Engels: Herr Mittler, Sie sind schon so lange im Finanzgeschäft. Können Sie sich je erinnern, dass die Bundesregierung je so deutlich Druck auf eine Personalie der deutschen Bundesbank ausgeübt hat?
Mittler: Ich weiß nicht, ob es in dieser Frage auf mein Erinnerungsvermögen ankommt. Ich kenne Ernst Welteke zunächst einmal seit vielen Jahren. Wir waren noch gemeinsam als Finanzminister - er für Hessen, ich für Rheinland-Pfalz - in der Finanzministerkonferenz tätig, er von 1991 bis 1995 und ich kam dann ab 1993 dazu. Ich habe ihn als einen außerordentlich sachkundigen und auch integeren Kollegen kennen gelernt, der immer wusste wovon er sprach. Er ist ja auch ein starker Bundesbankpräsident. Dies kommt ja in den Erörterungen dieser Tage kaum noch vor.
Engels: Der starke Bundesbankpräsident. Höre ich da heraus, dass Sie eigentlich die Entscheidung der Bundesbank teilen, dass Welteke die Amtsgeschäfte nur vorerst ruhen lassen sollte?
Mittler: Ich habe das nicht zu kommentieren. Der Vorstand der Bundesbank hat dies aus eigener Kompetenz, aus eigener Zuständigkeit beschlossen. Die Bundesregierung hat das kommentiert. Das steht jeweils für sich. Das muss unsereiner nicht noch eigens kommentieren.
Engels: Nun besteht ja die Gefahr, dass dieser anhaltende Kampf, wer immer auch Recht haben mag, die Bundesregierung mit ihrer Haltung, Welteke doch bitte eher zu entlassen, oder der Bundesbankvorstand, langsam die deutsche Finanzpolitik beschädigt. Sehen Sie die Gefahr?
Mittler: Na ja, so schnell wird die deutsche Finanzpolitik nicht beschädigt. Sicher ist jedoch richtig, dass die Auseinandersetzung, die seit einigen Tagen aktuell geführt wird, dem Amt des Präsidenten und der Institution Bundesbank sicher nicht gut tut. Dies ist gewiss so.
Engels: Das heißt doch ein schneller Rücktritt Weltekes, um das Amt zu schützen?
Mittler: Nein. Ich werde von hieraus natürlich keine Empfehlungen geben. Das ist nicht meine Aufgabe. Insbesondere werde ich nicht hinter Ernst Welteke hinterhertreten.
Engels: Die "Bildzeitung" berichtet aber heute über mögliche weitere Reisen Weltekes zum Wiener Opernball, die von Banken bezahlt worden sein sollen. Da stellt sich ja wirklich langsam die Frage, ob das eine Dauergeschichte wird?
Mittler: Das ist in der Tat die Gefahr, aber wie gesagt Ernst Welteke ist ein Mann mit hohem Verantwortungsbewusstsein. Ich kann mir an dieser Stelle nicht seinen Kopf zerbrechen.
Engels: Nun ist Ernst Welteke - wir haben es ja gehört - bislang auch äußerst kritisch mit dem Kurs von Finanzminister Hans Eichel umgegangen. Sie haben selber gesagt, er sei ein starker Bundesbankpräsident. Ist dieser Druck aus Berlin, ihn abrufen zu wollen, auch vor allem politisch motiviert?
Mittler: Das kann ich mir nicht vorstellen. Dass es zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank immer Spannungen gibt, auch zu allen Zeiten gegeben hat, ganz gleich wer Bundesfinanzminister war, ganz gleich wer Bundesbankpräsident war, das liegt in der Natur der Sache, weil beide ihre eigenen Sichtweisen haben in Bezug auf Sachverhalte, insbesondere dann, wenn es um Währungsstabilität geht, wenn es noch etwas konkreter um die Beachtung der Maastricht-Kriterien geht. Ein im Verhältnis zur Politik der Bundesregierung sich stromlinienförmig verhaltender Bundesbankpräsident wäre gewiss falsch an seinem Platz. Da wird es immer zu Spannungen kommen. Das muss auch so sein und das muss Politik auch aushalten, ohne dass dies in persönliche Konfliktsituationen hineinführt.
Engels: Sie haben das Spannungsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesbank angesprochen. Deshalb kann auch die Bundesregierung den Bundesbankpräsidenten vorschlagen, ihn aber normalerweise nicht entlassen. Haben wir aber auf der anderen Seite vielleicht doch eine Gesetzeslücke? Braucht es eine unabhängige Kontrollinstanz des Verhaltens des Bundesbankpräsidenten?
Mittler: Das weiß nicht, ob es da eine Kontrollinstanz geben muss. Aber die aktuelle Diskussion zeigt jedenfalls, dass es offensichtlich eine Lücke gibt. Wenn dies so sein sollte - die Juristen streiten ja noch, aber die streiten immer -, dann wird man, wenn der Rauch dieser Tage sich einmal verzogen haben wird und der Nebel sich gesetzt haben wird, hinschauen, ob es dort gesetzlichen Regelungsbedarf gibt. Der Meinung bin ich schon.
Engels: Haben Sie eine Idee, wer das machen sollte? Möglicherweise der Bundestagsfinanzausschuss?
Mittler: Nein. Wenn es zu einer gesetzlichen Regelung käme, dann wäre es denke ich Sache der Bundesregierung, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einzubringen, an dem dann Bundestag und Bundesrat wie in anderen Fällen auch zu beteiligen wären.
Engels: Das heißt es wäre nicht ausgeschlossen, dass dieses Kontrollgremium ein parlamentarisches sei?
Mittler: Ein Kontrollgremium sehe ich nicht. Man muss klare Regelungen schaffen, was geschieht im Falle X, wenn die Situation Y eintritt.
Engels: Gut! Dann benennen wir X und Y. Was passiert, wenn sich ein Bundesbankpräsident unbotmäßig verhält, nenne ich es mal vorsichtig? Wer soll dann entlassen können?
Mittler: Wie gesagt, ob eine Gesetzeslücke besteht, darüber wird ja zur Zeit unter den Gelehrten gestritten. Wenn es so sein sollte, dann muss sie geschlossen werden und wie sie geschlossen wird, das wird dann das Ergebnis eines entsprechenden Beratungsprozesses der gesetzgebenden Körperschaften sein. Das muss ich jetzt nicht aus dem Stand heraus beantworten.
Engels: Blicken wir auf die Bedeutung der Bundesbank. Seit Einführung des Euro ist ja die Währungshoheit auf die europäische Zentralbank übergegangen. Die Bundesbank wurde schwächer. Schwächt sie dieser Skandal nun weiter und wird sie dann irgendwann zur eigenen Abschaffung führen?
Mittler: Da bin ich ganz sicher, dass das nicht geschehen wird. Natürlich hat die Bundesbank durch die Einführung der Währungsunion und durch den Übergang insbesondere des bedeutenden Kompetenzfeldes Geld- und Währungspolitik auf die europäische Ebene Kompetenzen verloren. Deswegen ist ja auch eine Antwort im nationalen Rahmen gefunden worden durch eine Neustrukturierung der Bundesbank. Das alte Direktorium gibt es nicht mehr mit der starken Stellung der Landeszentralbankpräsidenten im obersten Leitungsgremium, sondern es gibt einen Vorstand. Es gibt die Regionaldirektionen in den Ländern, die aber der Weisungsbefugnis des Vorstandes unterliegen. Insoweit denke ich ist dort eine klare Regelung getroffen worden, die ich - allerdings im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen - zu einem sehr frühen Zeitpunkt für notwendig gehalten habe. Klare Strukturen mit einem durchgehenden Entscheidungsstrang!
Engels: Klare Strukturen! - So weit Gernot Mittler, der Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Er gehört der SPD an. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Mittler: Ich danke auch!