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'Möglichkeiten des Bundeskanzlers eingeschränkt'

Lange: Ich begrüße Professor Hans Kleinsteuber, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg. Guten Morgen, Herr Kleinsteuber.

    Kleinsteuber: Schönen guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Nachdem die Regierung und die Koalitionsparteien durch ihre Öffentlichkeit und mit Hilfe der Medien dieser Rede diese Bedeutung gegeben haben, ist da das Scheitern von Gerhard Schröder nicht eigentlich schon vorgezeichnet?

    Kleinsteuber: Lassen Sie mich vielleicht als erstes mal sagen, wo sie Medien und Öffentlichkeit erwähnen: Es ist eine gute Sache, dass Schröder mit dieser Rede in den Bundestag geht. Man hat ihm ja jahrelang, gerade weil er als Medienkanzler erfolgreich war, vorgeworfen, dass er wichtige Erklärungen ganz woanders macht, nämlich vor Fernsehkameras oder vielleicht auch im Wahlkampf, und von daher ist es auf jeden Fall richtig - so meint es das parlamentarische System -, dass diese Rede in den Bundestag gehört und sie dort danach mit der Opposition diskutiert wird.

    Lange: Aber die Schwelle liegt ganz schön hoch?

    Kleinsteuber: Die Schwelle liegt sehr hoch. Gestern hat die Bild-Zeitung geschlagzeilt, Schröders letzte Chance, und hat behauptet, das sei die letzte Chance, das Ruder herumzureichen und Deutschland wartet mit Hochspannung auf ihn. Ich glaube, das ist alles ein bisschen ein Hype. Vor allem aber lässt unser politisches System gar nicht zu, dass der Kanzler ein Ruder herumreißen kann. Der Kanzler kann Anstöße geben, kann argumentieren. Er muss mit der eigenen Partei - Sie haben es ja gerade noch einmal betont -, mit der Parteilinken, mit der eigenen Koalition klarkommen und er muss, weil die meisten Dinge zustimmungspflichtig sind, eben auch mit der Opposition im Bundesrat klarkommen. Da kann man überhaupt keine großen Würfe machen. Das ist völlig undenkbar.

    Lange: Jetzt ist dieses Wechselspiel von Politik und Medien schon angesprochen worden. Event war ein Stichwort - neudeutsch sozusagen. Was sagt das denn alles über die Wechselwirkungen dieser beiden Sphären aus? Funktionieren die wirklich noch so, dass es der Gesellschaft wirklich weiterhilft?

    Kleinsteuber: Der Kanzler geht ja gerade in den Bundestag und entmachtet an diesem Punkt die Medien. Er ist ja bekannt dafür, dass er sich mit Ihnen, den Journalisten gern zusammensetzt, hier mal eine kleine Information herauslecken lässt, dort mal jemanden bevorzugt, so dass er damit jahrelang auch, zumindest bei einem Teil der Medien, gute Presse bekam. Jetzt macht er eine ganz neue Offensive, denn das was er im Bundestag sagt, das kann jeder Bundesbürger zum selben Zeitpunkt verfolgen und Journalisten haben keinerlei Vorsprung. Ich finde, das ist eigentlich gut, das ist eine neue Art von Risiko, die Schröder eingeht und ich hoffe, dass er in dieser Form zukünftig eine stärkere parlamentarisch akzentuiert Politik auch macht.

    Lange: Aber zu glauben, dass sich da jetzt jemand hinstellen und einfach sagen kann, hier geht`s jetzt lang, also ein Machtwort zu verlangen oder auch zu begrüßen, deutet das nicht auf ein ziemlich autoritäres Politikverständnis?

    Kleinsteuber: Ja, das ist genau die Gefahr, in die sich Kanzler Schröder begibt. Er tut so, als wenn er der Mann an der Spitze wäre, als wenn er die Autorität wäre, während unser politisches System sehr stark von Macht-Diffusionen ausgeht, das heißt, vielen anderen ermöglicht, mitzusprechen, auch solchen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen. Am Ende dieses Prozesses - das droht Schröder - wird klar: Er kann dieses Machtwort nicht sprechen, weil ihm viele andere in die Suppe spucken und er dann plötzlich im Regen steht und sagen muss: Ich wollte das tun, aber ich habe es nichts geschafft. Das würde ihn weiter demontieren. Das ist eine Gradwanderung, ein ganz heikles Spiel, auf das er sich im Moment begeben hat.

    Lange: Nun hören wir: Keine Sammlung von Einzelmaßnahmen, stattdessen ein Gesamtkonzept. Trauen Sie das dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, so wie Sie ihn wahrnehmen, zu?

    Kleinsteuber: Also, es wird höchste Zeit, dass er das vorlegt. Es sind ja immer wieder sozusagen Segmente diskutiert worden, und jemand muss das zusammenführen und dann auch zubinden. Ich traue es ihm rhetorisch zu. Da habe ich keine Sorge. Ich weiß, er ist ein guter Redner. Ich weiß, dass er auch unter Druck stark reagieren kann. Die Frage ist nur: Wenn er ein Gesamtpaket vorlegt, was passiert damit? Das zerredet die eigene Partei, das zerredet die eigene Koalition und die Opposition wird es ihm auch nicht leicht machen. Das ist sein zentrales Problem.

    Lange: Dieses Land hat sich ja mit dem Sankt-Floriansprinzip ganz gut eingerichtet. Das hat vor ein paar Jahren auch Roman Herzog zu spüren bekommen, der seine erste Berliner Rede ja als Ruckrede angesetzt hat. Nun hat man von dem nicht erwartet, dass er auch alles selbst umsetzt, aber kann die öffentliche Rede in diesem Land überhaupt noch etwas ausrichten?

    Kleinsteuber: Ich bin ganz sicher. Übrigens, als Roman Herzog seine Ruckrede gehalten hat, hatte er ja analysiert, welche Möglichkeiten er als Bundespräsident hat, und er hat festgestellt, dass er, zumindest dann, wenn wir nicht im Notstand sind, ganz wenig formale Rechte hat. Also hat er nur eine Chance, nämlich durch spannende Auftritte auf sich aufmerksam zu machen und Akzente zu setzen. Und Roman Herzog hat das auch vielfältig gemacht, hat das übrigens auch selbst so mal dargestellt, dass er meint, sein Amt sei eine rhetorisches Amt. Ich glaube, für den Bundeskanzler gilt dies auch zunehmend, und von daher ist es auch richtig, dass er das im Bundestag macht. Nur auch für den Bundeskanzler gilt: Er hat nur begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten in diesem komplizierten politischen System, in dem wir uns bewegen und in dem ja in vieler Hinsicht die Opposition - das unterscheidet uns von fast allen anderen parlamentarischen Systemen - eigentlich mitregiert, zumal sie jetzt im Bundesrat die Mehrheit hat.

    Lange: Wie sieht dieses Land, die Regierung aus, wenn es in einem halben Jahr bei guten Vorsätzen geblieben ist?

    Kleinsteuber: Es muss etwas geschehen und es ist zu hoffen, dass dies konzertiert geschieht und nicht sozusagen im letzten Moment, um hier zu reparieren und dort zu flicken. Ich hoffe einfach, dass sich die Regierung des Ernstes der Lage bewusst ist und da jetzt auch gezielt an die Sache herangeht. Ich bin sicher, dass es viele geben wird, die im Lande betroffen sind, weil sie weniger verdienen, weil sie vielleicht weniger Rente zu erwarten haben, weil sie mehr Abgaben zu erwarten haben. Ich bin auch ganz sicher, dass die Krise der Regierung Schröder morgen noch nicht vorbei ist, auch nicht in einem halben Jahr vorbei ist. Da muss man sehen, dass Schröder nicht nur ausbadet, was er sich vielleicht selbst eingebrockt hat, sondern Schröder muss jahrzehntelange Fehlentwicklungen heute verantworten und das überfordert ihn natürlich sehr schnell.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Hans Kleinsteuber, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio