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Möllemann stellt sich vor FDP-Neumitglied Karsli

Heinlein: Es war ein politischer Überraschungscoup: Stolz präsentierte Jürgen Möllemann den grünen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli. Dieser hatte seine Partei verlassen, um der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag beizutreten. Die rot-grüne Mehrheit von Ministerpräsident Clement schrumpfte. Der von Möllemann angestrebte Koalitionswechsel kam wieder ein Stückchen näher. Doch mittlerweile erweist sich der grüne Überläufer als politisches Kuckucksei für die Liberalen. Es gäbe eine zionistische Lobby in Deutschland, so und ähnlich Interviewäußerungen des Neuliberalen. Der Zentralrat der Juden lief daraufhin Sturm und forderte seinen Parteiausschluss. Dieser Forderung schlossen sich gestern zahlreiche führende FDP-Politiker an - an der Spitze der Ehrenvorsitzende Graf Lambsdorff. Am Telefon nun, FDP-Vizeparteichef, Jürgen Möllemann. Guten Morgen.

    Möllemann: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Möllemann, Sie konnten noch einmal darüber schlafen: Werden Sie Jamal Karsli aus der Partei ausschließen?

    Möllemann: Entscheidungen über Mitgliedschaft oder Nicht-Mitgliedschaft macht bei uns nicht ein Einzelner nach Gutdünken, sondern das geht in einer demokratischen Partei, was die Aufnahme oder das Gegenteil, den Ausschluss angeht, nach strengen demokratischen Regeln, und nach diesen strengen Regeln hat vor zwei Tagen der zuständige Kreisverband Recklinghausen mit zwei Drittel Mehrheit Herrn Karsli in die Partei aufgenommen. Mir sind keine Sachverhalte bekannt, die einen Ausschluss begründen würden.

    Heinlein: Da gibt es Stimmen in Ihrer Partei, die das anders sehen. So will die große alte Dame Ihrer Partei, Hildegard Hamm-Brücher, aus der Partei austreten, falls Karsli in der FDP verbleibt. Würden Sie das in Kauf nehmen, um Karsli nicht ausschließen zu müssen?

    Möllemann: Frau Hamm-Brücher kennt Herrn Karsli nicht. Das lässt sie auch mit großer Unbefangenheit über ihn reden. Ich würde es bedauern, wenn Frau Hamm-Brücher austrete, aber es ist ihr freier Wille, sie muss wissen, was sie tut. Ich kann nicht hingehen und wegen des Unbehagens einiger an einem Araber, der nach Deutschland eingewandert ist, der mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat, der seit acht Jahren dem Landtag als Abgeordneter der Grünen angehört, ohne dass irgendeiner irgendetwas an Schwierigem daran entdeckt hätte, hinnehmen, dass, wenn dieser Mann der FDP beitritt und sich zu dem Nahostkonflikt auf dem Hintergrund des friedensgefährdenden Vorgehens von Ariel Scharon sehr kritisch einlässt, er dann ausgeschlossen werden muss. Er hat dabei zwei Formulierungen gebraucht, die wir gerügt haben, für die er sich öffentlich entschuldigt hat, und ich will den sehen, den Journalisten, den Politiker, den Menschen, der nicht einmal einen schweren Fehler macht. Wenn sich jemand drei Mal öffentlich entschuldigt, dann muss man auch einmal verzeihen können.

    Heinlein: In welcher Form und wo hat er sich denn öffentlich für seine Entgleisungen entschuldigt?

    Möllemann: In mehreren öffentlichen Erklärungen, zuletzt jetzt in einem Brief, der allen Funktionsträgern der FDP vorliegt, bringt er mehrfach sein Bedauern über diese Missgriffe zum Ausdruck und darüber, dass das auch der Partei, der er helfen will, schadet. Aber mein Eindruck ist, wenn ich mir die gestrigen Einlassungen, insbesondere von Michael Friedmann, anschaue, dass das so erkennbar der Versuch ist, von einem Drama im Nahen Osten, das durch die israelische Regierung verursacht wird, abzulenken. Da haben die jetzt vor drei Tagen wirklich beschlossen: Es darf keinen Staat Palästina geben. Das ist eine Kriegserklärung an den Nahen Osten, und statt dass Herr Friedmann alle seine Möglichkeiten einmal nutzt, deutlich zu machen, dass wir diesen Krieg nicht wollen, dass er die israelische Regierung von sich aus auch einmal zur Ordnung ruft, prügelt er auf einem einzelnen Araber ein, der sich einen verbalen Ausrutscher hat zuschulde kommen lassen.

    Heinlein: Herr Möllemann, bleiben wir noch einen Moment bei Ihrer Partei: Hildegard Hamm-Brücher - ich habe es erwähnt - ist nicht alleine. Es gibt andere prominente Stimmen in der FDP, die durchaus Gründe sehen, um Jamal Karsli nicht in der FDP zu belassen. Ich nenne einige: Döring, Leutheusser-Schnarrenberger, Brüderle, Hausmann - das sind ja prominente Namen. Sie sagen alle: Karsli gehört nicht in die FDP. Wie werden Sie denn auf diese Forderungen reagieren?

    Möllemann: Wie das einer Rechtsstaatspartei zusteht und wie es ihr auch gut ansteht. Zunächst einmal möchte ich gerne die Süd-West-Liberalen - es fällt ja schon auf: Döring, Hausmann, Kinkel, das ist die alte Liebe der Baden-Württemberger zur FDP - herzlich bitten, sich vielleicht erst einmal ein persönliches Bild zu machen. Dass Liberale über einen Menschen reden, den sie überhaupt nicht kennen, in einer Weise, die ich als kränkend empfinde, steht uns allen nicht gut. Zweitens aber: Meinungsverschiedenheiten in einer demokratischen Partei, gerade bei einem solchen emotionalen Thema, sind nichts Ungewöhnliches, und deswegen wird das nun so gehandhabt werden, dass wir uns in unserer nächsten Landesvorstandssitzung am 3. Juni mit der Situation beschäftigen. Da können dann diejenigen Mitglieder des Landesvorstandes - das ist auch wiederum in unseren Statuten geregelt -, die die Entscheidung des Kreisverbandes Recklinghausen anfechten wollen, einen Beschluss beantragen. Und wenn der Beschluss getroffen würde - ich rede jetzt rein hypothetisch -, dass der Landesvorstand die Entscheidung des Kreisverbandes Recklinghausen anficht, dann würde ein Schiedsgericht darüber zu befinden haben. Und ich finde, das ist auch das Normale in einer Rechtsstaatspartei. Ich kann nur - nach dem Stand heute - bis zum jetzigen Moment sagen, dass ich keinen Anlass sehe, Herrn Karsli aus der FDP auszuschließen. Wir haben ihn in die Fraktion aufgenommen und der Kreisverband Recklinghausen hat sich entschieden. Nun muss in einer vernünftigen und sachgerechten Weise im Landesvorstand am 3. Juni beraten werden.

    Heinlein: Kann sich denn Ihre Partei, die FDP, die in der nächsten Bundesregierung den Außenminister stellen will, solch stark einseitige anti-israelische, anti-zionistische Wortführer leisten?

    Möllemann: Die Behauptung, dass Herr Karsli nun ein Wortführer für die FDP sei, ist dann doch vielleicht des Guten etwas zu viel. Er ist jetzt ein neues Mitglied, eines von 62.000. Die Wortführer in der Außenpolitik heißen vielleicht Westerwelle, Gerhard, Möllemann und andere, aber gewiss nicht Herr Karsli.

    Heinlein: Aber er sorgt für Schlagzeilen.

    Möllemann: Ich will nur sagen: Wir haben zweitens auf dem Bundesparteitag in Mannheim einen Beschluss gefasst, hinter den sich Herr Karsli übrigens uneingeschränkt stellt, und da zeigt sich, dass die FDP offensichtlich die einzige Partei im Moment in Deutschland ist, die auf der einen Seite, wie sich das gehört, das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber unterstützt, aber daneben sagt: Es muss das gleiche Recht für einen Palästinenserstaat geben, gleichberechtigt und schnell, und deswegen erlauben wir uns, den Mann und seine Regierung auch in aller Härte zu kritisieren, der dieses Grundanliegen des Weltsicherheitsrates, der Europäischen Union und von uns Deutschen mit Füssen tritt. Und da gibt es auch kein Pardon - ich muss das sagen: Ich lasse mich durch einer Strategie, insbesondere von Herrn Friedmann praktiziert, der Einschüchterung überhaupt nicht beeindrucken. Es geht hier um Krieg und Frieden im Nahen Osten und nicht um die Eitelkeiten von Herrn Friedmann.

    Heinlein: Wollen Sie denn Ihre 18 Prozent bei den Bundestagswahlen - Sie haben ja Herrn Karsli gerade eben noch einmal verteidigt - mit Stimmungen aus einem Spektrum holen, die Äußerungen über eine weltweite zionistische Lobby gutheißen?

    Möllemann: Nein, wenn es so wäre, hätte ich Herrn Karsli ja nicht dazu aufgefordert, sich zu entschuldigen, das zurückzunehmen. Das kann man ja nun wirklich nicht mehr missdeuten. Wir haben nichts mit Antisemitismus am Hut. Hingegen möchte ich sehr gerne von den drei Millionen Moslems, die bei uns wohnen, von denen 800.000 wahlberechtigt sind, viele für die FDP gewinnen, weil ich es für unsere Aufgabe und für die Aufgabe der demokratischen Parteien halte, unsere Ausländer, die jetzt Inländer geworden sind, Staatsbürger, unser Wahlrecht haben, zu integrieren. Das geht nicht, indem man sie außen vorhält.

    Heinlein: Egal was sie sagen?

    Möllemann: Nein, um Himmels Willen nicht! Mit einer klaren inhaltlichen Position. Ich sage es ja: Unser Bundesparteitag hat beides zum Thema Nahost festgelegt. Erstens: Klares Bekenntnis zum Lebensrecht Israels in sicheren Grenzen, aber genauso klar und genauso gleichberechtigt daneben, ein Staat Palästina, und im Moment verweigert nicht Palästina dem israelischen Staat das Lebensrecht, sondern anders herum, und das muss man so klar ansprechen.

    Heinlein: Jürgen Möllemann, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für dieses Gespräch und Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio