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Mobile Opferberatung vor dem Aus

Angesichts von 1.100 rechtsextremistischen Straftaten in Sachsen-Anhalt hat die Projektleiterin der mobilen Opferberatung des Landes, Heike Kleffner, Mittelkürzungen des Familienministeriums beanstandet. Die mobilen Beratungsteams für Opfer rechtsextremer Gewalttaten würden nur noch bis zum 30. Juni 2007 arbeiten können.

Moderation: Doris Simon | 16.10.2006
    Doris Simon: Sachsen-Anhalt ist wieder einmal deutscher Spitzenreiter, aber es ist ein trauriger Titel. 1.100 rechtsextremistische Straftaten notierte die Polizei im letzten Jahr. 170 mal wurden Menschen Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt. Zuletzt hatte ein Fall aus dem Dorf Parey Schlagzeilen gemacht. Dort hatten drei Schüler einen Mitschüler gezwungen, ein Schild umzuhängen, auf dem stand "ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein". So musste der 16-Jährige über den Schulhof laufen. Schon vorher war er von Mitschülern schikaniert worden. Heike Kleffner ist Projektleiterin der mobilen Opferberatung und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Heike Kleffner: Guten Morgen!

    Simon: Frau Kleffner, wie helfen Sie denn Opfern rechtsextremer Gewalt wie diesem 16jährigen Jugendlichen in Parey?

    Kleffner: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Das hängt sehr davon ab, was die Betroffenen sich wünschen. Oft ist es so, dass sie sich eine Begleitung wünschen, wenn sie zum Beispiel die Täter anzeigen wollen, oder wenn sie zu Zeugenvernehmungen zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft geladen sind. Viele Opfer rechter Gewalt kommen ja aus gesellschaftlichen Minderheiten, sprich sind Flüchtlinge, Migranten, Afro-Deutsche oder Punks, Alternative und nichtrechte Jugendliche und haben erst mal relativ wenig Wissen über ihre rechtlichen Möglichkeiten und was ihnen eigentlich zusteht an Hilfe und Unterstützung. Das ist das, was wir meistens in den Erstberatungsgesprächen abklären und natürlich die Frage was kann man tun, damit ihre Sicherheit verbessert wird.

    Simon: Frau Kleffner, die mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt verfügt über insgesamt fünf Mitarbeiter. Können Sie da bei all den Problemen, die in den letzten Monaten aufgetreten sind, auch wirklich helfen?

    Kleffner: Wir haben im ersten Halbjahr diesen Jahres erneut einen Anstieg rechter und rassistischer Gewalttaten registriert und man muss ganz klar sagen das gewachsene Selbstbewusstsein der extremen Rechten, aber auch ihres Umfeldes und eben oft das Wegschauen und die Ignoranz, mit der eine Kommune oder eine Schule auf solche Gewalttaten reagiert, machen unseren Job nicht leichter. Diejenigen die sich an uns wenden bekommen aber die Unterstützung, die sie brauchen.

    Simon: Das Geld für die Arbeit der mobilen Opferberatung nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in anderen neuen Ländern, das kommt ja vom Bundesfamilienministerium. Nun hat die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen schon vor einiger Zeit angekündigt, dass die Finanzierung vom nächsten Jahr an komplett neu organisiert wird. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

    Kleffner: Im Moment bedeutet das, dass alle Opferberatungsprojekte und alle mobilen Beratungsteams, die es in den anderen fünf neuen Ländern und in Berlin gibt, davon ausgehen müssen, dass sie nur noch bis zum 30. Juni 2007 arbeiten können. Das Ministerium hat angekündigt, dass es weder für die Opferberatungen noch für die mobilen Beratungsteams eine Weiterfinanzierung unter einem neuen Programm geben wird, von dem wir noch nicht so viel wissen. Das bedeutet auch, dass wir Betroffenen rechter Gewalt, die jetzt in diesem Jahr angegriffen wurden, sagen müssen, wir können euch vermutlich nur noch bis Mitte nächsten Jahres unterstützen. Ob ihr dann zum Beispiel schon einen Prozess gegen die Täter sehen werdet, das wissen wir nicht.

    Simon: Aber es wird ein neues Programm kommen. Wird dort nicht vielleicht unter anderen Vorzeichen auch die Möglichkeit bestehen, Opfern zu helfen?

    Kleffner: Das was wir über das neue Programm wissen ist, dass es sich schwerpunktmäßig die Förderung von Kommunen und kommunalen Projekten gegen Rechts verschrieben hat und dass es auf keinen Fall eine weitere Förderung von Opferberatungen und von mobilen Beratungsteams vorsieht. Das ist auch so klar gesagt worden.

    Simon: Und mit den Kommunen, haben Sie da Probleme bei der Zusammenarbeit? Wo liegt aus Ihrer Sicht das große Problem?

    Kleffner: Das große Problem ist, dass wir es mit man kann sagen drei Kategorien von Kommunen zu tun haben. Die erste Kategorie sind die Kommunen, in denen das Problem rechter Gewalt, aber auch einer rechten Alltagskultur weiterhin komplett verharmlost, verschwiegen oder ignoriert wird. Es gibt Fälle wie jüngst im Juni in Prezin, einer Kommune in Sachsen-Anhalt, wo eben ein extrem rechter Heimatverein, bei dem im Übrigen auch der Bürgermeister Mitglied war, eine Sonnenwendfeier organisiert hat und bei dieser Sonnenwendfeier dann das Tagebuch der Anne Frank öffentlich verbrannt wurde. Das ist sicherlich eines der extremsten Beispiele für diese Mischung aus Ignoranz, Verharmlosung und das Problem komplett zu verdrängen. Dann gibt es Kommunen die sagen ja, wir haben ein Problem. Wir möchten es eigentlich eher im Stillschweigen lösen und wir suchen dafür Hilfe von außen. Die wenden sich dann durchaus eben an die mobilen Beratungsteams, an die Opferberatung oder an Vereine wie "Miteinander" in Sachsen-Anhalt und bitten um Gespräche. Man erarbeitet gemeinsam Konzepte, überlegt Fortbildungen für Jugendämter, für Sozialarbeiter, für Lehrer. Dann gibt es wenige Kommunen die sagen, wir haben ein Problem und wir gehen es auch offensiv an. Um das offensiv anzugehen, wünschen wir uns eben auch kompetente Unterstützung von außen.

    Simon: Das heißt Ihre große Sorge ist vor allem die von Ihnen als erste genannte Gruppe, die Kommunen die sagen, wir haben damit wirklich kein Problem und wir werden da nichts tun?

    Kleffner: Genau. In genau diesen Kommunen hat diese rechte Alltagskultur, die bei weitem nicht nur von Jugendlichen getragen wird, sondern eben auch von Erwachsenen, inzwischen ganz festen Halt, ist fester Bestandteil von der dörflichen oder kleinstädtischen Alltagswelt.

    Simon: Nun ist es so, dass der Innenminister von Sachsen-Anhalt ganz deutlich gesagt hat, wir haben ein rechtes Problem. Der Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat nach den Vorfällen in Prezin, die Bücherverbrennung von Anne Frank, selber in einem Nachbarort in einer Schule gelesen, um ein Zeichen zu setzen. Wie erklären Sie sich dieses Klima in Sachsen-Anhalt, von dem Sie gerade gesprochen haben?

    Kleffner: Es reicht eben nicht, nach jedem schrecklichen Vorfall von neuem entsetzt zu sein, bestürzt zu sein und zu sagen oh, so schlimm, das hätten wir uns nicht vorstellen können, und dann wieder mit einer neuen Feuerwehrmaßnahme auf den Plan zu treten, sondern es muss eine kontinuierliche Stärkung a.) derjenigen vor Ort geben, die eine nichtrechte demokratische Kultur wollen und zum Teil eben auch gegen gewalttätige Angriffe verteidigen müssen, die ihr Anderssein verteidigen müssen. Die müssen gestärkt werden und das ist ein langfristiger Prozess. Es reicht eben auch nicht zu sagen na ja, dann müsste man halt die Polizei mehr einsetzen oder die Justiz mehr einsetzen, weil die vielerorts Teil des Problems sind.

    Simon: Teil des Problems. Was meinen Sie damit?

    Kleffner: Was ich damit meine ist, dass wir zum Beispiel in unserer Praxis festgestellt haben, dass es meistens mindestens eineinhalb Jahre dauert zwischen einer rechten Gewalttat und einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung gegen die Täter, dass wir es immer noch mit Strafverfolgungsbehörden zu tun haben, die eine rechte Motivation nicht gründlich genug ausermitteln oder die sie am liebsten bei Seite stellen würden, dass wir es mit Richtern zu tun haben, die immer noch denken, dass die extreme Rechte in Springerstiefeln und in Glatze auftritt und überhaupt keine Ahnung über die Veränderung im Erscheinungsbild haben, und dass es natürlich so ist, dass wir auch feststellen, wie in dem Fall der Tagebuchverbrennung in Prezin, Polizeibeamte nicht wissen, was das Tagebuch der Anne Frank ist, dass das Problem wirklich noch mal auf einer ganz anderen Ebene angegangen werden muss und dass eben die Tatsache, dass Rassismus und Antisemitismus Kernbestandteile rechter Ideologien sind, dass das dann auch in den Strafverfolgungsbehörden noch mal deutlich vermittelt werden muss.