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Möglichst früh Nachwuchs rekrutieren

Sie heißen Iuvenis Gothia, Teutonia-Hamburgia oder Amicitia: Pennäler-Burschenschaften, die Gymnasiasten ab 14 Jahren ansprechen. Rund 150 solcher Verbindungen gibt es in Deutschland, Tendenz steigend. Dabei wissen die Schüler meist nicht, dass es sich hier um eine extrem rechte Szene handelt.

Von Cora Derschau | 24.04.2013
    Sie heißen Iuvenis Gothia, Teutonia-Hamburgia oder Amicitia: Pennäler-Burschenschaften, die Gymnasiasten ab 14 Jahren ansprechen wollen. Rund 150 Schülerverbindungen gibt es in der Bundesrepublik, Tendenz: steigend. Dabei wissen die Schüler meist nicht, dass es sich hier um eine extrem rechte Szene handelt.

    An der Wand reihen sich martialisch aussehende auf alt getrimmte Fechtmasken. Darunter stecken verschiedene Säbel in ihren Halterungen. Gegenüber hängt Schutzkleidung auf dem Bügel. Daneben ein deckenhoher Spiegel. Einmal pro Woche trainiert auf diesem Fechtboden eine Pennäler Burschenschaft:

    Nebenan im Zimmer zieren alte Wappen früherer Schülerverbindungen die Wände, Fotos der alten Herren hängen neben einer Karte vom Großdeutschen Reich. Auf einem Schrank verstauben alte Wehrmachtshelme.

    Hiebe rechts und links, auf Schultern, Arme und Oberkörper, mit speziellen stumpfen Schülersäbeln, das wird bei schlagenden Schülerverbindungen wöchentlich geübt. Die Botschaft an die 14- bis 18-Jährigen: Austeilen und einstecken können. Angeleitet werden die Schüler von einem Mitglied der studentischen Burschenschaft, zu der die Schülerverbindung normalerweise gehört.

    Ob 14 Jahre oder 20 Jahre alt, abgesehen von den stumpfen Schülersäbeln und der Altersbeschränkung fürs Fechten auf 16 Jahre, herrschen für Schüler und Studenten in Deutschlands Pennäler Burschenschaften dieselben Regeln. Zum Beispiel: schwarzer Anzug bei Feierlichkeiten, die Anwesenheit bei Vorträgen. Kürzlich referierten Gymnasiasten in München bei der Saxonia Czernowitz über die Vertreibung der Sudetendeutschen und die 68er-Bewegung.

    Das Münchner A.I.D.A.-Archiv, Informations- und Dokumentationsstelle gegen Rechtsextremismus, beschrieb bereits im Juli 2011 die wachsenden Aktivitäten von Schülerburschenschaften in Bayern und Deutschland. Mit Anzeigen in rechtsradikalen Zeitschriften, Auftritten in Facebook oder über Mund-zu-Mund-Propaganda suchen sie gezielt den ganz jungen Nachwuchs, hat Robert Andreasch vom aida-archiv beobachtet:

    "Man weiß, dass männliche Studierende an Unis aufgeklärt werden von antifaschistischen Initiativen und Studierendenvertretungen über den Charakter so mancher Burschenschaft und studentischer Verbindung und dem will man zuvorkommen. Jugendliche, die noch nicht wissen, dass es sich hier um extrem rechte Gruppen handelt, will man quasi schon vom Gymnasialalter einbinden."

    Was anfangs wie eine coole Freizeitbeschäftigung klingt in Vereinen mit Namen wie Iuvenis Teutonia-Hamburgia, Amicitia, Weiße Absolvia, Normannia Winterberg, gehorcht harten Regeln gerade für Schüler. Ein Jahr lang muss der Anfänger, der sogenannte Fux, etliche Prüfungen ableisten. Wichtigste Bedingung: regelmäßiges Erscheinen und genaue Kenntnis der Geschichte, Regeln und Verhaltensweisen der eigenen Burschenschaft.
    Dann wird man vollwertiges Mitglied der Schülerverbindung bis zum Abitur. In München wechselt man bei Studienbeginn zum Beispiel von der Schülerverbindung Saxonia Czernowitz automatisch zur hauseigenen studentischen Verbindung Danubia, deren Aktivitas vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wer nicht studiert, muss gehen, für Schüler ein harter Schnitt. [Recherchen nach Ausstrahlung der Sendung haben ergeben, dass der letzte Satz nicht korrekt ist. Anm. der Redaktion] Was bleibt, sind im Schnitt vier Jahre: Fechtunterricht, Reisen zu befreundeten Schülerverbindungen, Geschichtsvorträge.

    Erst Ende Dezember warnte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV vor einer Radikalisierung frustrierter Teenager. Das bayerische dreigliedrige Schulsystem fördere indirekt Rechtsradikalismus. Der Sprecher des Landesschülerrates Florian Geyer:

    "Die Aussage ist hart. Sie ist hart an der Grenze. Die Kernaussage ist aber richtig. Die Kernaussage ist, dass das bayerische Schulsystem das riesige Problem hat, dass es propagiert: Wenn ich nicht aufs Gymnasium komme, wenn ich kein Abitur habe, dann falle ich unten durch."

    In Berlin lockt die Iuventis Gothia mit moderner Webseite und neuen Medien frustrierte Schüler an, mit wachsendem Erfolg. Über soziale Netzwerke halten sie Kontakt zu Pennäler Burschenschaften in ganz Deutschland und Österreich, in Greifswald und Chemnitz, in Linz und Nürnberg. Nicht alle treten so radikal auf wie die Passauer Schülerverbindung Normannia Winterberg. Sie wurde von NPD-Funktionären wieder belebt, recherchierte das Münchner AIDA-Archiv. Das Titelbild der öffentlichen Facebook-Seite zeigt das Sudentenland in den Grenzen von 1938, ebenso Links zur Identitären Bewegung und zum völkischen Witikobund:

    "Also hier ist ganz klar der Versuch einer alten rechtsradikalen Gruppe, die im Kameradschaftsfeld und im Parteifeld der NPD versucht hat zu wirken, jetzt auch noch ein anderes Personenpotenzial anzusprechen, in dem Fall männliche Gymnasiasten, eigentlich will man auch männliche Studierende ansprechen, aber es soll versucht werden, möglichst, möglichst früh schon Nachwuchs gewinnen zu können."

    Das klingt, als ob in Zeiten eines drohenden NPD-Verbotes, des anstehenden NSU-Prozesses und der Sensibilisierung der Bevölkerung rechte Gruppen hier ein neues Spielfeld suchen.

    Dem bayerischen Verfassungsschutz sind Aktivitäten dieser oder ähnlicher Gruppierungen allerdings noch gar nicht aufgefallen. Burkhard Körner, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz:

    "Über die Aktivitas der Danubia hinaus ist derzeit keine weitere Burschenschaft Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes, auch keine Schülerverbindung oder Ähnliches."

    In einem der Verbindungshäuser, der Villa der Münchner Danubia Burschenschaft, dröhnt zur Zeit Baulärm durchs oberste Stockwerk. Hier wird seit geraumer Zeit kräftig renoviert. Für die Zukunft.