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Mögliche Absage des Hadsch
Digital nach Mekka pilgern?

Veranstaltungen vieler Religionen sind wegen der Corona-Pandemie ins Internet verlegt worden. Auch die große islamische Pilgerfahrt könnte abgesagt werden. Doch ein „Cyber-Hadsch“ sei keine Alternative, meinen Experten – zumal eine Absage theologisch nicht dramatisch wäre.

Von Christian Röther | 15.04.2020
Eine muslimische Pilgerin betet, während sie zuschaut, wie Tausende von Pilgern um die Kaaba herumgehen, das kubische Gebäude an der Großen Moschee, vor der Hadsch-Pilgerfahrt in der muslimischen heiligen Stadt Mekka.
Die Kaaba während der großen islamischen Pilgerfahrt 2019. In diesem Jahr könnte es zum Hadsch in der Großen Moschee menschenleer bleiben (dpa-Bildfunk / AP / Amr Nabil)
Pilgerinnen und Pilger in der Großen Moschee in Mekka – einer der heiligsten Ort, den der Islam kennt. Ein Video der New York Times aus besseren Zeiten. Mit der Kamera ist man mittendrin. Betende, wohin das Auge blickt.
Man kann am heimischen Bildschirm sogar die Kameraperspektive um 360 Grad drehen, wann und wie man möchte. Doch digital dabei sein ist in diesem Fall eben nicht alles. In Corona-Zeiten ist der Wallfahrtsort menschenleer.
"Viele Dinge, die für die Wallfahrt zentral sind – zum Beispiel dieses Gemeinschaftsgefühl mit anderen Musliminnen und Muslimen aus aller Welt, die Rituale die man dort vollführt, die ja auch sehr physisch sind – das kann natürlich virtuell nicht nachvollzogen werden", sagt Johanna Pink, Professorin für Islamwissenschaft in Freiburg.
"Hadsch als Massenphänomen ist eine moderne Entwicklung"
Gemütlich vom heimischen Sofa aus am Hadsch teilnehmen – das ist also kein gleichwertiger Ersatz:
Pink: "Der Hadsch ist grundsätzlich eine religiöse Pflicht, die jeder Muslim - wenn er oder sie die Möglichkeit hat – einmal im Leben durchführen sollte. Was zunächst mal heißt, es muss live durchgeführt werden, wenn es um die Erfüllung dieser konkreten religiösen Pflicht gehen soll."
Johanna Pink
Johanna Pink, Inhaberin des Lehrstuhls für Islamwissenschaft und Geschichte des Islam an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (privat)
Der Hadsch ist theologisch nur an sechs Tagen im Jahr möglich – und die Nachfrage übersteigt das Angebot erheblich. Saudi-Arabien lässt derzeit pro Jahr etwas mehr als 2 Millionen Menschen zum Hadsch zu. Viel mehr Anträge werden abgelehnt, denn die Kapazitäten sind begrenzt.
Pink: "Dass es überhaupt so ein Massenphänomen ist, ist natürlich eine moderne Entwicklung – überhaupt erst möglich geworden durch Flugreisen und den Ausbau der touristischen Kapazitäten. Also historisch gesehen reden wir sowieso über ein paar Tausend, maximal 10.000 Leute, die das durchgeführt haben."
"...dann wäre es auch keine Sünde"
Das heißt, es ist wohl schon seit vielen Jahrhunderten so, dass die Mehrheit der Muslime niemals nach Mekka reist. Sie sollten zwar einmal in ihrem Leben am Hadsch teilnehmen – aber eben nur, wenn das möglich ist: gesundheitlich, logistisch und auch finanziell.
In diesem Jahr würde der Hadsch Ende Juli beginnen. Sollte er abgesagt werden, wäre das für die islamische Welt also nicht so dramatisch – meint auch die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink:
"Wenn jemand dieses Jahr die Möglichkeit nicht hat, dann kann man es auch in irgendeinem anderen Jahr durchführen. Und wenn jemand durch eine Absage des Hadsch in diesem Jahr in seinem Leben überhaupt nicht mehr die Möglichkeit hätte, weil die Person zum Beispiel Ende des Jahres stirbt oder so, dann wäre es auch keine Sünde, denn dann ist es eben so. Dann gibt es eben die Möglichkeit nicht."
Tausende Menschen umrunden im August 2018 die Kaaba in der Mitte der Großen Moschee in Mekka
Tausende Menschen umrunden im August 2018 die Kaaba in der Mitte der Großen Moschee in Mekka (picture alliance / Anadolu Agency / Mustafa Ciftci)
"Interessant hierbei ist, dass wenn beispielsweise Muslime die Absicht des Hadsch für das Jahr 2020 gefasst haben, und jetzt aufgrund der Corona-Pandemie dies nicht ermöglichen können, und sich dann später auch keine Gelegenheit mehr ergibt, theologisch gesehen dennoch der Hadsch als durchgeführt, bzw. die Pflicht als erledigt gilt", darauf weist auch Samet Er hin.
Willkommen im digitalen Mekka
Er gehört zu den ersten islamischen Theologen, die an deutschen Universitäten ausgebildet wurden. Und er nutzt jetzt in der Corona-Krise auch islamische Online-Angebote, und bietet sogar selbst digitale Gesprächskreise an für muslimische Jugendliche. Eine digitale Pilgerreise kann sich Samet Er aber nicht vorstellen:
"Aus theologischer Sicht würde ich sagen, dass generell ein Cyber-Hadsch nicht möglich ist, da für den Hadsch gewisse Voraussetzungen zu erfüllen sind – wie etwa die Anwesenheit vor dem Gotteshaus oder weitere vorgeschriebene Rituale."
Der islamische Theologe Samet Er
Der islamische Theologe Samet Er (Deutschlandradio/ Christian Röther)
Dabei gibt es durchaus einige Angebote, mit denen man sich digital auf den Hadsch machen könnte: Computerspiele und Apps.
"Ah, praise be to Allah! You made it. Peace be with you, my friend!" (App "Muslim 3D")
Friede sei mit Dir, mein Freund! So klingt die App "Muslim 3D". Ein bärtiger Mann in einem weißen Gewand heißt einen willkommen im digitalen Mekka.
"I am delighted to welcome you to Mecca 3D. You are here in a virtual world of worship and knowledge." (App "Muslim 3D")
"Kein Ersatz für die tatsächliche Wallfahrt"
Die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink hat sich einige dieser digitalen Pilger-Angebote angesehen:
"Da kann man zum Beispiel virtuell um die Kaaba laufen, die Große Moschee anschauen und so weiter. Das ist sicherlich auch irgendwie ein spirituelles Erlebnis, wenn man das so erleben möchte, aber ich kenne keine Diskussion, nach der das irgendwie ein Ersatz für die tatsächliche Wallfahrt sein könnte."
Muslimische Pilgerinnen und Pilger berühren die heilige Kaaba in der Masjid al-Haram-Moschee in Mekka.
Pilgerinnen und Pilger berühren die Kaaba in der Großen Moschee in Mekka. Derzeit ist das aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich. (picture alliance/dpa/AA)
Innerislamisch ist so eine digitale Alternative zum Hadsch eigentlich auch gar nicht nötig – denn weil jedes Jahr ohnehin nur ein Bruchteil der Musliminnen und Muslime nach Mekka pilgern kann, ist in der Religion bereits eine Alternative vorgesehen, erklärt der islamische Theologe Samet Er:
"Über eine Alternative zum Hadsch spricht der Koran in der Sure 2, Vers 196. Darin heißt es, dass wenn die Muslime bei der Durchführung des Hadsch gehindert werden, sie ein Tier opfern und dieses an die Armen verteilen sollen."
"Nicht wahrscheinlich, dass der Hadsch stattfindet"
Wird Saudi-Arabien den Hadsch 2020 also absagen? Noch ist keine offizielle Entscheidung bekannt, aber die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink hält eine Absage für wahrscheinlich:
"Man hat da viele Menschen aus allen Gegenden der Welt auf sehr engem Raum. Und wenn irgendwo eine Epidemie herrscht, dann ist eigentlich offensichtlich, dass sie sich dort fortsetzt. Und das ist auch immer wieder passiert: mit Grippe, mit Masern, mit allen möglichen – vor ein paar Jahren gab es MERS. Und die saudischen Behörden sind dafür natürlich auch sehr sensibilisiert. Die wissen ganz genau, was das für ein Problem ist. Alles in allem halte ich es für nicht so wahrscheinlich, dass der Hadsch wird stattfinden können, weil ich mir auch keine Art vorstellen kann, wie man ihn organisieren kann bei sozialer Distanzwahrung."
Dann also vielleicht doch digital nach Mekka – übrigens auch eine Möglichkeit für Nicht-Muslime, sich die heiligen Stätten des Islams mal genauer anzuschauen. Denn eigentlich haben Nicht-Muslime keinen Zutritt, aber in der App empfängt einen der Guide trotzdem herzlich.
"Feel free to explore the Mecca 3D demo-world and remember: I am your guide and happy to be at your service." (App "Muslim 3D")