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Mögliche Auslieferung Puigdemonts
"Die Katalanen werden nicht ruhiger werden"

Die frühere Vertreterin Kataloniens in Deutschland, Marie Kapretz, hat eine politische Lösung des Unabhängigkeitskonflikts unter Vermittlung der EU gefordert. Mit einer Gerichtsentscheidung in der Causa Puigdemont sei es nicht getan. Es gebe weiterhin zwei Millionen Unabhängigkeitsbefürworter, sagte Kapretz im Dlf.

Marie Kapretz im Gespräch mit Silvia Engels |
    Marie Kapretz, die von Madrid abgesetzte Vertreterin Kataloniens in Deutschland
    Marie Kapretz, die von Madrid abgesetzte Vertreterin Kataloniens in Deutschland (imago / Christian Thiel)
    Silvia Engels: Der frühere katalonische Regionalpräsident Carles Puigdemont ist weiterhin in Schleswig-Holstein in Haft. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes – wir haben es gerade gehört – hält den europäischen Haftbefehl aus Spanien für ihn für zulässig. Nun entscheidet das Oberlandesgericht. Am Telefon ist Marie Kapretz. Sie war Vertreterin Kataloniens in Deutschland, bevor das Büro in Berlin von der Zentralregierung in Madrid geschlossen wurde. Guten Morgen, Frau Kapretz!
    Marie Kapretz: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Engels: Die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig sieht also den spanischen Tatbestand Rebellion mit dem des Hochverrats im deutschen Strafrecht so weit vergleichbar, dass es für eine Auslieferung ausreicht. Ziehen Sie das in Zweifel?
    "Das kommt mir schon sehr komisch vor"
    Kapretz: Ich bin keine Juristin, deswegen kann ich nicht beurteilen, ob die Artikel ähnlich sind oder sogar gleich. Auf jeden Fall kommt mir doch schon sehr komisch vor, dass in Europa ein demokratischer Akt, nämlich der einer Abstimmung, als Hochverrat interpretiert wird. Das war eigentlich bis jetzt noch nie der Fall.
    Es gibt auch den Aspekt der Gewalt, der der Rebellion zugrunde liegt. Also es gibt keinen Straftatbestand der Rebellion ohne Gewaltanwendung, und das ist auch im Fall des Hochverrats so. Hier interpretiert die Generalstaatsanwaltschaft, dass Gewalt eventuell bei Ausschreitungen billigend in Kauf genommen wurde, indem man ein Referendum angesetzt hat. Das überrascht mich auch, weil das würde ja heißen, dass jede Demonstration, die mit Ausschreitungen enden könnte, als Akt des Hochverrats interpretiert werden könnte, weil die Organisatoren eben in Kauf genommen habe, dass es am Ende Gewalt geben könnte. Das sind zwei Punkte, die mich doch stutzig machen.
    Engels: Das heißt, Sie setzen darauf, dass das Gericht, das ja zu entscheiden hat, dem nicht folgen wird?
    Kapretz: Wie gesagt, ich bin keine Juristin, und ich bin auch keine Richterin. Ich denke, ich sollte mich da raushalten aus den juristischen Fragen, weil das ist allein Angelegenheit der Justiz.
    Ich könnte höchsten noch was dazu sagen, wie man das Ganze in Katalonien aufnimmt. Ich bin ja gerade hier. Hier geistert durch die Presse der letzten Tage, dass Spanien einen Waffendeal mit Deutschland abgeschlossen hat – es sollen 50 Eurofighter zusammen gekauft werden. Letzte Woche kam es zu diesem Abschluss. Und das hat doch ein Geschmäckle, zumindest in der Presse. Da denken sich dann die Leute, ja, letzte Woche haben sie den Deal abgeschlossen, diese Woche spricht sich die Generalstaatsanwaltschaft so aus. Und das deutet auch darauf hin, wie die Justiz in Spanien funktioniert, und deswegen denken die Leute hier oft, die deutsche Justiz funktioniert auch so.
    Ich möchte mich dem nicht anschließen. Ich denke, die Justiz in Deutschland ist neutral und sollte möglichst von politischen Einflüssen ferngehalten werden. Aber ich denke, diese ganzen Aspekte sollte man im Hinterkopf behalten.
    "Die Katalanen werden deswegen bestimmt nicht ruhiger werden"
    Engels: Da kommen Sie auf die politischen Verwebungen, auch wenn wir den Vorwurf, der da in Katalonien erhoben wird, jetzt nicht eins zu eins nachvollziehen können. Da kommen Sie aber auf jeden Fall auf eine Grundsatzfrage, nämlich die Frage, inwieweit eben bei heiklen Auslieferungsverfahren auch die Politik durchaus ein Mitspracherecht haben sollte. Es gibt ja durchaus Stimmen in Deutschland, die sagen, die Bundesregierung sollte sich hier positionieren. Sehen Sie das auch so?
    Kapretz: Ich glaube, in der "Zeit" stand, dass es ein Fehler ist, in einem europäischen Auslieferungsverfahren, dass eben nicht beachtet wird, dass das Partnerland, wohin der Verdächtige in jedem Fall ausgeliefert werden sollte, dass man keine politisch Verfolgten ausliefern soll. Das ist eigentlich die Grundlage von Auslieferungsverfahren, dass in einem europäischen Auslieferungsverfahren nicht - , weil man eben davon ausging, dass alle Länder in Europa gleich funktionieren und auf ähnlichen rechtsstaatlichen Grundlagen basieren. Es ist nicht vorgesehen, dass es davon Ausnahmen gibt, und das ist jetzt ein Problem, und vor dem stehen wir jetzt.
    Engels: Das heißt, noch mal nachgefragt, erwarten Sie von der Bundesregierung, dass sie sich stärker einschaltet, oder teilen Sie die Einschätzung der Bundesregierung, das wirklich allein den deutschen Gerichten zu überlassen?
    Kapretz: Ich denke, in dem Fall aus Schleswig-Holstein ist das ein juristischer Fall. Aber was auf jeden Fall getan werden sollte, ist hinter den Kulissen – und das ist nicht nur von deutscher Seite, sondern ganz Europa sollte sich da wirklich überlegen, ob sie diesen Fall Katalonien-Spanien ernst nehmen sollte und nicht immer nur darauf verweisen sollte, dass es ein innerspanisches Problem ist. Sondern man sollte doch darauf drängen, dass hier politische Lösungen gesucht werden müssen. Weil selbst wenn es zu einer Auslieferung Puigdemonts nach Spanien käme, haben wir immer noch an die zwei Millionen Katalanen, die für die Unabhängigkeit sind, dafür gewählt haben und die sich davon auch nicht so schnell abbringen lassen werden. Sollte es zur Auslieferung kommen, dann hätten wir dann insgesamt zehn Politiker in Spanien in Untersuchungshaft, und die Katalanen werden deswegen bestimmt nicht ruhiger werden. Die politische Lösung muss gefunden werden, und darauf sollte sowohl Deutschland wie auch andere Partnerländer in der EU doch sehr stark drängen, hinter den Kulissen, denke ich.
    "Man befürchtet natürlich, dass die treibende Kraft Rache ist"
    Engels: Das heißt, Sie bezweifeln letztendlich, dass Spanien noch ein Rechtsstaat in dieser Katalonien-Frage ist?
    Kapretz: Man befürchtet natürlich, dass es in Spanien zu keinem fairen Verfahren kommen wird, sondern dass die treibende Kraft hinter dem Gerichtsverfahren eigentlich Rache ist. Das muss ich jetzt hier mal ganz klar sagen. Hier möchte ich auf einen Artikel auch von Herrn Professor Schönberg in der letzten Ausgabe des "Stern" verweisen. Er spricht von massiver Verletzung der Menschenrechte, unter anderem die Verwehrung des kollektiven Menschenrechts auf Selbstbestimmung, unverhältnismäßige, exzessive Ausübung körperlicher Gewalt und so weiter, und so weiter.
    Also ich denke, da sollte man noch mal ganz genau hinschauen, was denn eigentlich in Spanien passiert und ob man immer nur sagen möchte, das ist eine innere Angelegenheit, und das wird sich schon irgendwie lösen. Das ist bis jetzt nicht so gewesen. Wir haben den Katalonien-Spanien-Konflikt bereits seit - ich denke, die Wurzeln liegen in 2006. Dass sich da nie jemand eingemischt hat, das hat natürlich nicht dazu geführt, dass das alles besser geworden ist, sondern ganz im Gegenteil. Wir sind so weit, dass es eben diese zwei Millionen Katalanen gibt, die sich auf jeden Fall abspalten wollen, und die werden auch nicht nachgeben, wenn es kein Zugeständnis gibt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.