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Montgomery: Nicht jeder Arztbesuch ist dringend

Niemand soll länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten müssen - ein populistischer Vorschlag der Koalitionsunterhändler, findet Frank Ulrich Montgomery. In dringlichen Fällen bekämen bereits heute fast alle Patienten innerhalb von einer Woche einen Termin, sagt der Präsident der Bundesärztekammer.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.11.2013
    Martin Zagatta: Lange Wartezeiten auf einen Arzttermin sollen bald der Vergangenheit angehören. Niemand soll länger als vier Wochen auf einen Besuch beim Facharzt warten müssen, darauf haben sich bei den Koalitionsverhandlungen die Gesundheitspolitiker der Union und der SPD schon geeinigt. Und das soll so funktionieren: Wer innerhalb dieser Vier-Wochen-Frist keinen Termin bekommt, der kann sich in einem Krankenhaus behandeln lassen. Den niedergelassenen Ärzten werden die Mittel entsprechend gekürzt. Frank Ulrich Montgomery ist der Präsident der Bundesärztekammer, schönen guten Morgen, Herr Montgomery!

    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Mehr als vier Wochen auf einen Arzttermin zu warten, das ist doch eigentlich eine Zumutung. Warum muss die Politik da überhaupt eingreifen?

    Montgomery: Ich glaube, wir müssen mal ganz sauber unterscheiden zwischen dringlichen Arztterminen und Arztterminen wie zum Beispiel der beim Hautarzt, den Krebsvorsorgecheck oder Ähnliches, wo die Dringlichkeit nicht ganz so hoch ist, Sie auch noch ein bisschen warten können. Wir haben heute, das weiß die Kassenärztliche Bundesvereinigung, den Zustand, dass, wenn Sie wirklich dringlich einen Arzt brauchen und Ihr Hausarzt Ihnen den Termin vermittelt, fast alle Patienten innerhalb einer Woche diesen Termin bekommen. Und wir müssen hier sauber unterscheiden zwischen dem, was wir wirklich den dringlichen Termin nennen, den gibt es heute schon, da wird sich gar nichts ändern, und den Terminen, die auch warten können. Auch wenn der Patient das manchmal nicht einsieht, dass er dann diese vier Wochen auf den Hautarztcheck warten muss, glaube ich schon, dass man ihm das zumuten kann.

    Zagatta: Wie bewerten Sie dann, dass die Politik da jetzt aber eingreifen will? Unterstellen Sie da den Politikern von Union und SPD, dass die keine Ahnung haben, oder wie bewerten Sie das?

    Montgomery: Nein, die haben keine Ahnung, aber sie nehmen natürlich eine Stimmung in der Bevölkerung auf, die sich ja daran gewöhnt hat, selber zum Facharzt zu gehen, ohne den Weg über den Hausarzt dabei zu wählen. Die sich einfach nur am Tresen des Hausarztes eine Überweisung holen und dann sich wundern, dass auf diese Überweisung hin, wenn sie selber beim Facharzt anrufen, es länger dauert, bis man einen Termin bekommt. Und das wird sich ändern. Ich glaube aber, es wäre viel besser, wenn man in Zukunft klarstellt, dass der Hausarzt oder der Arzt des Vertrauens oder die erste Anlaufstelle, bei der man ist und sich die Überweisung abholt, dass der auch dafür sorgt, dass man den Termin kriegt. Und wir werden gerne als Kassenärztliche Vereinigung und Ärztekammern die Mittlerrolle hier nehmen und Stellen einrichten, in denen man das organisieren kann. Ich sehe darin eigentlich kein großes Problem, finde es ein kleines bisschen populistisch. Es ist so etwas, wo die Politik sich momentan … was nichts kostet für die Politik, aber womit man nach außen hin Erfolge verzeichnen kann. Und deswegen kommt das jetzt in den Koalitionsverhandlungen hoch.

    Zagatta: Sind denn die Klagen, die in diesem Zusammenhang immer wieder erhoben werden, dass da Privatpatienten bevorzugt werden auch bei der Terminvergabe, sind die aus Ihrer Sicht auch populistisch? Die gibt es schon ständig, da ist doch was dran!

    Montgomery: An den Klagen ist mit Sicherheit etwas dran, dass Privatpatienten bevorzugt werden, aber Privatpatienten zahlen ja auch mehr. Wissen Sie, das muss man einfach mal ganz klar festhalten: Wir haben in Deutschland ein System, bei dem gesetzlich versicherte Patienten mit einer Pauschale an den Arzt alle Leistungen abgegolten haben, während privat Versicherte einzeln bezahlen. Das ist wie in allen Bereichen des Lebens so, das ist auch keine Zweiklassenmedizin, weil die Qualität, die die Menschen bekommen, ist am Ende genau die gleiche. Nur, bei der Terminvergabe, beim Komfort, bei dem Drumherum sind Privatpatienten etwas besser dran. Dafür zahlen sie in der Regel auch höhere Versicherungsprämien.

    Zagatta: Nun will die Politik das so regeln, dass Patienten, die wochenlang keinen Termin bekommen und die der Meinung sind, ich muss dringend zum Arzt, dem will man das Recht geben, sich dann eben in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Was spricht da eigentlich dagegen?

    Montgomery: Da spricht eigentlich gar nichts dagegen. Wenn es sich wirklich um dringliche Behandlungen handelt und es hat vier Wochen keine Chance gegeben, einen Termin zu bekommen, dann kann man damit sehr gut auch ins Krankenhaus gehen. Die Probleme, die auftreten, sind eher zwei andere: Das Erste ist, wir haben im Krankenhaus heute schon genug mit den stationären Patienten zu tun, und wir klagen über Personalmangel. Fast 6000 Stellen in Krankenhäusern von Ärzten sind heute nicht besetzt, wir haben einen großen Pflegemangel im Krankenhaus. Und da soll jetzt noch zusätzliche Arbeit hineinkommen. Das ist das eine. Das Zweite ist aber, wir wissen, dass diejenigen, die lange warten müssen, nicht die Kranksten der Kranken sind, sondern Menschen, die eher leichte Erkrankungen haben. Das heißt, wir schicken die, die leicht krank sind, jetzt in die Hochleistungsdomäne der Medizin, nämlich ins Krankenhaus. Während diejenigen, die viel kranker sind, die kriegen vorher schon beim niedergelassenen Arzt einen Termin. Insofern glaube ich, hier verschiebt sich was, und zwar nicht unbedingt zum Guten. Darüber muss man aber noch mal nachdenken, wir haben ja jetzt erst mal nur einen Koalitionsvertrag, einen Entwurf. Und es gibt ja ein Gesetzgebungsverfahren und da kann man so was dann sicherlich gut und richtig und besser machen.

    Zagatta: Herr Montgomery, Union und SPD haben sich auch darauf verständig, eine Qualitätsmessung von Krankenhäusern auf den Weg zu bringen. Das heißt also etwa, aufzulisten, wie oft es dann Komplikationen gibt nach Operationen. Und dann könnten sich oder können sich die Patienten an die Krankenhäuser wenden, die am besten abschneiden. Das klingt doch sinnvoll, oder haben Sie da auch etwas dagegen?

    Montgomery: Nein, das ist im Kern sinnvoll. Das machen wir übrigens heute schon. Allerdings in unserem technischen Kauderwelsch. Sie finden auf den Homepages, der Websites der Krankenhäuser heute bereits die Qualitätsberichte. Habe aber volles Verständnis dafür, dass nicht jeder Mensch auf der Welt die gleich versteht. Die müssen in verständliche Sprache übersetzt werden und müssen den Menschen zur Verfügung stehen. Aber einem Irrtum dürfen wir nicht erliegen: Wir können nicht bundesweit bei 82 Millionen Menschen, die hier leben, immer in das eine Krankenhaus, was nun am allerbesten abschneidet, hingehen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir flächendeckend eine hohe, eine gute Qualität haben, damit möglichst im nächsten Krankenhaus oder in einem sehr nahen Krankenhaus alle Menschen versorgt werden können. Dass man das auch transparent nach außen darstellt, das finden wir richtig. Einziger kleiner Einwand: Lasst uns versuchen, das mit den vorhandenen Daten, die es schon gibt, zu machen, indem man die klug zusammenführt. Indem man die so übersetzt, dass Patienten die auch verstehen. Nicht wieder eine neue Bürokratie aufbauen, noch mehr Daten erheben. Krankenhäuser und Ärzte stöhnen und ächzen unter dem Datenwust, den wir heute schon erleben müssen.

    Zagatta: Um diesen Wettbewerb einzuführen, um das umzusetzen, was Sie ja jetzt grundsätzlich auch begrüßt haben, ist geplant, dass sich dann danach auch die Vergütung richtet. Also, dass Kliniken, die gut abschneiden, die dürfen mehr Geld verlangen als die anderen. Ziehen Sie da auch mit?

    Montgomery: Das finde ich einen vernünftigen Vorschlag. Wenn diese Werte, die man da misst, diese Parameter, wenn die vernünftig sind, wenn die klug sind, wenn die gut ausgewählt sind, halte ich es für nutzbar und vernünftig, dass man die Kliniken auch nach ihrer Qualität bezahlt. Man kann schon sehr einfache Kriterien übrigens heute einführen: Ein bundesweites Finanzierungssystem bezahlt ein kleines Krankenhaus von 100 Betten genauso wie eine große Universitätsklinik. Da weiß man heute schon, dass Universitätskliniken mit Sicherheit als Krankenhäuser der Maximalversorgung Zuschläge brauchen, wie man zum Beispiel auch in schlecht versorgten ländlichen Regionen, wo es auch keine niedergelassenen Ärzte mehr gibt, dem Krankenhaus, was nicht wirtschaftlich arbeiten kann, weil es so klein ist, auch mit Zuschlägen helfen kann. Auch das sind qualitätssichernde Elemente, um eine flächendeckende gute Versorgung für die Bevölkerung vorzuhalten.

    Zagatta: Wird das im Endeffekt auch dazu führen, dass Krankenhäuser in Ballungszentren, wo es heißt, dort gebe es ja fast ein Überangebot, dass man dann auf die Qualität schaut und auch schlechtere Krankenhäuser unter Umständen schließt?

    Montgomery: Die Krankenhäuser haben sich ja in den letzten Jahren so hoch flexibel erwiesen. Wir haben in den letzten 20 Jahren 15 Prozent der Krankenhäuser bereits geschlossen, 25 Prozent der Betten abgebaut. Wir haben die Verweildauer verkürzt und wir haben gleichzeitig ein Viertel mehr Fälle in den Krankenhäusern. Also, die Krankenhäuser sind hoch flexibel, die reagieren auf diese Dinge. Und es werden auch einzelne kleine Krankenhäuser mal dann diesen Prozess nicht überleben, das ist so. Die Leistungen, die werden in anderen Krankenhäusern erbracht werden müssen. Die Ärzte werden mit Handkuss in anderen Krankenhäusern gesucht und genommen, und für die Krankenschwestern gilt das Gleiche. Man muss nicht Angst davor haben. Wenn man ein Krankenhaus in einem Ballungsgebiet mit seinen Leistungen woandershin verlagert, das sind natürliche wirtschaftliche Prozesse, da geht nicht gleich immer die Welt unter.


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