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Mobilität der Zukunft
Atemberaubendes Tempo in Chinas Autoindustrie

China gilt als Labor der Zukunft, was Mobilität betrifft und ist auch ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Autokonzerne. Doch deutsche und europäische Anbieter werden in China zunehmend belächelt. Der Grund: Sie gelten als langweilig und vor allem als viel zu langsam bei Entwicklungen.

von Silke Hahne | 18.04.2019
Nationalfeiertag in Nanjing. Autos stehen Schlange vor einer Gebürhenstation auf einer Schnellstraße. Aufnmahme von oben.
Viele Menschen, viel Verkehr: In Nanjing sollen die Autos des Elektro-Start-ups Byton produziert werden (picture alliance / dpa / Imaginechina)
Auf der edlen Shanghaier Einkaufsmeile Nanjing-Straße fließt der Verkehr stetig. Allerdings ist es auffällig leise. Und das liegt nicht nur am Hupverbot, das in der Stadt gilt. Die Masse der kleinen Motor-Roller surrt elektrisch über die Straße, auch Linienbusse fahren mit Batterie, genau wie viele Autos. Nirgends werden so viele E-Autos neu zugelassen wie in China. Laut der Autobranche waren es allein 2018 mehr als eine Million. Die Stromer erkennt man an ihren grünen Kennzeichen.
Solche Nummernschilder sollen auch die Autos von Byton einmal bekommen, wenn sie denn wie geplant Ende des Jahres in der westlich von Shanghai gelegenen Stadt Nanjing vom Band rollen. Schon jetzt betreibt das Elektro-Auto-Start-Up in der nach Nanjing benannten Shanghaier Straße eine Art Ladenlokal.
Unruhige Zeiten
Zwei Automodelle werden hier ausgestellt. Eine Kaffeebar, Hocker und kleine Tische sorgen für entspannte Lounge-Atmosphäre. Hinter den Kulissen der Firma geht es allerdings weniger ruhig zu: Anfang der Woche gab Mitbegründer Carsten Breitfeld – ein ehemaliger BMW-Manager – seinen Ausstieg bekannt. Kurz nachdem sich die Führung erst im Januar neu aufgestellt hatte. Neuer alleiniger Chef ist Daniel Kirchert.
"Es war, ehrlich gesagt, für uns ein bisschen überraschend. Da haben wir jetzt nicht damit gerechnet. Aber das ist seine persönliche Entscheidung."
Breitfeld wechselt zur Konkurrenz von Iconiq, gerade einmal drei Jahre nach der Gründung von Byton. Vorher war er rund 20 Jahre bei BMW. Das Tempo in der chinesischen Autoindustrie ist, verglichen mit Europa, atemberaubend.
"In dieser sehr traditionellen Industrie, in der ich auch davor mehr als 15 Jahre verbracht habe, hätte ich es mir bis vor fünf, sechs Jahren niemals träumen lassen, dass es möglich ist ein eigenes Start-Up in diesem Bereich aufzumachen. Das geht auch auf Tesla mit zurück. Vor ein paar Jahren gab’s diese riesen Dynamik. Und dann sind hier in China einige hundert Start-Ups gestartet in diesem Bereich. Wobei man sagen muss, dass nur ein kleiner Teil davon wirklich ernsthaft an wirklichen Fahrzeugen arbeitet."
Keine Subventionen mehr für E-Auto-Förderung
Es sei also auch ein bisschen Hype dabei – begünstigt, so Kirchert, von hohen Subventionen in China. Die Regierung hat angekündigt, die Förderung nun zu streichen. Der Elektroautomarkt ist dem Anfangsstadium entwachsen, die Firmen sollen alleine klar kommen. Dafür, dass sie E-Autos bauen, sorgt eine staatliche Quote. Ansonsten drohen hohe Strafen. Chinas Ruf als Labor für die Mobilität der Zukunft geht aber über die Elektro-Antriebe weit hinaus:
"Ja, Mobilität in China - wenn Sie hier mal ein paar Wochen und Monate, wenn nicht gar Jahre leben, stellen Sie natürlich fest, dass die Nutzung von verschiedenen Mobilitätsangeboten schon eine ganz andere ist als in Deutschland", so Volkswagen-China-Chef Stephan Wöllenstein am Vorabend der Automesse Shanghai, beim Konzern-Empfang in einem Flachbau mit Industrie-Flair im Norden der Millionenmetropole.
"Also in Deutschland ist ja die Taxifahrt, wenn Sie so wollen, Luxusgut. In China wird sie eigentlich von breiten Bevölkerungsschichten wahrgenommen, sowohl in den offiziellen authorisierten Taxen, die aber zunehmend verschmelzen mit dem Angebot des Marktführers Didi."
Weiterhin wichtig: Gemeinschaftsunternehmen
Didi, so heißt die unbestrittene Nummer eins der Mitfahrdienste in China. Die amerikanische Konkurrenz von Uber hat ihr China-Geschäft vor knapp drei Jahren an Didi verkauft. Wer in China per Smartphone eine Autofahrt bucht, kommt an Didi eigentlich kaum noch vorbei.
Wer in China Autos baut aber offenbar auch nicht: VW hat mit Didi ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, um Autos speziell für dessen Zwecke zu entwickeln beziehungsweise: Didi hat VW dafür ausgesucht. In einem Land, in dem die Regierung die Rahmenbedingungen in allen Lebensbereichen eng setzt, weiß man, um welche Player man buhlen muss.
"Wir wissen auch, dass die Regierung entschlossen ist, in den Städten der Zukunft auch das Thema ‚shared mobility‘ stärker in den Vordergrund zu rücken. Ganz einfach, weil es auch aus unserer Sicht in Übereinstimmung zu bringen ist mit der Urbanisierungsbestrebung in China – wo ja Größenordnung 60, 70 Prozent der chinesischen Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren in urbanen Räumen sind. Und das heißt wirklich Millionenstädte."
Europas Autobauer gelten als langsam...
Am nächsten Tag sieht man Wöllenstein über den Messestand von Nio schlendern – ein chinesischer Autobauer, der im Gegensatz zu Byton auch wirklich schon Autos baut. Die inspiziert Wöllenstein, mit Entourage, während Nio-Mitbegründer Jack Cheng Journalisten erklärt, was chinesische Unternehmen besser machen als europäische:
"Die Geschwindigkeit - es gibt keinen besseren Weg, um es zu beschreiben - die Zeit, bis Produkte auf den Markt kommen. Die neue Generation tauscht ihr Smartphone alle zwölf Monate aus, früher waren es mal zwei Jahre. Jetzt schmeißen die Leute ihr Zeug weg, weil es neue Technik gibt. Ultra-HD-Bildschirme, 5G, Sprachsteuerung, das kommt. Hören, Sehen, Sprechen – das geht bald an jeder Straßenecke. Diese Typen willst du doch als erstes befriedigen. Diese Nachfrage willst du managen, so dass du sie rund um die Uhr am Wickel hast. So macht man das meiste Geschäft."
... und langweilig
Eine Messebesucherin stimmt Cheng zu, sie findet chinesische Autos besser: "Da gibt es mehr Unterhaltung. Traditionelle Autos haben das nicht. Sie befriedigen die grundlegenden Bedürfnisse, aber dann kommt nicht mehr viel. Vernetzte Autos berücksichten den Bedarf nach Unterhaltung und Bequemlichkeit."
Einschränkend muss man sagen: Nio hat in den ersten drei Monaten des Jahres 3.800 Autos in China verkauft. In der selben Zeit setzten Volkswagen, BMW und Daimler etwa 1,2 Millonen Pkw hier ab. Und sie sind sich ihrer Defizite bewusst – die deutsche Autoindustrie produziert nicht mehr nur in China, immer mehr Forschung und Entwicklung wird hier betrieben. Tausende Ingenieure arbeiten an der chinesischen Mobilität von morgen aus deutscher Hand. Das Tempo in der chinesischen Autoindustrie ist, verglichen mit Europa, eben atemberaubend.