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"Momentan geht es wirklich um Waffenstillstand"

Eine Bewaffnung der syrischen Opposition durch den Westen hält Franziska Brantner für den falschen Weg. Zunächst müssten die russischen Waffenlieferungen an Syrien effektiv gestoppt werden. Das allerwichtigste Ziel sei jedoch ein sofortiger Waffenstillstand.

Dirk-Oliver Heckmannim Gespräch mit Franziska Brantner | 24.02.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Internationale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen haben in diesen Tagen gewarnt: Wenn nichts passiere, drohe eine humanitäre Katastrophe in Syrien, Lebensmittel werden knapp und Hilfslieferungen sind wegen der anhaltenden Kämpfe nicht möglich, beispielsweise in der Rebellenhochburg Homs. In der tunesischen Hauptstadt Tunis findet heute ein Treffen der internationalen Gemeinschaft statt, um über die Lage zu beraten.
    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Franziska Brantner, sie ist die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament. Schönen guten Tag, Frau Brantner.

    Franziska Brantner: Ja, hallo!

    Heckmann: Frau Brantner, China und Russland sind also nicht mit von der Partie in Tunis. Was also kann die Konferenz überhaupt bringen?

    Brantner: Ich glaube, schon dass die Konferenz ein wichtiges Zeichen setzen wird - hoffentlich - der Geschlossenheit des Restes der Welt und vor allen Dingen auch der Entschiedenheit, sich nicht weiter einfach immer nur treiben zu lassen und komplett in die Ohnmacht zu verfallen gegenüber Russland und China, sondern selber wieder Akzente zu setzen. Andererseits, glaube ich, ist natürlich es schwierig vorstellbar, große Schritte zu machen ohne China und Russland. Von daher, glaube ich, muss der Druck da weiter erhöht werden. Und es gibt ja schon mittlerweile einen ganz anderen Diskurs zu Syrien. Wir reden ja jetzt nicht mehr vom Rücktritt unbedingt von Assad, sondern wir versuchen ja nur noch, einen Waffenstillstand zu erreichen. Das ist das, was eigentlich ursprünglich die Russen signalisiert haben, sie auch mittragen könnten, und ich glaube, jetzt müssen die Russen dann auch wirklich mal Flagge zeigen und sagen, ob sie nicht mal bereit sind, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen. Ich glaube, das wird dann auch noch mal den Druck dort erhöhen.

    Heckmann: Russland und China – Sie haben es erwähnt – haben ja bisher jede Resolution gegen Syrien blockiert. Gibt es denn aus Ihrer Sicht irgendeine Aussicht, wie diese Blockade zu lösen sein könnte?

    Brantner: Ich glaube, da muss natürlich einerseits intern in Russland auch der Druck auf die Regierung wachsen, der Druck von außen muss wachsen. Ich glaube, wir haben den Preis für die Russen noch längst nicht hoch genug gemacht. Und natürlich eben auch andere Formulierungen dieser Resolution - das wurde aber teilweise jetzt schon vollzogen -, dass man eben nicht mehr vom Rücktritt von Assad spricht. Momentan geht es wirklich um Waffenstillstand, Waffenruhe. Und dann, glaube ich, ist natürlich auch ein wichtiger Faktor die arabische Welt. Ich glaube, viele in Russland merken, dass es vielleicht langfristig nicht die richtige Entscheidung ist, sich mit der gesamten arabischen Welt anzulegen, es sich da zu verscherzen. Ich glaube, die sind wahrscheinlich im Machtgefüge gerade noch wichtiger als vielleicht Deutschland oder Frankreich.

    Heckmann: Frau Brantner, der Entwurf des Abschlussdokuments für die heutige Konferenz in Tunis, der liegt verschiedenen Agenturen vor und der fordert einen sofortigen Stopp aller Gewalt, damit humanitäre Hilfe geleistet werden kann. Andernfalls wird mit neuen Sanktionen gedroht. Ist das aus Ihrer Sicht ein Vorgehen, dass Erfolg verspricht?

    Brantner: Also ich glaube, es kann dann nur erfolgsversprechend sein, wenn man auch wirklich dann bereit ist, wirkliche Sanktionen zu treffen, und vor allen Dingen auch, wenn man bereit ist zu sagen, was man in einem Moment der Waffenruhe überhaupt machen würde. Ich glaube, Waffenruhe an sich, ohne dann massiv auch humanitäre Hilfe zu liefern und diese vielleicht sogar abzusichern durch UN-Blauhelme, wird ja nicht lange halten. Das heißt, ich glaube, man muss den zweiten, dritten Schritt mitdiskutieren, sonst wird der erste wahrscheinlich nicht sehr glaubhaft sein. Und wenn ich höre, dass die EU jetzt bereit ist, noch gegen weitere sieben Minister und vielleicht noch Firmen die Sanktionen zu verhängen, dann sage ich, na ja, und wir haben immer noch eine Liste von über 100 Menschen, wo uns alle sagen, die gehören endlich auf die Sanktionsliste, deren Vermögen gehören eingefroren. Ich glaube, da ist auch auf europäischer Seite eigentlich noch ziemlich viel zu tun, und da bin ich immer noch etwas überrascht, dass wir da jetzt angesichts dieser wirklich furchtbaren menschlichen Katastrophe, die in Homs und in anderen Städten passiert, immer noch nicht bereit sind, auch alles zu tun.

    Heckmann: Bis wohin sollten denn die Sanktionen reichen?

    Brantner: Ich habe es gerade gesagt: Wir haben noch wesentlich mehr Personen, die identifiziert wurden, die immer noch zum Regime stehen, die zentrale Positionen innehaben, gerade in der Wirtschaft, in Städten wie Aleppo, die noch zum Beispiel ins Sanktionsregime gehörten. Ich glaube, wir müssten bei der humanitären Hilfe jetzt schon wesentlich weiter sein, und ich glaube auch, wir müssen über diese Gedanken über mögliche Absicherungen von Waffenruhe, Waffenstillstand, wenn es denn dazu kommt, nachdenken. Es wurde ja am Anfang sehr schnell vom Tisch gefegt, diese Option, aber ich glaube, wenn Kofi Annan irgendeine Chance haben soll, dort etwas zu verhandeln, dann braucht er auch die Bereitschaft, dass darüber nachgedacht wird. Und ich finde dieses Nachdenken wichtiger, als jetzt über Bewaffnungen nachzudenken, weil de facto wird, glaube ich, einfach jetzt eine breite Bewaffnung der Opposition uns wahrscheinlich, vielleicht erst mal ein gutes Gewissen, vielleicht manchem geben, mir wird es kein gutes geben, aber trotzdem wahrscheinlich den Konflikt nicht lösen.

    Heckmann: Das ist ein Vorschlag, den der amerikanische Senator John McCain gemacht hat, nämlich die Opposition von außen zu bewaffnen, und er argumentiert, die Iraner und Russen versorgten schließlich Baschar al-Assad auch mit Waffen.

    Brantner: Ja, das machen sie ja auch, übrigens teilweise mit dem Zublicken von den europäischen Mitgliedsstaaten. Zypern lässt das ja immer noch teilweise durch seinen Hafen gehen. Auch dort hat die EU noch eine große Verantwortung, diese Waffenlieferungen endlich wirklich effektiv zu stoppen. Diese Frage ist ja, finde ich, etwas ziellos: Wen bewaffnen wir mit welchen Waffen? Viele sagen, was wahrscheinlich wirklich notwendig wäre, wären ein paar Panzerfäuste in Homs, damit die überhaupt sich gegen die Panzer durchsetzen können. Aber das sind ja ganz andere Diskussionen, als jetzt einfach zu sagen, wir bewaffnen breit den syrischen Widerstand, wo ich glaube, dass wir dann in eine Situation kommen, wo wir hinterher dann trotzdem militärisch eingreifen müssen, aber noch mal auf einem ganz anderen Niveau. Aber ich finde diese Debatte, wie geht man mit diesen Städten wie Homs um, ist schon eine, die sich stellt. Aber ich glaube, einfach diese Antwort pauschal Waffen an die syrische Opposition, die es ja in dem Sinne auch gar nicht gibt, ist, glaube ich, eher eine zu schnelle und bringt uns auch aus der Verantwortung, zum Beispiel endlich effektiv die Waffenlieferungen an das syrische Regime zu unterbinden. Die Waffen laufen ja und dann können wir uns beschweren, was die Russen machen, aber viel tun wir momentan auch nicht dagegen, auch dort wirklich effektiver für deren Unterbindung zu sorgen.

    Heckmann: Kommen wir noch zur Lage in Afghanistan, Frau Brantner. Hier eskaliert die Lage ja weiter nach der Verbrennung von Koran-Exemplaren durch amerikanische Soldaten. Die Bundeswehr räumt einen Stützpunkt im Norden des Landes. Droht die Lage dort im Land außer Kontrolle zu geraten?

    Brantner: Ich glaube, die Wahrscheinlichkeit ist durchaus gegeben, und ich glaube, man braucht wahrscheinlich mehr als eine Entschuldigung per Lautsprecher von Obama, um die Situation einzudämmen. Wahrscheinlich müssen die Amerikaner da noch etwas aktiver werden. Andererseits muss wahrscheinlich auch Karsai sich dazu noch mal äußern. Ich glaube, dass das wirklich einfach so ein Funken war, der unterschwellig jetzt die Gefühle, den Konflikt auch jetzt einfach noch mal zutage bringt, und der braucht wahrscheinlich längerfristige Antworten, wie ich gerade gesagt habe, als jetzt einfach nur eine Entschuldigung von Obama. Ich glaube, man kann das nur eindämmen, wenn man auch guckt, warum überhaupt dieser unglaubliche Gewaltausbruch möglich ist.

    Heckmann: Die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, Franziska Brantner, war das. Besten Dank für das Gespräch, Frau Brantner.

    Brantner: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.