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Monets Seerosen in neuem Licht

Der Maler Claude Monet studierte in seinem Garten in Giverny das Funkeln und die Licht-Reflexe im Teich zwischen den Seerosen und - er malte dies auch. So entstand sein berühmter Seerosen-Zyklus. Zwei der Bilder schenkte Monet 1918 dem französischen Staat. Lange waren diese Seerosen zu einem Schattendasein im Untergeschoss der Orangerie in den Pariser Tuilerien verdammt; jetzt werden sie wieder im hellen Tageslicht strahlen.

Von Björn Stüben | 08.05.2006
    Am 11. November 1918, dem Tag der Waffenstillstandsunterzeichnung, die den Ersten Weltkrieg beendet, erreicht den damaligen französischen Premierminister Georges Clemenceau ein Brief. Geschrieben hat ihn sein Künstlerfreund Claude Monet im siebzig Kilometer nordwestlich von Paris gelegenen Dorf Giverny. Hierin erklärt Monet, dem französischen Staat zwei große Leinwände aus seiner Wasserrosen-Serie schenken zu wollen.

    Er schreibt: "Das ist wenig, doch ist es für mich die einzig mögliche Art der Teilnahme am Sieg, und ich wäre glücklich, wenn Sie selbst die Auswahl treffen könnten." Clemenceau beeilt sich, dem Angebot des 78jährigen Impressionisten Monet in dessen Atelier nachzukommen. Doch der bereits von Krankheit gezeichnete Künstler zögert plötzlich. Clemenceau leistet Überzeugungsarbeit, in dem er vorschlägt, die Seerosenbilder in der 1852 errichteten Orangerie der Tuileriengärten im Herzen von Paris der Öffentlichkeit zugänglich machen zu wollen. Monet stimmt zu, doch da er immer wieder an den Bildern Korrekturen vornimmt, verlassen die Leinwände sein Atelier erst nach seinem Tod im Jahr 1926. Im Mai 1927 öffnet schließlich das Musée Claude Monet in der Orangerie und der auf den Wänden zweier großer ovaler Räume angebrachte Seerosen-Zyklus lässt begeisterte Kritiker von der "Sixtinischen Kapelle der modernen Kunst" sprechen.

    1960 dann bekommt die "Sixtina des Impressionismus" Konkurrenz. Juliette Walter, Industriellenerbin und in erster Ehe mit dem Pariser Kunsthändler Paul Guillaume verheiratet, bietet dem französischen Staat ihre umfangreiche Kunstsammlung als Geschenk an. Einzige Auflage hierbei, die Werke von Renoir, Rousseau, Matisse, Picasso, Derain, Modigliani, Soutine und anderer Meister der klassischen Moderne sollten vollständig und permanent in der Pariser Orangerie ausgestellt werden.

    Das Angebot lässt sich der Staat natürlich nicht entgehen, doch der Preis hierfür ist hoch, denn für die Präsentation der großzügigen Geschenke aus der Sammlung Guillaume-Walter wird in die Orangerie ein Stockwerk eingezogen, das die bisher von Tageslicht durchfluteten Räume mit Monets Seerosen in ein Kellergeschoss verwandelt. Eine monumentale Freitreppe führt die Besucher nun zuerst an Derains "Harlekin und Pierrot", Rousseaus "Hochzeit", Matisses "Frauen mit Kanapee", Renoirs "Mädchen am Klavier" oder Picassos "Jünglingen" vorbei, bevor sie zu Monets mit Kunstlicht ausgeleuchteten Seerosen hinabsteigen müssen.

    Im Januar 2000 ist es dann soweit. Der Staat schließt die Orangerie und veranlasst Umbauarbeiten, die den Seerosenbildern wieder ihr Tageslicht, der Sammlung Guillaume-Walter mehr Platz und der Orangerie endlich auch eine Wechselausstellungsfläche verschaffen sollen. Das knapp 30 Millionen Euro teure Projekt gerät ins Stocken, als bei den Ausschachtungsarbeiten zu beiden Seiten der Orangerie unter den Tuileriengärten die vierhundert Jahre alte Stadtmauer aus der Zeit Ludwigs XIII. entdeckt wird.

    Denkmalpfleger und Staat einigen sich schließlich darauf, Teile des alten Gemäuers in das neu geschaffene Untergeschoss der Orangerie sichtbar zu integrieren. Hierhin ist auch die Sammlung Guillaume-Walter umgezogen. Die noch dem Impressionismus nahe stehende Werke von Renoir und Cézanne werden hier auf unverputzten Betonwänden, die von breiten Lichtschächten erhellt werden, gezeigt. Die Bilder von Modigliani, Rousseau, Derain, Matisse, Picasso und Soutine müssen sich in weniger großzügig bemessenen Kabinetten mit Kunstlicht begnügen.

    Etwas ratlos steht der Besucher allerdings vor der Rekonstruktion des edlen, mit Holz getäfelten Salons der Madame Walter, mit der das großbürgerliche Ambiente des Pariser Kunsthändlermilieus vorgeführt werden soll. Doch wie zu erwarten war, ist der Seerosenzyklus Monets der große Gewinner bei der Neugestaltung der Orangerie. Die schwere Betondecke ist verschwunden und auch der Blick hinauf zum Himmel über Paris wird nur noch von einem hellen Leinensegel zwischen den beiden Sälen mit den empfindlichen Seerosenbildern und dem gläsernen Dach unterbrochen.

    Eine kleine, fensterlose Rotunde bildet den Vorraum zu Monets Werken. Ihre Wände sind kahl und weiß getüncht. Von hier aus in Monets schillernde Seerosenlandschaft einzutreten empfindet der Besucher wie das Heraustreten in die Natur. Die von Monet eingefangenen und auf die Leinwand übertragenen Impressionen verwirren zunächst und scheinen auf den ersten Blick beinahe wie abstrakte Malerei. Die "Sixtinische Kapelle der modernen Kunst" ist wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Monet hat den Zyklus der Seerosen-Bilder als sein Hauptwerk betrachtet. Sein Garten in Giverny stand ihm hierbei Modell wie er selbst betont: "Ich habe nichts anderes getan als anzuschauen, was die Natur mir zeigte". Jetzt gelingt es dem Besucher endlich wieder nachzuvollziehen, was Monet hiermit gemeint hat.