Diese große Sammlung sorgt nicht in erster Linie wegen ihrer hochkarätigen zeitgenössischen Kunstwerke für Aufsehen. Sie steht deshalb im Rampenlicht, weil der Großvater des Sammlers während der Nazi-Zeit ein mächtiger Wirtschaftsboss war, der sein Vermögen auch etlichen Zwangsarbeitern zu verdanken hat und weil sein kunstsinniger Enkel für die Entschädigung dieser Zwangsarbeiter nichts zahlen will.
Und dann die gigantische Cezanne-Ausstellung, die seit gestern im Essener Museum Folkwang zu sehen ist. Dass die Exponate einen Versicherungswert von über 1 Milliarde Euro haben, fehlt in kaum einem Bericht über die Show. Der Kunstprofessor Jan Hoet war Anfang der 90er Jahre Leiter der Documenta in Kassel und ist nun künstlerischer Direktor des Museums M.ART.a in Herford. Ich habe Jan Hoet gefragt, ob das zur Schau stellen von Kunst heute dieses aufsehenerregende Beiwerk braucht, also die lange Schlange vor der MoMA oder die Diskussion um die Herkunft des Flick-Vermögens, oder die hohen Versicherungssummen für die Cezanne-Ausstellung?
Hoet: Meine Antwort ist natürlich auch ambivalent. Einerseits bin ich gegen die Show und andererseits, weiß ich, dass Show auch das Ergebnis von Leuten ist, die das Bedürfnis haben, Kunst wirklich in die Gesellschaft zu bringen.
Forudastan: Das heißt, Sie meinen, dass die Museumsmacher, die Leute, die die Ausstellungen konzipieren, gezielt auf diese Show setzen, um mehr Menschen ins Museum zu bekommen?
Hoet: Nicht so sehr auf diese Show, aber sie tun alles daran, dass Kunst als eine tägliche Notwendigkeit in unserer Gesellschaft herrscht. Es ist so, dass Kunst irgendwo am Rande gestanden hat lange Zeit und nur die Leidenschaft bekam von elitären Leuten und von sehr wenigen aus der Gesellschaft.
Forudastan: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie das dann positiv finden, dass man mit etwas Show und etwas Tamtam einfach mehr Interesse weckt?
Hoet: Es ist etwas Positives daran, in diesem Sinne, dass viele Leuten, die heute Leidenschaft für Kunst haben, irgendwo die Impulse bekommen haben, durch eine große Show. Ich erinnere mich an viele Leute, die zur Kunst gekommen sind, weil sie zum Beispiel zum ersten Mal in einer Documenta waren oder zum ersten Mal in einer Biennale of Venedig oder Chambre d`Ami in Gent. Die Chambre d`Ami in Gent zum Beispiel hat die Genter Bevölkerung warm gemacht für Kunst.
Forudastan: Was daran hat die Leute zu der Kunst gezogen?
Hoet: Ich glaube, erstens die Psychose, die allgemeine Psychose, weil viele Leute dahin gehen. Menschen sind wie Tiere in diesem Sinne, wie Ameisen. Leute gehen dahin, wo Leute hingehen. Und dann plötzlich kommt ein Impuls, denn sich mit Kunst auseinander zu setzen ist immer eine individuelle Sache. Mit dem Theater ist es eher anonym. Im Theater geht die Auseinandersetzung über das Publikum, im Museum vom Betrachter zur Kunst.
Forudastan: Das heißt, nichts ist so erfolgreich, wie der Erfolg. Die Leute gehen ins Museum, weil sie wissen, sie müssen zwei, drei oder vier Stunden anstehen?
Hoet: Ja, das hat aber auch eine soziale Komponente. Wenn ich dort vier Stunden warten muss, dann spreche ich vielleicht mit den anderen Leuten, dann habe ich Kontakte. Wo findet man noch einen Platz in unseren großen Städten, wo verschiedene Leute zusammenstehen für Minuten und halbe Stunden und sich miteinander unterhalten?
Forudastan: Nun gibt es ja eine ganze Reihe von Kunsthistorikern, Kunstbeobachtern, die befürchten, dass das Event, also die Show, bei der ganzen Sache in den Vordergrund rückt und dass es um die Kunst im eigentlichen Sinne, um die Exponate, überhaupt nicht mehr geht.
Hoet: Ja, das ist natürlich eine große Gefahr. Das ist ganz deutlich. Aber man hat keine andere Wahl. Es gibt viele Museen die leer sind! Wo niemand kommt! Und was ist dann?
Forudastan: Sie sagen, es ist eine Gefahr. Ist das aus Ihrer Sicht jetzt eine abstrakte Gefahr, oder machen Sie das auch fest an Erfahrungen mit Ausstellungen?
Hoet: Es ist in der Theorie eine Gefahr, im abstrakten Sinne eine Gefahr, aber im realen Sinne ist es so, dass zum Beispiel dank der MoMA in Berlin wir jetzt viele Leute haben, die zum ersten mal konfrontiert wurden mit Kunst. Ist das nicht ein großes Ergebnis?
Forudastan: Da würde Ihnen jetzt ein Skeptiker entgegenhalten, dass zum Beispiel die Verhüllung des Reichstags durch Christo und seine Frau auch Millionen von Menschen, ich meine es waren fünf Millionen, nach Berlin gelockt hat und trotzdem seien danach nicht mehr Menschen in die Museen gegangen?
Hoet: Also zum Beispiel für die Sixtinische Kapelle von Michelangelo gab es auch eine Schlange von drei Kilometer, damals. Das ist zu jeder Zeit so und trotzdem bleibt die Sixtinische Kapelle ein fantastisches Ding. Das ist so individuell, diese Auseinandersetzung mit Kunst, zwischen Betrachter und Kunstwerk, das ist so individuell, das kann man nicht in Theorie fassen, das kann man auch nicht übersetzen, was für ein Gefühl das bei Leuten auslöst, die etwas von Kunst halten und bei Leuten die der Kunst gegenüber gleichgültig sind. Das kann man nicht übersetzen.
Forudastan: Die Tatsache, dass es nur schwer Karten gibt für eine Ausstellung, ohne dass man sehr lange anstehen muss, das ist das eine Event, die Diskussion um die Flick-Collection ist das andere. Aber was gibt es denn noch? Solche Sachen sind ja nicht beliebig wiederholbar. Das heißt, was muss es in Zukunft noch für Anziehungspunkte geben?
Hoet: Vielleicht ist es so, dass die Leute, 1,2 Millionen Menschen, die die MoMA in Berlin besucht haben, vielleicht einen Impuls bekommen haben, um auch kleine Museen zu besuchen, ein kleines städtisches Museum, oder eine kleine Ausstellung, eine Ein-Mann-Ausstellung. Da waren Meisterwerke von Matisse, von Hopper, von Picasso und so weiter. Vielleicht ist es interessant mal das Picasso Museum in Paris zu besuchen, oder eine kleine Picasso-Ausstellung irgendwo in einer kleinen Stadt, damit man eine Ahnung bekommt, was Kunst in unserer Existenz erreicht. Was kann Kunst vorschlagen, bei der Suche nach Identität? Das ist das Wichtige, natürlich, selbstverständlich. Aber die großen Ausstellungen helfen dabei, der Wichtigkeit der Kunst Bedeutung zu geben.
Forudastan: Sie sind mit Ihrem Museum M.ART.a in Herford, das heißt, nicht irgendwo in einer Metropole oder an einem Ort, wo die Leute hinkommen, weil sie sich auch für die Stadt interessieren. Wie machen Sie das, die Menschen ins Museum zu locken?
Hoet: Wir sind noch nicht in einem Stadium, in der man eine Frequenz von Ausstellungen machen kann. Das ist das erste. Wir brauchen eine Frequenz von Ausstellungen, aber von Ausstellungen, die auch irgendeine Kreativität aufweisen, oder etwas erreichen wollen. Jetzt mache ich zum Beispiel eine kleine Ensor-Ausstellung im November und der Titel ist "Bitte nehmen Sie Platz, Herr Ensor". Das sind die Arbeiten von Ensor konfrontiert mit Möbeln, mit Sitzmöbeln aus seiner Zeit. Das macht die Sache ein bisschen kompletter.
Forudastan: Und was ist das Event dabei?
Hoet: Dass ich auch Videos zeige von heutigen Künstlern, die sich mit James Ensor auseinandersetzen. Ich bringe dann auch Performances, ich mache verschiede Events um die Ausstellung. Dass es einfach eine stille Ausstellung ist, das wird wahrscheinlich nicht klappen.
Und dann die gigantische Cezanne-Ausstellung, die seit gestern im Essener Museum Folkwang zu sehen ist. Dass die Exponate einen Versicherungswert von über 1 Milliarde Euro haben, fehlt in kaum einem Bericht über die Show. Der Kunstprofessor Jan Hoet war Anfang der 90er Jahre Leiter der Documenta in Kassel und ist nun künstlerischer Direktor des Museums M.ART.a in Herford. Ich habe Jan Hoet gefragt, ob das zur Schau stellen von Kunst heute dieses aufsehenerregende Beiwerk braucht, also die lange Schlange vor der MoMA oder die Diskussion um die Herkunft des Flick-Vermögens, oder die hohen Versicherungssummen für die Cezanne-Ausstellung?
Hoet: Meine Antwort ist natürlich auch ambivalent. Einerseits bin ich gegen die Show und andererseits, weiß ich, dass Show auch das Ergebnis von Leuten ist, die das Bedürfnis haben, Kunst wirklich in die Gesellschaft zu bringen.
Forudastan: Das heißt, Sie meinen, dass die Museumsmacher, die Leute, die die Ausstellungen konzipieren, gezielt auf diese Show setzen, um mehr Menschen ins Museum zu bekommen?
Hoet: Nicht so sehr auf diese Show, aber sie tun alles daran, dass Kunst als eine tägliche Notwendigkeit in unserer Gesellschaft herrscht. Es ist so, dass Kunst irgendwo am Rande gestanden hat lange Zeit und nur die Leidenschaft bekam von elitären Leuten und von sehr wenigen aus der Gesellschaft.
Forudastan: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie das dann positiv finden, dass man mit etwas Show und etwas Tamtam einfach mehr Interesse weckt?
Hoet: Es ist etwas Positives daran, in diesem Sinne, dass viele Leuten, die heute Leidenschaft für Kunst haben, irgendwo die Impulse bekommen haben, durch eine große Show. Ich erinnere mich an viele Leute, die zur Kunst gekommen sind, weil sie zum Beispiel zum ersten Mal in einer Documenta waren oder zum ersten Mal in einer Biennale of Venedig oder Chambre d`Ami in Gent. Die Chambre d`Ami in Gent zum Beispiel hat die Genter Bevölkerung warm gemacht für Kunst.
Forudastan: Was daran hat die Leute zu der Kunst gezogen?
Hoet: Ich glaube, erstens die Psychose, die allgemeine Psychose, weil viele Leute dahin gehen. Menschen sind wie Tiere in diesem Sinne, wie Ameisen. Leute gehen dahin, wo Leute hingehen. Und dann plötzlich kommt ein Impuls, denn sich mit Kunst auseinander zu setzen ist immer eine individuelle Sache. Mit dem Theater ist es eher anonym. Im Theater geht die Auseinandersetzung über das Publikum, im Museum vom Betrachter zur Kunst.
Forudastan: Das heißt, nichts ist so erfolgreich, wie der Erfolg. Die Leute gehen ins Museum, weil sie wissen, sie müssen zwei, drei oder vier Stunden anstehen?
Hoet: Ja, das hat aber auch eine soziale Komponente. Wenn ich dort vier Stunden warten muss, dann spreche ich vielleicht mit den anderen Leuten, dann habe ich Kontakte. Wo findet man noch einen Platz in unseren großen Städten, wo verschiedene Leute zusammenstehen für Minuten und halbe Stunden und sich miteinander unterhalten?
Forudastan: Nun gibt es ja eine ganze Reihe von Kunsthistorikern, Kunstbeobachtern, die befürchten, dass das Event, also die Show, bei der ganzen Sache in den Vordergrund rückt und dass es um die Kunst im eigentlichen Sinne, um die Exponate, überhaupt nicht mehr geht.
Hoet: Ja, das ist natürlich eine große Gefahr. Das ist ganz deutlich. Aber man hat keine andere Wahl. Es gibt viele Museen die leer sind! Wo niemand kommt! Und was ist dann?
Forudastan: Sie sagen, es ist eine Gefahr. Ist das aus Ihrer Sicht jetzt eine abstrakte Gefahr, oder machen Sie das auch fest an Erfahrungen mit Ausstellungen?
Hoet: Es ist in der Theorie eine Gefahr, im abstrakten Sinne eine Gefahr, aber im realen Sinne ist es so, dass zum Beispiel dank der MoMA in Berlin wir jetzt viele Leute haben, die zum ersten mal konfrontiert wurden mit Kunst. Ist das nicht ein großes Ergebnis?
Forudastan: Da würde Ihnen jetzt ein Skeptiker entgegenhalten, dass zum Beispiel die Verhüllung des Reichstags durch Christo und seine Frau auch Millionen von Menschen, ich meine es waren fünf Millionen, nach Berlin gelockt hat und trotzdem seien danach nicht mehr Menschen in die Museen gegangen?
Hoet: Also zum Beispiel für die Sixtinische Kapelle von Michelangelo gab es auch eine Schlange von drei Kilometer, damals. Das ist zu jeder Zeit so und trotzdem bleibt die Sixtinische Kapelle ein fantastisches Ding. Das ist so individuell, diese Auseinandersetzung mit Kunst, zwischen Betrachter und Kunstwerk, das ist so individuell, das kann man nicht in Theorie fassen, das kann man auch nicht übersetzen, was für ein Gefühl das bei Leuten auslöst, die etwas von Kunst halten und bei Leuten die der Kunst gegenüber gleichgültig sind. Das kann man nicht übersetzen.
Forudastan: Die Tatsache, dass es nur schwer Karten gibt für eine Ausstellung, ohne dass man sehr lange anstehen muss, das ist das eine Event, die Diskussion um die Flick-Collection ist das andere. Aber was gibt es denn noch? Solche Sachen sind ja nicht beliebig wiederholbar. Das heißt, was muss es in Zukunft noch für Anziehungspunkte geben?
Hoet: Vielleicht ist es so, dass die Leute, 1,2 Millionen Menschen, die die MoMA in Berlin besucht haben, vielleicht einen Impuls bekommen haben, um auch kleine Museen zu besuchen, ein kleines städtisches Museum, oder eine kleine Ausstellung, eine Ein-Mann-Ausstellung. Da waren Meisterwerke von Matisse, von Hopper, von Picasso und so weiter. Vielleicht ist es interessant mal das Picasso Museum in Paris zu besuchen, oder eine kleine Picasso-Ausstellung irgendwo in einer kleinen Stadt, damit man eine Ahnung bekommt, was Kunst in unserer Existenz erreicht. Was kann Kunst vorschlagen, bei der Suche nach Identität? Das ist das Wichtige, natürlich, selbstverständlich. Aber die großen Ausstellungen helfen dabei, der Wichtigkeit der Kunst Bedeutung zu geben.
Forudastan: Sie sind mit Ihrem Museum M.ART.a in Herford, das heißt, nicht irgendwo in einer Metropole oder an einem Ort, wo die Leute hinkommen, weil sie sich auch für die Stadt interessieren. Wie machen Sie das, die Menschen ins Museum zu locken?
Hoet: Wir sind noch nicht in einem Stadium, in der man eine Frequenz von Ausstellungen machen kann. Das ist das erste. Wir brauchen eine Frequenz von Ausstellungen, aber von Ausstellungen, die auch irgendeine Kreativität aufweisen, oder etwas erreichen wollen. Jetzt mache ich zum Beispiel eine kleine Ensor-Ausstellung im November und der Titel ist "Bitte nehmen Sie Platz, Herr Ensor". Das sind die Arbeiten von Ensor konfrontiert mit Möbeln, mit Sitzmöbeln aus seiner Zeit. Das macht die Sache ein bisschen kompletter.
Forudastan: Und was ist das Event dabei?
Hoet: Dass ich auch Videos zeige von heutigen Künstlern, die sich mit James Ensor auseinandersetzen. Ich bringe dann auch Performances, ich mache verschiede Events um die Ausstellung. Dass es einfach eine stille Ausstellung ist, das wird wahrscheinlich nicht klappen.