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Mögliche Ursachen des Flugzeug-Absturzes über dem Bodensee

    FRAGE: Herr Fongern, zwei Flugzeuge auf Kollisionskurs, die dann beide in den Sinkflug gehen, nur um dann dadurch zusammenzustoßen. Was sagt Ihnen dieser mögliche Unglückshergang?

    Fongern: Das ist eine komplizierte Sache. Das automatische Kollisionswarngerät gibt uns die Richtung vor, in der wir sozusagen den Angreifer ausweichen. Andrerseits müsste das andere Flugzeug, wenn es ein funktionierendes Gerät hat, die Anweisungen bekommen, in eine andere Richtung auszuweichen. Die Computer sprechen sich untereinander ab. Ich sage ganz bewusst: Wenn es denn funktioniert. Vorschrift ist es in unserem Luftraum, allerdings mit der Einschränkung, dass ein solches Gerät auch ein Bord sein muss aber kaputt sein darf, und das ist hanebüchen in einem Luftraum wie dem europäischen oder dem amerikanischen Luftraum, der so dicht beflogen ist. Also Sie können mit so einem Gerät mehrere Tage fliegen, Sie sind zugelassen, und das Gerät kann kaputt sein. Dies ist eine Forderung - egal ob das bei diesem Unfall so gewesen ist oder nicht -, die wir schon lange stellen. Das darf nicht sein. Ein Gerät muss eigentlich immer im Betrieb und funktionsfähig sein.

    FRAGE: Gibt es denn begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit von einem solchen Gerät? Wie störungsanfällig ist das?

    Fongern: Diese Geräte gehören mit zu den zuverlässigsten Geräten. Allerdings kann man damit keine genaue Flugsicherung machen. Dazu sind sie auch nicht geeignet. Das ist das letzte Rettungsnetzwerk, was es im Cockpit gibt, um Fehler, die vorher gemacht worden sind, im Prinzip noch zu retten.

    FRAGE: Der russische Pilot wurde nach Angaben der Schweizer Flugsicherung anderthalb Minuten vor der drohenden Kollision zum ersten Mal gewarnt. Zu spät?

    Fongern: Das kann ich Ihnen leider noch nicht sagen. Wir müssen abwarten, was die Bänder der Flugsicherung, die Auswertung der Radarspuren ergeben. Diese Flugzeuge waren in einer Flughöhe, die ja schon Minuten vorher, vielleicht sogar zehn bis zwanzig Minuten vor Erreichung dieses Punktes bekannt gewesen sind. Die Frage, die man sich stellen muss, ist, ob die am Unfall Beteiligten - und es sind ja mindestens vier: Zwei Flugzeuge und mindestens zwei Flugsicherungsdienststellen - richtig gehandelt haben. Ich möchte nicht jetzt schon vorweg mit dem Finger auf einen der Beteiligten zeigen. Das wäre unfair.

    FRAGE: Ich wollte Sie auch nicht darum bitten, diese Information zu bestätigen, sondern Sie fragen, ob anderthalb Minuten Warnung nicht ausreichen würden.

    Fongern: Mich wundert es, dass es nur anderthalb Minuten vorher sind. Denn normalerweise, nach den Regeln, müsste man schon vorher darauf aufmerksam gemacht werden, dass man irgendwann die Höhe verlassen muss, weil man einen Verkehr in der gleichen Flughöhe zu nahe kommt, denn die Flugwege werden ja auch durch die Flugsicherungscomputer berechnet. Insofern sind anderthalb Minuten für mich dann doch relativ kurz.

    FRAGE: Das Unglück geschah über deutschem Boden. Zuständig ist die Schweizer Flugsicherung. Warum ist das so?

    Fongern: Die Lufträume werden in Europa nach den Notwendigkeiten und nicht nach Staatsgrenzen aufgeteilt, nach der Praktikabilität, und da wir mit der Schweiz sehr gut befreundet sind und gute Kontakte haben, werden dann die Souveränitätsgrenzen nicht als Grenzen der Flugsicherung ausgewiesen, sondern so, wie es der Verkehrsfluss erfordert.

    FRAGE: Aber offenbart sich denn hier nicht dann das Problem des Nebeneinander vieler Sicherungsbehörden?

    Fongern: Nein, im Prinzip sollte ja ein dichtes Kommunikationsnetz zwischen allen Flugsicherungsstellen in Europa funktionieren. Das hat es ja auch bisher immer getan. Und wenn es da zu Schnittstellenproblemen kommen würde, müsste das System so viel Puffer bereitstellen, dass man auch nochmals mit dem Telefon nachfragen kann, bevor es dann zum Kollaps des Sicherheitssystems kommt. Eigentlich kann man sagen: Das System ist weltweit so ausgelegt, dass diese Puffer vorhanden sind.

    FRAGE: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio