Freitag, 19. April 2024

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Mobbing an Forschungseinrichtungen
"Ganz starke Abhängigkeit von einer einzelnen Person"

Am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching sollen Nachwuchswissenschaftler jahrelang von ihren Betreuern schikaniert worden sein. Jana Lasser vom Promovierenden-Netzwerk der Max-Planck-Gesellschaft macht dafür die Strukturen verantwortlich und fordert im Dlf Verbesserungen.

Jana Lasser im Gespräch mit Lennart Pyritz | 12.07.2018
    Wissenschaftlerinnen im Forschungslabor
    Doktoranden sind von ihrem Doktorvater oder ihrer Doktormutter abhängig - das sei ein Problem, sagte Jana Lasser. (dpa)
    Lennart Pyritz: Sie sind Doktorandin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und Sprecherin des Promovierenden-Netzwerkes PhDNet der Max-Planck-Gesellschaft. Sind Berichte über Mobbing und Machtmissbrauch Einzelfälle oder hören Sie öfter davon?
    Jana Lasser: Wir bekommen durchaus Berichte über Mobbing und Machtmissbrauch zu hören. Es ist immer die Frage, über wie viele Zahlen sprechen wir - in der Max-Planck-Gesellschaft sind ja 5.000 Promovierende beschäftigt. Und es sind wenige. Also ich würde sagen, es handelt sich um Einzelfälle, über die wir hören. Aber es gibt sie durchaus, allerdings nicht in der Größenordnung, wie man es jetzt in Garching gesehen hat. So was ist auch mir nicht bekannt, dass es das noch mal gegeben hätte.
    "Ein sehr weiter Bereich"
    Pyritz: Was für Berichte kommen Ihnen da beispielsweise zu Ohren, können Sie da anonym ein paar Beispiele nennen?
    Lasser: Es ist ein sehr weiter Bereich, und es ist auch ein sehr grauer Bereich. Das geht von Drohungen, dass der Vertrag nicht verlängert wird, wenn nicht eine Publikation in einer entsprechenden Zeit jetzt noch schnell rausgehauen wird; über fehlende Unterstützung, zum Beispiel, wenn es drum geht, Materialien fürs Labor anzuschaffen. Über Empfehlungsschreiben, die dann nicht gewährt werden nach Abschluss der Promotion - die natürlich wahnsinnig wichtig sind, um mit der Wissenschaft irgendwie weiter Karriere zu machen -, bis hin zu diskriminierenden E-Mails, Kommunikationen, wo irgendwie Leute persönlich angegriffen werden.
    Pyritz: Welche Strukturen des Wissenschaftsbetriebs bedingen oder ermöglichen denn überhaupt so etwas wie Mobbing, Machtmissbrauch und Abhängigkeiten zwischen den Hierarchieebenen, also was macht Doktorandinnen und Doktoranden angreifbar? Sie haben ja schon ein paar Punkte angedeutet in Ihrer Antwort eben.
    Lasser: Ja, genau, da setzt das auch an. Doktoranden sind halt von ihrem Doktorvater, Doktormutter abhängig, sowohl für das Fortschreiten ihrer wissenschaftlichen Karriere als auch bei ihrer Lebenshaltung, also ihrem Arbeitsvertrag. In ganz vielen Fällen sind unsere Promovierenden international und sind dann auch noch für Aufenthaltsberechtigungen irgendwie abhängig von ihrem Arbeitsvertrag. Und wenn jetzt plötzlich mein Arbeitsvertrag davon abhängt, ob mein Betreuer meine Wissenschaft gut oder schlecht findet und das sehr kurzfristig - wir sprechen da von Zeiträumen von ein, zwei Monaten, in denen es darum geht, über eine Verlängerung zu entscheiden -, dann ist das eine ganz, ganz starke Abhängigkeit von einer einzelnen Person, die dann über meine ganze Zukunft entscheidet an der Stelle.
    "Max-Planck-Gesellschaft hat im Prinzip schon sehr gute Ideen"
    Pyritz: Warum greifen denn bereits eingeführte Schutz- beziehungsweise Kontrollmechanismen mitunter nicht - bei der Max-Planck-Gesellschaft zum Beispiel die zentrale Gleichstellungsbeauftragte oder die Fachbeiräte an den einzelnen Instituten?
    Lasser: Also ich würde gerne mit den Fachbeiräten anfangen. Die halte ich im Prinzip für eine sehr gute Einrichtung, um die wissenschaftliche Qualität von einem Institut zu überprüfen. Aber ich halte sie für absolut ungeeignet, um so personelle Probleme und Konflikte aufzudecken, weil die finden nur alle zwei bis drei Jahre statt, und eine Promotion dauert im Schnitt dreieinhalb Jahre. Das heißt, wenn ich Pech habe, dann war der Fachbeirat gerade, und ich kann mit denen erst in zwei Jahren frühestens über mein persönliches Problem mit meinem Betreuer sprechen. Da bräuchte es auf jeden Fall irgendeine andere Struktur.
    Und die anderen Einrichtungen, die Sie angesprochen haben - Gleichstellungsbeauftragte, zum Beispiel auch Betriebsratsombudspersonen -, sind immer an dem Institut, an dem ich beschäftigt bin, angesiedelt. Und da gibt es dann persönliche Abhängigkeiten, weil das sind auch Mitarbeiter an diesem Institut. Also wenn es tatsächlich nicht so ist und diese Stellen tatsächlich unabhängig sind, erweckt es zumindest den Eindruck der Abhängigkeit, weil sie sind eben im selben Department, vielleicht im selben Büro, werden gesehen mit den Direktoren. Und da entsteht der Eindruck, ich kann denen auch nichts sagen, weil meine Anonymität ist da vielleicht nicht gewahrt oder die würden das nicht weitertragen und wirklich konsequent behandeln, weil sie selbst irgendwie in ihrer Karriere abhängig sind von diesem Institut, an dem sie sind.
    Pyritz: Welche zusätzlichen Maßnahmen müssten Ihrer Einschätzung nach denn noch umgesetzt werden, um eben Mobbing oder Machtmissbrauch in wissenschaftlichen Einrichtungen tatsächlich zu begegnen?
    Lasser: Wir wünschen uns stark das Einrichten einer unabhängigen Schlichtungsstelle. Das wurde von der Max-Planck-Gesellschaft auch schon angedacht. Dazu muss ich sagen, die Max-Planck-Gesellschaft hat im Prinzip schon sehr, sehr gute Ideen, wie man Abhängigkeiten ein bisschen abmildern kann. Allein, dass unsere Verträge schon eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben zu Anfang, hilft schon wahnsinnig viel. Da geht es dann am Ende nur um die Verlängerung, wenn ich mit den drei Jahren nicht fertig werde. Das müsste noch ein bisschen transparenter gestaltet werden, dass über die Verlängerung tatsächlich vielleicht nicht unbedingt vom eigenen Betreuer entschieden wird, sondern von einem Personalverantwortlichen.
    Die zweite gute Idee, die es schon gibt, die noch konsequenter umgesetzt werden müsste, sind die sogenannten Thesis Advisory Committees. Das heißt, es ist die Idee, dass nicht nur mein einer Betreuer, Doktorvater, Doktormutter für meine Promotion verantwortlich ist, sondern noch unabhängige andere Betreuer hinzugezogen werden, am besten von der ansässigen Uni und vielleicht noch jemand Zweites von meinem Institut, die meinen wissenschaftlichen Fortschritt inhaltlich bewerten und Entscheidungen treffen können, zum Beispiel, ob es sinnvoll ist, noch zu verlängern oder nicht.
    Die Komitees sind leider noch nicht flächendeckend umgesetzt in der Max-Planck-Gesellschaft. Unsere letzte Umfrage hat gezeigt, dass aktuell 54 Prozent* der Promovierenden so ein Thesis Advisory Committee haben. Und, wie man leider im gleichen Fall gesehen hat, da waren in diesem Komitee eben ein verheiratetes Paar, das entspricht dann natürlich auch nicht dem Anspruch der Unabhängigkeit. Also da müsste noch nachgeschärft werden, aber die Idee an sich ist da und ist sehr, sehr gut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *In einer vorigen Fassung des Interviews hieß es an dieser Stelle, 47 Prozent der Promovierenden hätten ein Thesis Advisory Committee. Dem letzten Survey zufolge liegt die Zahl aber bei 54 Prozent. Wir haben die Zahl hier deswegen nach Hinweis der Interviewpartnerin korrigiert.