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Möglicher Palästinenserstaat sorgt für diplomatisches Kopfzerbrechen

Auf der 66. UN-Vollversammlung in New York will Palästina, offiziell als Staat gar nicht anerkannt, seine Aufnahme in die Vereinten Nationen beantragen. Kulturjournalist Kersten Knipp beschreibt Optionen der deutschen Diplomatie und verweist besonders auf das Verhältnis zu Israel.

Kersten Knipp im Gespräch mit Michael Köhler | 18.09.2011
    Michael Köhler: Nicht nur die israelische Regierung lehnt die Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die UNO ab; auch ein amerikanisches Veto wird den Antrag von Präsident Abbas nicht einfach machen. Unsere Frage soll jetzt weniger die einseitige staatliche Anerkennung sein als die Frage, ob sich Europa und Türkei, deren Staatspräsident Gül heute in Berlin eingetroffen ist, wie sie sich weiter entzweien. Die Spannungen zwischen der Türkei und Israel erleichtern die Begegnung ja nicht gerade. Viele sehen in der Staatsgründung den Schlüssel für eine Befriedung der Region.
    Deutschland wird als nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat 66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dieser Frage dann auch befasst sein. – Kersten Knipp, verändert das das Verhältnis zu Israel?

    Kersten Knipp: Sicher nicht grundlegend, aber vielleicht sendet es doch ein Signal aus. Ganz sicher sendet es ein Signal aus, denn wie immer Deutschland sich verhält, wenn es Israel unterstützt, also ein Veto einlegt, dann ist das Signal klar, es ist dann aber auch ein Signal gegen die Palästinenser. Andererseits: Deutschland kann sich enthalten, oder eben die Palästinenser unterstützen in ihrem Antrag. Beides würde man in Israel auffassen als Modifikation gewohnter Verhaltensweisen, und das wäre schon ein Signal. Also es wäre nicht mehr die bedingungslose Unterstützung Israels, sondern es wäre ein leichtes Abrücken, und man könnte dann es auch so verstehen, als wäre es ein neuer Umgang mit den Konsequenzen, die man bisher nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Holocaust als selbstverständlich im Verhältnis zu Israel betrachtet hat. So könnte man das verstehen. Man kann aber auch sagen, nein, es ist ein wenig anders, diese Kritik kann auch positive Aspekte gegenüber Israel enthalten, indem es ein Signal ist, dass das Land sich öffnen muss, gerade jetzt, angesichts des Arabischen Frühlings, wo natürlich auch eine neue israelische Politik entstehen muss. Allerdings ist es natürlich Sache Israels selbst, darüber zu entscheiden und nicht von außen Hinweise entgegenzunehmen.

    Köhler: Also Deutsche, die die Staatsgründung Palästinas begrüßen oder befürworten, müssen deshalb noch lange keine Antisemiten sein?

    Knipp: Nein. Das zeigt sich jetzt ja immer mehr, dass dieses Thema immer virulenter wird, auch in der Presse, im Radio, überall. Die Frage, wie geht man damit um, mit Israel, mit gewissen Phänomenen, wie drückt man sie überhaupt aus, das ist ja eine hoch diffizile Angelegenheit. Allein es fängt schon an bei der Wortwahl. Israel, die Politik im Westjordanland, ist das eine Sicherheitspolitik – so würden die Israelis es benennen -, oder ist es eine Besatzungspolitik – so würden es die Kritiker beschreiben. Oder die Siedler, die religiös motivierten Siedler, was sind das? Eiferer, so könnte man es milde ausdrücken; man könnte aber auch eine Spur härter sagen, Fundamentalisten und Extremisten. Also schon in der Wortwahl fängt man an, Position zu beziehen. Das Gleiche gilt für die palästinensische Seite. Widerstandskämpfer: Sind es eben solche Widerstandskämpfer, ist eine Spur milde ausgedrückt, oder würde man sagen, es sind Terroristen, da nähert man sich dem israelischen Standpunkt. Also allein in der Wortwahl fängt man schon an, sich zu positionieren.

    Und hinzu kommt natürlich dann die Frage nach den Motiven, die ganz entscheidend ist, warum äußere ich mich zu Israel so, wie ich es tue, was motiviert mich, und da ist in der Tat die Spannweite möglicher Beweggründe ungeheuer groß. Sie kann reichen von einem lupenreinen Antisemiten, der sich modern, postmodern äußert, als Israel-Kritik dazu, bis eben hin zu denen, die meinen, nein, man muss tatsächlich ein wenig die israelische Politik wirklich kritisieren, um hinzuweisen darauf, dass einige Dinge sich auch ändern können auch zum Nutzen Israels. Es ist die Frage, ob das aus dem Ausland kommen soll, das habe ich schon mal gesagt, aber es ist ein legitimer Punkt vielleicht auch, und da changieren, sicher auch oft nicht immer unterscheidbar, die verschiedenen Beweggründe und das ist dann natürlich auch eine Frage, wie bewusst sind solche Beweggründe, und da fängt es dann an natürlich, dass man sagt, es ist ein versteckter Antisemitismus, oder es ist ein ganz bewusster, wie bewusst ist demjenigen, der sich äußert, eigentlich seine Bewusstlage. Das ist eine Sache, eine Frage, die von israelischer oder beziehungsweise in Deutschland von jüdischer Seite des Öfteren gestellt wird. Henryk Broder stellt diese Frage sehr oft: Was treibt eigentlich die Israel-Kritiker, oder auch sogenannten, so würde er es sagen, Israel-Kritiker. Also da ist ein Motivationsgeflecht, das äußerst komplex ist.

    Köhler: ..., sagt Kersten Knipp, denn die UN-Vollversammlung will über den Palästinenserstaat nächste Woche entscheiden.

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