Osteuropa
Moldau zwischen EU-Kurs und russischer Einflussnahme

Die Republik Moldau ist mit dem russischen Angriffskrieg in der benachbarten Ukraine in den Fokus gerückt. Es besteht die Sorge, dass Moskau die Kontrolle in dem Land übernehmen will. Moldaus pro-westliche Präsidentin wurde nun im Amt bestätigt.

    Pro-europäische Demonstranten treffen sich am Wahlabend an einem Denkmal im Zentrum der Hauptstadt Chisinau.
    Politisch ist die Republik Moldau seit Jahren gespalten. Das zeigt sich auch beim knappen Ausgang des Referendums. Darin wurde die Bevölkerung befragt, ob der EU-Beitritt als Ziel in der Verfassung verankert werden soll. (picture alliance / Fotostand / Fotostand / Nieweler)
    Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es Befürchtungen, dass auch die angrenzende Republik Moldau zum Ziel der Machtansprüche des Kremls werden könnte. Die Entwicklung in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien befeuert die Spannungen. Die wiedergewählte Staatspräsidentin Maia Sandu will Moldau auf Kurs Richtung EU halten.

    Inhalt

    Steckbrief: die Republik Moldau

    Die Republik Moldau liegt zwischen Rumänien und der Ukraine. Mit rund drei Millionen Einwohnern zählt der Binnenstaat im Südosten Europas zu den kleinsten Ländern des Kontinents. Die Fläche entspricht in etwa dem Bundesland Brandenburg.
    Historisch gehörte Moldau im 19. Jahrhundert überwiegend zum Russischen Kaiserreich, nach dem Ersten Weltkrieg dann zu Rumänien. Ab 1940 war sie als Sozialistische Sowjetrepublik Teil der Sowjetunion, bevor sie nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 ihre Unabhängigkeit als parlamentarische Republik erlangte.
    Seitdem sind das Land, seine Politik und die Bevölkerung hin- und hergerissen zwischen Russland und dem Westen. Die moldauische Regierung schätzte 2022 den Anteil der prorussischen Bevölkerung auf 30 bis 40 Prozent. Als Alltagssprache ist Russisch immer noch weit verbreitet. Es gibt auch russischsprachige Medien. Zudem sind russische Soldaten in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien stationiert.

    Mehr zu Moldau

    Amtssprache ist Rumänisch, das die Mehrheit der Bevölkerung (rund 82 Prozent) spricht. Größte Minderheiten sind Ukrainer, Russen und Gagausen. Bei den Gagausen handelt es sich um eine turksprachige Bevölkerungsgruppe, die überwiegend im Süden des Landes im als autonom anerkannten Gebiet Gagausien lebt und generell als pro-russisch gilt.

    Krieg in der Ukraine

    Durch den Krieg im Nachbarland Ukraine ist die Republik mit massiven Herausforderungen konfrontiert. Mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer haben seit Beginn des Krieges die moldauische Grenze überquert. Außerdem hat der Krieg auch spürbare wirtschaftliche Folgen. Die Inflation stieg zwischenzeitlich auf etwa 35 Prozent. Für 2024 wird inzwischen eine durchschnittliche Inflationsrate von fünf Prozent erwartet.
    Vor allem der Gaspreis erhöhte sich stark infolge des Krieges. Verantwortlich dafür ist unter anderem die Abhängigkeit von russischem Gas, die bei Kriegsausbruch 100 Prozent betrug.

    Moldaus politisches Klima

    Moldaus Regierungen bewegten sich seit der Eigenstaatlichkeit zwischen West-Orientierung und Wiederannäherung an Russland – ganz ähnlich, wie das in der Ukraine der Fall war. Die politische Folgen dieses Konflikts in Moldau sind Instabilität und ein angespanntes innenpolitisches Klima.
    Derzeit allerdings ist die Republik Moldau so pro-westlich eingestellt wie nie zuvor: Präsidentin Maia Sandu, die von ihrer Partei „Partidul Acțiune și Solidaritate“ („Aktions- und Solidaritätspartei“) gestellte Regierung und die Mehrheit im Parlament zählen zum Lager der pro-westlichen Reformer.
    Anfang März 2022 stellte die Regierung einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Im Juni ernannten die EU-Staaten Moldau gemeinsam mit der Ukraine offiziell zu Beitrittskandidaten.

    Mehr zu Moldau und Präsidentin Sandu

    Sandus Wahl 2020 wurde auch durch den katastrophalen Bankenskandal von 2015 begünstigt: Damals verschwanden in Moldau kurz vor der Abwahl der pro-russischen Regierung rund 900 Millionen Euro bei dubiosen Kreditgeschäften. Bis heute leidet das Land unter dem Verlust.
    Neben Korruption behindert auch der schwelende Konflikt um die seit 1992 abtrünnige Region Transnistrien die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die einstmals wohlhabende Sowjetrepublik gilt als eines der ärmsten Länder Europas.

    Ist Moldau auf dem Weg in die EU?

    Seit Juni 2022 ist Moldau offiziell Beitrittskandidat der Europäischen Union. Als richtungsweisend über den politischen Kurs der Ex-Sowjetrepublik Moldau galten Abstimmungen im Herbst 2024: Die moldauische Bevölkerung war dazu aufgerufen, ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl und bei einem Referendum über den EU-Beitritt abzugeben.
    Die Präsidentschaftskandidatin spricht am 20. Oktober mit Journalisten vor einem Wahllokal.
    Die amtierende Präsidentin Maia Sandu hat nach dem Wahltag schwere Vorwürfe gegenüber Russland erhoben. (picture alliance / dpa / TASS / Veniamin Demidetsky)
    Maia Sandu erhielt bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl die meisten Stimmen. Die pro-europäische Amtsinhaberin lag aber nicht so klar vorn wie erwartet, verfehlte die absolute Mehrheit und musste am 3. November gegen den Kandidaten der russlandfreundlichen Sozialisten, Alexandr Stoianoglo, in die Stichwahl ziehen.
    In dem parallel zur ersten Runde der Präsidentenwahl abgehaltenen Referendum haben sich die Menschen mit sehr knapper Mehrheit (weniger als ein Prozent) dafür ausgesprochen, das Ziel eines EU-Beitritts in die Verfassung aufzunehmen.
    Nach dem Wahltag machte die Staatschefin Sandu einen „beispiellosen Angriff“ auf die Demokratie für den knappen Ausgang des Referendums verantwortlich. Damit bezog sich Sandu auf den Vorwurf der mutmaßlichen russischen Wahlmanipulation. Anfang Oktober hatte die moldauische Polizei einen groß angelegten Wahlbetrug aufgedeckt, bei dem mehr als 100.000 Menschen bestochen worden sein sollen, um im Sinne Moskaus abzustimmen. Auch die EU wirft Russland eine "beispiellose Einflussnahme" vor. Moskau wies die Anschuldigungen zurück und forderte Beweise vorzulegen.
    Präsidentschaftskandidat Alexandr Stoianoglo gibt seine erste Pressekonferenz, nachdem klar ist, dass er in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen antreten wird.
    Der ehemalige Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo von der Sozialistischen Partei des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon ist der schärfste Gegner der amtierenden Präsidentin Maia Sandu (picture alliance / Fotostand / Nieweler)
    Der scheidende Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagte, es sei schlechte Tradition, dass von russischer Seite in der Republik Moldau massiv Einfluss ausgeübt werde. Trotzdem ist Heusgen davon überzeugt, dass es für Moldau „in Richtung Europäische Union“ geht. Das Land habe keine Alternative, und selbst der Gegenkandidat von Sandu, Stoianoglo, habe sich nicht gegen die europäische Integration ausgesprochen. Allerdings müssten, so Heusgen, die Probleme im Land von der Korruption, der Wirtschaft und der Unabhängigkeit der Justiz bewältigt werden.

    Einschätzungen zum Ausgang des Referendums

    Ein erhoffter Rückenwind für Sandus Vorhaben von einem schnellen EU-Beitritt durch das Referendum bleibt mit dem knappen Ergebnis aus. Zumal auch Maia Sandu nicht unumstritten ist. Sie gilt beispielsweise als autoritär im Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern. Ihr wird zudem der massive Energiepreisanstieg nach Kriegsbeginn angelastet.

    Wird Moldau von Russland bedroht?

    Bereits Anfang Februar 2023 hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow Moldau in einem Interview unverblümt ins Visier genommen. Mitte des gleichen Monats folgte der Rücktritt der kompletten Regierung unter der pro-westlichen Premierministerin Natalia Gavrilita und die Wahl des neuen, ebenfalls pro-europäischen Premierministers Dorin Recean durch das Parlament.
    Mitte März 2023 schließlich enttarnte die moldauische Polizei laut eigenen Angaben ein von Russland gesteuertes Netzwerk, dessen Ziel die Destabilisierung des Staates gewesen sei. In dieses Bild fügt sich auch ein geheimes russisches Strategiepapier, das ein internationales Investigativ-Netzwerk ebenfalls Mitte März 2023 öffentlich machte. Unabhängige Beobachter halten es für echt.
    Das fünfseitige Dokument fasst zusammen, was Russland in den kommenden zehn Jahren mit und in der Republik Moldau vorhat. Demnach will der Kreml den Westkurs des in die EU strebenden Landes stoppen und seinen Einfluss im Land ausbauen. Das Strategiepapier soll detaillierte Etappen aufzeigen, wie Moskau seinen ehemaligen Satellitenstaat wieder an seine Seite ziehen will.
    Eine besondere Rolle für den Einfluss Russlands spielt die abtrünnige Region Transnistrien. Am 24. Februar 2024 stellten die Separatisten an Russland die Bitte um „Schutz“: Moldau habe einen "Wirtschaftskrieg" gegen Transnistrien gestartet und blockiere lebenswichtige Importe. Als ein weiterer Punkt für das Schutzgesuch wurden russische Staatsbürger angeführt, die in Transnistrien leben. Moldaus Regierung wies die Resolution als "Propaganda" zurück.
    Die „Schutzbitte“ weckt böse Erinnerungen: Im Februar 2022 hatten pro-russische Separatisten im Osten der Ukraine eine ähnliche Bitte ausgesprochen. Damals nutzte Moskau dies als Anlass für seinen groß angelegten Angriff auf die Ukraine.
    Zwei Personen heben in Delacau, Moldau, einen Kuebel auf ihr Pferdefuhrwerk mit ausgemergeltem Pferd und Fohlen am Strassenrand.
    Armut in Moldau: In vielen Regionen wird mit Pferden anstelle von Transportern oder Traktoren gearbeitet (picture alliance / C. Kaiser)

    Die Region Transnistrien: Wo liegt sie und welche speziellen Probleme gibt es dort?

    Die abtrünnige Region Transnistrien liegt im Osten des Landes an der Grenze zwischen Moldau und der Ukraine. Die Region hat eine eigene Hauptstadt, Währung und Regierung.
    Geografische Einordnung Transnistrien
    Eine von Spannungen durchzogene Region (dpa / Grafik: A. Brühl)
    Transnistrien spaltete sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zwischen 1990 und 1992 in einem blutigen Bürgerkrieg mit fast 1.000 Toten von der Republik Moldau ab und rief einen eigenen Staat aus – mit Hammer und Sichel im Staatsemblem und einer Lenin-Statue vor dem Parlament in Tiraspol. Hintergrund für die Abspaltung war unter anderem eine in Moldau entstandene Nationalbewegung, die eine Vereinigung des Landes mit Rumänien anstrebte. Heute leben etwa 375.000 Menschen in der Region.
    Transnistrien wird von keinem Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen als unabhängig anerkannt. Es selbst hat jedoch diplomatische Beziehungen zu den ebenfalls nicht als Staaten anerkannten Regionen Abchasien und Südossetien in Georgien. Russland unterhält zu allen diesen Regionen gesonderte Beziehungen und hat starken Einfluss auf diese.
    Das Gebiet steht unter dem Einfluss Moskaus. Noch immer sind russische Soldaten in Transnistrien stationiert - nominell als Friedenstruppe. Die Republik Moldau drängt darauf, dass diese Einheiten abgezogen werden. Auch wirtschaftlich ist Transnistrien von Moskau abhängig. So erhält Transnistrien kostenlose Erdgaslieferungen von Russland.

    Was sind die Auswirkungen der Präsidentschaftswahl?

    Bei der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahl setzte sich Amtsinhaberin Maia Sandu Anfang November gegen den russlandfreundlichen Kandidaten Stoianoglu durch. Nach Auszählung fast aller Stimmen kam sie laut Wahlkommission auf rund 55 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 54 Prozent - etwas höher als im ersten Wahlgang.
    Eine entscheidende Rolle bei der Stichwahl spielten die im Ausland lebenden Wahlberechtigten. Von den 326.000 abgegebenen Stimmen aus der Diaspora gingen 270.000 an Sandu - das entspricht einem Anteil von rund 83 Prozent.
    "Die Spaltung bleibt", sagt der christdemokratische Europaabgeordnete Michael Gahler. Er war bei der ersten Wahlrunde in Moldau vor Ort. Gahler rechnet damit, dass der Reformkurs "jetzt noch konsequenter fortgesetzt wird". Hier habe es zuletzt etwa bei den Justizreformen "gehakt". Zugleich betonte er, dass Moldau selbst über seinen politischen Weg entscheiden muss.
    Als nächste politische Wegmarke in Moldau gilt die im Sommer 2025 bevorstehende Parlamentswahl. Denn Sandu kann ihren Reformkurs nur fortsetzen, wenn sie die bisherige Mehrheit in der Volksversammlung verteidigt.

    Astrid Theil, Sabine Adler, rzr, cp, tei