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Mittler zwischen Deutschland und Frankreich

Der Politologe Alfred Grosser hat die deutsch-französische Verständigung schon sehr früh zu seiner Sache gemacht. 1975 wurde der Autor zahlreicher Sachbücher dafür mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Von Jochen Stöckmann |
    Einen Namen hat sich Alfred Grosser schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs gemacht, er gilt seither als der Mittler zwischen Deutschland und Frankreich. Aber noch immer wird der am 1. Februar 1925 in Frankfurt/Main geborene und 1933 mit den Eltern nach Frankreich emigrierte Publizist nach seiner "Identität" gefragt. Ein überflüssiges, für Grosser ärgerliches Ansinnen im zunehmend geeinten Europa:
    "Mein Vater war Kinderarzt in Frankfurt, Kriegsteilnehmer, EK I-Träger, Freimaurer und israelitischer Konfession - wie es in seinen Papieren stand. Hitler hat aus ihm nur den Juden gemacht."

    Die Suche nach der einen, der nationalen Identität ist Grosser nicht geheuer. Zu groß scheint ihm die Gefahr, dabei die Anderen, die Nachbarn oder Mitbürger, auf bestimmte Merkmale zu reduzieren, die Vielfalt ihrer Verhaltensweisen auszublenden. Deshalb meidet der in Paris ausgebildete Politologe auch jede pathetische Überhöhung, wenn es um die eigene Lebensgeschichte geht, etwa um seine Beteiligung am französischen Widerstand gegen das deutsche Besatzungsregime:
    "Ich habe ja nicht gegen Hitler Widerstand geleistet, Hitler hat mich verfolgt. Also: Meine Lage war einfach klar."

    Wer nur über die eigenen Leiden klagt, verbaut sich jede Möglichkeit, die Erinnerung für die Zukunft produktiv zu machen. Das hat Alfred Grosser in seinem jüngsten Buch unterstrichen, "Von Auschwitz nach Jerusalem", eine Bestandsaufnahme der deutsch-jüdischen Geschichte, verbunden mit der aktuellen Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Noch immer stellt sich der umtriebige Vortragsredner "gegen den Strom", wie es bereits 1975 im Titel seiner Studie über "Aufklärung als Friedenspolitik" hieß. Hinzu kommt seine Abneigung gegen vorschnelle Urteile, etwa im Fall Werner Höfer: Wegen eines 1943 verfassten Beitrags für das NS-Propagandablatt "Das Reich" musste der deutsche Fernsehjournalist 1987 seinen "Internationalen Frühschoppen" aufgeben - an den Grosser nur beste Erinnerungen hatte:

    "Er stellte uns alle vor - Alfred Grosser, geboren in Frankfurt. Und dann fuhr Werner Höfer fort: 'Wir feiern heute 'Tag der deutschen Heimat'' - das war zu einer Zeit, wo die Vertriebenen, die Landsmannschaften noch sehr stark waren – 'ich möchte nur daran erinnern, dass die Vertreibungen nicht 1945, sondern 1933 begonnen haben.' Das war 1956 sehr verdienstvoll."

    Diese geistige Unabhängigkeit hat Grosser stets zu fördern gesucht. 1948 bereits hatte Grosser das "Comité Français d'Echanges avec l'Allemagne Nouvelle" gegründet:

    "D'échange - Austausch mit einem neuen Deutschland. Nicht Bevormundung, nicht wieder Erziehung - wir waren auch nicht 'gut'! Aber man konnte versuchen, sich mitverantwortlich zu fühlen für das, was im Nachbarland vor sich ging."

    Als Lehrer an der Pariser "Sciences Po", einer Kaderschmiede für Frankreichs politische Elite, bewegte sich Grosser im Zentrum der Macht. Beeindrucken ließ er sich davon nicht, wie seine Rede zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1975 beweist: Da wendet sich der politisch konsequente Moralist gegen absolutes Staatsvertrauen, ruft dazu auf, die Verteidigung der Grundrechte selbst in die Hand zu nehmen. Notfalls auch gegen einen Staat, der mit einem "Radikalenerlass" Berufsverbote gegen sogenannte "Extremisten" verhängt.

    "Durch diese ganze Diskussion steht bereits Willy Brandt als Radikaler da. Es werden schon als Radikale verdächtigt Leute, die nur etwas an der Sozialordnung kritisieren."

    Die Parteien, so kritisierte der konservative Aufklärer Grosser, seien so sehr in ihrem blinden Glauben an den Gott "Markt" gefangen, dass sie darüber all die Widersprüche übersehen würden, die eine öffentliche Diskussion, also "Politik" im eigentlichen Sinne nötig machen. Das waren - 1975 - pragmatische Einsichten, die sich heute als Prophezeiung erweisen:

    "Was mich sehr schockiert in der Bundesrepublik: wir geben das Geld der Steuerzahler, der Gemeinschaft, für Zuschüsse für schwache Unternehmen - haben aber nicht zu bestimmen, was mit diesen Zuschüssen gemacht werden soll. Das ist auch für konservative Liberale, wirtschaftsliberale Franzosen beinahe unverständlich."