Simon: Sie sagten das Stichwort Modernisierung: Angela Merkel kann es nicht recht sein, wenn Teile der CDU-Basis antisemitische Klischees in Ordnung finden, aber eine Abwanderung dieser Leute ist ihr auch nicht recht. Welche Strategie bleibt ihr denn da?
Nolte: Ich finde die Strategie ganz richtig und auch unverzichtbar, da eine ganz klare Linie zu ziehen, deswegen finde ich bei aller auch erwartbaren Kritik, die jetzt von links und von rechts an dem Verhalten von Angela Merkel kommt, finde ich diese Vorgehensweise auch im Prinzip ganz richtig und nachvollziehbar. Aber es muss eben daran gearbeitet werden, auch wie Sie sagen, denjenigen, die sich schwer tun, diesen Modernisierungskurs mitzugehen, auch Angebote zu machen, wie man auch, ich spreche jetzt von dem verfassungstreuen Teil der CDU-Basis, wie diese Leute auch, konservativ und auch vielleicht patriotisch sein können, ohne diese Grenze zu überschreiten, die Hohmann überschritten hat. Also, man muss ja Angebote machen, wie kann ein Patriotismus, ein Bekenntnis auch vielleicht zu Deutschland aussehen, ohne das man gleich antisemitisch ist oder ohne dass man sagt, unsere Nation wird aber ständig in den Schmutz gezogen.
Simon: Für wie bereit halten Sie denn das einfache Parteivolk zu einer Diskussion über konservative Werte?
Nolte: Ja, da sollte man die Basis auch nicht unterschätzen. Also, ich glaube, im Moment sieht die Stimmung in der Presse von der Basis der CDU sehr stark so aus, als sei da eine ganz überwiegende Übereinstimmung mit Hohmann zu verzeichnen. Das sind sicherlich viele hundert, viele tausend Stimmen, aber nicht hunderttausend, nicht die Mehrheit der Mitglieder. Man muss auch sehr deutlich unterscheiden zwischen verschiedenen regionalen Milieus, aus denen die CDU ja immer noch besteht. Die CDU ist eine große Volkspartei und Sammlungsbewegung und als solche in der Bundesrepublik auch groß und stark geworden. Hessen oder bestimmte Teile Hessens, in denen sich solche konservativ-nationalen Milieus stärker gehalten haben, sind ganz anders als Nordrhein-Westfalen und wieder anders als die neuen Bundesländer, erst recht anders als Bayern, wo man mit großem Selbstverständnis sowohl konservativ als auch modern sein kann.
Simon: Wie problematisch ist es denn so eine Situation, wie Sie die beschreiben, dass es so bekannte, herausragende, wie man sie nannte, Stahlhelmer wie etwa früher Alfred Dregger heute in der CDU-Fraktion nicht mehr gibt?
Nolte: Ja, diese Stahlhelmer, wie man sie manchmal genannt hat, eine fatale Bezeichnung im Anklang an ja auch undemokratische Tendenzen in der deutschen Geschichte der Weimarer Republik, haben schon eine wichtige Integrationsfunktion erfüllt. Das waren Leute, an die der Teil der konservativeren, der national gesinnten Basis sich orientieren konnte, ohne dafür ausgestoßen zu werden. Und Leute wie Dregger haben ja andererseits diese Grenze, die Hohmann jetzt überschritten hat, auch nie überschritten. Das ist aber auch ein Generationsphänomen. Diese Leute kann man nicht mehr backen oder man kann nicht mehr erwarten, dass es sie unter den 40- oder 50-Jährigen jetzt wieder so gibt. Ich glaube, wir werden noch einen größeren Wandel auch der Wertorientierung da erleben müssen und erleben einen Wandel auch in den Formen, in denen Nationalismus sich artikuliert, dass Nationalismus oder Patriotismus, nationales Bewusstsein vielleicht überhaupt weniger auf die Vergangenheit orientiert ist, wie das in diesen älteren Generationen noch der Fall war, sondern das würde ich auch der CDU raten, wenn sie denn da ein Angebot machen will, dass man stärker denkt an einen Patriotismus der Gegenwarts- und der Zukunftsausgaben. Also, wenn es eine große, nationale Gemeinschaftsaufgabe gibt, vor der wir jetzt stehen, dann sind es ja die Reformen. Und das ist doch eigentlich ein Grund für Patriotismus und auch ein Feld, auf das man auch patriotische Wertorientierungen lenken könnte.
Simon: Ein Punkt, der in der Diskussion nicht so laut genannt wird, aber immer da ist, ist natürlich der, dass Bezirke wie etwa der, aus dem Martin Hohmann kommt, Osthessen, der CDU immer wieder überragende Wahlergebnisse gebracht haben. Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass man, weil man weiß, dass dort eben immer auch Mehrheiten gewonnen worden sind für die CDU, dass man vielleicht manche Dinge hinnimmt, die eigentlich auch der CDU-Führung nicht passen?
Nolte: Ach, die Gefahr sehe ich eigentlich nicht so sehr, also in keine Richtung eigentlich. Ich glaube, das sind sozusagen solide Milieus, die auch weiterhin auch der CDU ganz überwiegend zur Verfügung stehen werden. Da sollte man dann auch die langfristige Wirkung solcher kurzfristigen Erregung, wie es sie sicherlich jetzt gibt, nicht überschätzen. Also, ich glaube, dass sich da viele Wogen wieder glätten werden und die CDU auch weiterhin auf diese Bezirke, auf diese Basis, an der sie besonders stark ist, zählen wird, auf der anderen Seite sich aber von denen sich nicht ihren Kurs vorschreiben lässt. Also, diese umgekehrte Gefahr sehe ich erst recht nicht.
Simon: Das war ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Paul Nolte von der Internationalen Universität Bremen