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Moldaus dritter Weg (4/4)
Neue Formen des Protests

In Moldau gehen Zehntausende auf die Straße, um gegen die Politik der Regierung zu demonstrieren - auch junge Aktivisten mit kreativen Ideen sind dabei. Ein Kinderbuch-Held aus Sowjetzeiten erlebt dabei seine Auferstehung: In Chișinău heißt es nicht "Occupy Wallstreet", sondern "Occupy Guguță".

Von Andrea Rehmsmeier | 05.10.2018
    Junge Aktivisten bringen die moldauische Protestbewegung mit Samba-Rythmen in Schwung.
    Junge Aktivisten bringen die moldauische Protestbewegung mit Samba-Rythmen in Schwung. (Deutschlandradio / Andrea Rehmsmeier )
    Die Damen sind in geblümten Kleidern gekommen, die Herren in blütenweißen Hemden: Am Sonntag ist Tanztee im Stadtpark. Treffpunkt ist "Guguță", das ehemalige Kinder-Café. Zwar ist heute vom alten "Guguță" nichts mehr übrig als ein sozialistischer Quaderbau. Der aber ist über und über von wildem Wein bewuchert und von einer verschnörkelt-gusseiserner Einfriedung umgeben.
    Dieser Beitrag gehört zu der Reportagereihe "Der dritte Weg - Die Bürger der Republik Moldau kämpfen um Selbstbestimmung" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Auf dem Dach kann man die verwitterten Bildnisse von Märchenfiguren erkennen. Weitläufige Treppenaufgänge, Säulen und ein verrosteter Fassadenvorbau, der die Fenster wie Höhleneingänge einfasst: Der Betonklotz scheint zu schweben! Hier lädt das Blasorchester zum Tanz.
    Demo-Erfolg von "Occupy Guguță"
    Auf der Rückseite aber zeigt das Guguță-Cafe ein anderes Gesicht. "Unabhängigkeit für Moldau!", lautet eine auf ein Bettlaken gesprayte Losung. Davor breitet sich ein Lagerplatz aus - mit einem olivgrünen Versammlungszelt in der Mitte: Klappstühle, Campingkocher, Trommeln und Tafeln mit Aushängen, die in Filzstift-Schrift mit "Occupy Guguță" überschrieben sind. Allerdings ist das Zelt leer.
    Die Aktivistengruppe "Occupy Guguță" trifft sich an diesem Sonntag an einem anderen Ort: Lagebesprechung in den Räumen einer ehemaligen Weinbar, die den Kreativen der Stadt als Co-Working-Space dient. Über eine Seitenwand flimmern die Filmaufnahmen von einer Demonstration, die eine Woche zuvor stattgefunden hatte. Etwa 40 junge Leute drängeln sich in dem kleinen Raum.
    "Die Protestmärsche der Parteien sind so old school"
    Unerwartet für sie selbst, hatten sie mit ihren Sambatrommeln plötzlich den Protestzug angeführt: "Gerade mal vor drei oder vier Wochen haben wir mit dem Trommeln angefangen und die Rhythmen gelernt!"
    Eine Musikerin von "Occupy Guguță" hatte die Idee gehabt, die moldauische Protestbewegung mit Hilfe von Samba-Rhythmen in Schwung zu bringen. Die Proteste selbst waren zwar von den Oppositionsparteien – doch mit den Trommeln, sagt eine junge Frau, war es ein Leichtes, die Führung zu übernehmen:
    "Uns schien, dass die Protestmärsche, die von unseren Parteien organisiert werden, etwas old school sind. Manche haben sogar auf Facebook gepostet, dass sie die Proteste als rassistisch empfinden, weil sie unsere Minderheiten ausschließen. Daraus ist alles entstanden. Eines Tages haben wir vor dem Zelt am Kinder-Café gesessen und Poster gemalt. Plötzlich kamen andere junge Leute dazu, auch sie haben ihre Botschaften auf Plakate gemalt. In diesem Moment begann etwas Neues, das haben alle gespürt. Ja, das war wohl der Anfang."
    Ein besonderer politischer Geist
    Keine drei Monate ist das her. Die Bürger von Chișinăustanden damals unter Schock, weil im Juni die Bürgermeisterwahl unter einem Vorwand annulliert worden war. Katalyna Bucos, eine schmale junge Frau mit langen Haaren, war damals eine der ersten, die sich zum alten Kinder-Café aufmachte. Eine Bürgerinitiative hatte eine Mahnwache organisiert und deshalb das Zelt aufgestellt, denn "Guguță" droht der Abriss. Katalyna aber spürte dort einen besonderen Geist – im Kern politisch, dabei aber kreativ und weltoffen:
    "Vor Guguță gab es das Gaudeamus-Kino und andere architektonisch besondere Gebäude aus der Sowjet-Ära. Fast alle sind heute zerstört. Sie wurden an Privatinvestoren verkauft. Wir sind gegen diese Zerstörung. Teilweise ist sie sogar illegal, weil die Gebäude unter Denkmalsschutz stehen. Aber sie werden trotzdem verkauft und zerstört."
    Die Bewegung nach dem kleinen Helden aus den populären Kinderbüchern zu benennen, war naheliegend. Dabei ist das Anliegen von "Occupy Guguță" alles andere als kindlich, findet der Aktivist Evgheni, der beruflich für einen internationalen Energieversorger arbeitet. Für ihn steht das Schicksal des sozialistischen Gebäudes symbolisch für alles, was die Republik Moldau zu verlieren droht, wenn sie in einem Sumpf aus Raubtierkapitalismus und Korruption versinkt:
    "Irgendwer hat das Grundstück auf dubiose Weise aufgekauft, jetzt wollen sie dort ein Business-Center bauen – mitten im Stadtpark! Wir aber kämpfen dafür, dass der Park weiter den Leuten gehört und nicht dem Business. Darum heißen wir nicht ‚Occupy Wallstreet’, sondern ‚Occupy Guguță’."
    Druck auf die Opposition wird sich noch erhöhen
    Die Forderungen an die Regierung: Das Ergebnis der annullierten Bürgermeisterwahl anerkennen, das Wahlsystem reformieren und natürlich das Kinder-Café wiedereröffnen und zu einem Ort der Bürger machen. Die Proteststrategie: Freche Slogans, Picknicks am Präsidentensitz, außerdem Workshops und Veranstaltungen zu den verschiedensten Themen – von ökologischem Abfallmanagement bis zu einer Kampagne für die Erhöhung von Lehrergehältern.
    Der Imagefilm, der aus den Aufnahmen von der Demonstration entstehen wird, soll der Bewegung weiteren Zulauf verschaffen. Denn die Abriss-Brigaden können jeden Tag im Stadtpark anrollen. Und im Februar 2019 stehen Parlamentswahlen bevor: Niemand bezweifelt, dass die Regierung ihren Druck auf die Opposition weiter erhöhen wird. Die Zukunft von "Occupy Guguță" ist also mehr als ungewiss. Und so machen sich die Aktivisten gegenseitig Mut: Der Erfolg ihrer Samba-Protestaktion soll nur ein Anfang sein.
    "Die Leute sind unserer Band gefolgt. Und das scheint mir eine gute Metapher zu sein. Irgendjemand muss vorangehen, dann folgen die anderen. Wir zeigen einen Weg. Und alle, die unzufrieden sind, können ihn gehen."