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"Möglichst innerlich unabhängig"

Wolfgang Böhmer (CDU) hat heute seinen letzten Arbeitstag als Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Als knorrig wird er oft bezeichnet: "Ich habe mir den Luxus bewahrt, eine eigene Meinung zu vertreten", sagt der ehemalige Frauenarzt und sieht die nicht existenzielle Abhängigkeit vom Politikerjob als eine Grundvoraussetzung dafür.

Wolfgang Böhmer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.04.2011
    Friedbert Meurer: Neun Jahre lang also stand Wolfgang Böhmer an der Spitze des Landes Sachsen-Anhalt, heute ist der letzte Arbeitstag als Ministerpräsident. Und wir erreichen ihn jetzt, wenn ich das richtig sehe, in seinem Dienstwagen. Guten Morgen, Herr Böhmer!

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wie fühlen Sie sich heute Morgen an Ihrem letzten Arbeitstag?

    Böhmer: Also, ich habe keinen Grund zu klagen. Es ist alles so gelaufen, wie es geplant war. Und es wird auch heute so laufen, denke ich, und demzufolge kann ich eigentlich zufrieden sein.

    Meurer: Wird Ihnen der Dienstwagen bald fehlen?

    Böhmer: Wahrscheinlich wird es eine Übergangszeit geben, in der er mir fehlt. Das wäre ja menschlich verständlich. Aber auch das ist planmäßig so.

    Meurer: Das Attribut, das Ihnen am meisten in den Porträts zugeschrieben wird, wenn man so ein bisschen durch die Zeitungen blättert, das lautet, Sie seien knorrig. Nehmen Sie das als Kompliment?

    Böhmer: Ich weiß nicht, wie es ursprünglich mal gemeint war, aber ich habe mich daran gewöhnt und ich werte es lieber nicht.

    Meurer: Standhaft, aber eigenwillig, könnte man das übersetzen. Wären Sie einverstanden mit dieser Beschreibung?

    Böhmer: Ich hätte nichts dagegen.

    Meurer: Worin liegt Ihre Eigenwilligkeit, Herr Böhmer?

    Böhmer: Ich habe es mir immer als einen besonderen Luxus betrachtet, eine eigene Meinung zu haben. Und so weit ich sie begründen konnte und davon überzeugen konnte oder dafür überzeugen konnte, bin ich auch nicht schlecht gefahren damit.

    Meurer: Wie oft haben andere zum Beispiel in der CDU eine andere Meinung gehabt als Sie?

    Böhmer: Ach Gott, ich habe das nicht gezählt. Natürlich kommt das immer wieder vor und dann muss man die Argumente austauschen. Und irgendwann einmal hat jemand recht.

    Meurer: Stimmt es eigentlich, dass Sie ab und zu in CDU-Präsidiumssitzungen eingeschlafen sind, weil es so langweilig war?

    Böhmer: Nein, das ist eine Erzählung, die habe ich auch schon mal gelesen. Aber das ist eine eigenwillige Interpretation der Tatsache, dass ich mal gelegentlich die Augen zugemacht habe.

    Meurer: Und dann konzentrieren Sie sich auf das, was andere sagen, oder?

    Böhmer: Das kommt auch vor, aber nicht immer ist es so interessant, dass sich es lohnt, sich zu konzentrieren.

    Meurer: Sie sagen, Sie äußern gerne Ihre Meinung. Vermissen Sie das ein bisschen, zum Beispiel in einer Gremiensitzung der CDU, dass da mehr Klartext geredet wird?

    Böhmer: Nein, nein, da wird schon Klartext geredet und wir sitzen ja zusammen, um Meinungen auszutauschen und um die beste Lösung zu suchen. Ich halte das für völlig normal.

    Meurer: Wann haben Sie zum letzten Mal der Kanzlerin Ihre Meinung gesagt?

    Böhmer: Ach Gott, das weiß ich nicht. Da wird auch kein Tagebuch geführt. Und es ist ja nicht so, dass wir immer unterschiedlicher Meinung nur wären. Es gibt auch viele Fälle, wo wir uns gegenseitig Mut gemacht haben und bestätigt haben.

    Meurer: Das Problem ist ja, dass selbst solche Gremiensitzungen quasi als halb öffentlich gelten, weil irgendeiner der Anwesenden ja doch gegenüber den Journalisten plaudert. Führt so etwas dazu, dass man kaum noch ein offenes Wort auch in Gremien sagen kann?

    Böhmer: Leider haben Sie recht. Es wird dann immer gesagt, aber dies muss unter uns bleiben und das wird mal nicht der Zeitung ausgeplaudert. Und trotzdem steht es am nächsten Tag in irgendeiner Zeitung. Ich habe das immer als ärgerlich empfunden.

    Meurer: Letzter Fall könnte gewesen sein, da ging es um Hartz IV. Da haben drei Leute miteinander verhandelt, das waren Sie, Horst Seehofer und Manuela Schwesig, und am nächsten Tag stand es in der Zeitung.

    Böhmer: Also, Frau Schwesig war bei diesen Runden, von denen Sie jetzt sprachen, nicht dabei. Das war der Kollege Beck aus Rheinland-Pfalz, Herr Seehofer und ich. Wir hatten uns mal getroffen, um zu sondieren, wo es Berührungspunkte gibt, wo wir uns näher kommen könnten, wo eine Lösung möglich ist. Und darüber wollten wir allerdings nicht in der Öffentlichkeit sprechen, aber das hat auch nicht gehalten.

    Meurer: Funktioniert also Vertraulichkeit in der Regel nicht?

    Böhmer: Wenigstens nur selten.

    Meurer: Entwickeln sich, wenn man so ein bisschen auf die neuen Bundesländer schaut, da Politiker etwas anders als im Westen? Gibt es da andere Spielregeln?

    Böhmer: Ich glaube nicht, dass das mit den geografischen Zusammenhängen herrührt und zusammenhängt, sondern das sind die typischen Wendeschicksale, die andere Biografien verursacht haben. Das wird sich aber auch ändern. Mit der beginnenden Normalität werden auch die Politikerbiografien wieder einander sehr ähnlich werden, schätze ich.

    Meurer: Aber noch ist es ja so. Führen diese Wendebiografien dazu, dass die Kollegen im Osten eher an der Sache interessiert sind und weniger die Werbetrommeln in den Medien für sich rühren?

    Böhmer: Gut, das war vor 20 Jahren ganz eindeutig so. Das ist jetzt immer noch ein bisschen so, aber ich habe die Befürchtung, dass sich das verlieren wird.

    Meurer: Was würden Sie sich denn wünschen, wie Politiker sein sollten?

    Böhmer: Möglichst innerlich unabhängig. Das halte ich für eine ganz wichtige Sache. Deswegen gibt es trotzdem Fraktionsdisziplin und ähnliche Sachen, anders funktioniert Demokratie nicht. Aber eine gewisse innere Unabhängigkeit sollte man möglichst mitbringen und auch im politischen Geschäft nicht verlieren.

    Meurer: Bekommt man diese innere Unabhängigkeit dadurch, dass man die Möglichkeit hat, in einen anderen Job zu wechseln, so wie das bei Ihnen als Frauenarzt vielleicht möglich gewesen wäre?

    Böhmer: Also, das ist eine ganz wichtige Grundbedingung. Wenn man direkt existenziell abhängig ist, dann ist es mit der Unabhängigkeit meistens nicht weit her.

    Meurer: Wie erleben Sie, oder welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen der Rolle als Arzt – Sie haben, glaube ich, 30 Jahre lang als Arzt gearbeitet – und als Politiker?

    Böhmer: Na gut, es gibt wenigstens eine Grundgemeinsamkeit. Vor jeder Entscheidung über die Therapie steht erst einmal eine sachgerechte Diagnose. Das gilt in der Medizin und das gilt auch in der Politik, dass man möglichst unvoreingenommen die Situation einschätzt und sich möglichst wenig selbst vormacht. Und das ist schon allerhand.

    Meurer: Ist der große Unterschied, dass Sie als Chefarzt vielleicht am besten höchstens dem Patienten erklären mussten, was los ist, und als Politiker müssen Sie Hunderttausende überzeugen.

    Böhmer: Das ist schon ein ganz gewaltiger Unterschied, der dann auch dazu führt, dass der Zeitaufwand ein ganz anderer ist als der, den ich früher gewohnt war.

    Meurer: Ab morgen sind Sie Privatier, oder vielleicht genauer gesagt ab heute Nachmittag. Wie werden Sie, Herr Böhmer, Ihre Zeit verbringen?

    Böhmer: Ja gut, zunächst mal habe ich zu Hause eine ganze Menge aufzuräumen. Und dann will ich mal einen Teil der Bücher lesen, die ich in den letzten 20 Jahren gekauft habe. Also ich hoffe, ich werde mich schon beschäftigen.

    Meurer: Wolfgang Böhmer, noch ist er Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, heute wird sein Nachfolger gewählt, also ist heute sein letzter Arbeitstag. Herr Böhmer, wir wünschen Ihnen alles Gute. Auf Wiederhören!

    Böhmer: Auch Ihnen, Herr Meurer. Danke!