stelle, dem einen oder anderen Detail sagen, das darf nicht sein, werden aber insgesamt dem Programm und dem Bundeskanzler das Vertrauen aussprechen, so dass die Regierung dann freie Hand hat, das zu machen was sie im Prinzip machen will und für richtig hält, und auf die eine oder andere Verzierung kommt es ja nun wirklich nicht an, sondern es kommt auf die Grundtendenz an.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Peter Glotz, der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer. - Vielen Dank für das Gespräch, Herr Glotz, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio