Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


"Moralisch verpflichtet, Stellung zu nehmen"

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung möchte in Zukunft stärker zu gesellschaftlich relevanten Themen Stellung nehmen, kündigt Akademiepräsident Heinrich Detering an. Beispielsweise bei der heftig diskutierten Urheberrechtsfrage sei schließlich das Kerngeschäft der Akademiemitglieder betroffen - "und dazu müssen wir uns verhalten".

Katja Lückert sprach mit Heinrich Detering | 12.05.2012
    Katja Lückert: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zog für ihre Frühjahrstagung wieder einmal aus Darmstadt aus und versammelte ihre Mitglieder und Gäste am anderen Ort. Diesmal in Schwäbisch Hall. Seit dem letzten Jahr, seit dem letzten Herbst ist Heinrich Detering neuer Präsident der Akademie. Nach seinem Antritt hatte er angekündigt, man wolle sich mit der Akademie einem breiteren Publikum öffnen. Es werde in den Diskussionen mehr um gesellschaftsrelevante Themen gehen. Heute Nachmittag erreichte ich ihn nach der Tagung. Herr Detering, wie blicken Sie gerade auf Ihre Akademie? Was wird sich ändern in der öffentlichen Wahrnehmung?

    Heinrich Detering: Zunächst wird sich ganz Unauffälliges, aber Wirkungsvolles - glaube ich - und Folgenreiches ändern. Wir wollen sehr viel deutlicher unterscheiden zwischen den Arbeitssitzungen und den Arbeitsteilen dieser Tagung und den – sagen wir mal salopp – kulturtouristischen Anteilen. Das heißt, wir haben vorgestern und gestern zwei sehr konzentrierte, straffe Arbeitstage absolviert, den einen intern, den anderen öffentlich. Um uns konzentriert mit einem wichtigen Thema auseinanderzusetzen. Und diese Themen sollten möglichst so gewählt sein, dass unmittelbar einsichtig wird, warum sie wichtig sind und warum es wichtig ist, dass gerade die Akademie sich mit ihnen beschäftigt.

    Lückert: Dann sprechen wir doch mal über diese Themen, gesellschaftsrelevante Themen, zum Beispiel Ungarn und die Ukraine. Blicken wir also auf diese Länder. Was haben Sie Neues erfahren durch Ihre Kollegen.

    Detering: Da haben gestern Nachmittag ukrainische Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichtet. Es ist sicher nicht übertrieben, von der Entwicklung einer noch formal demokratisch aussehenden Gesellschaft zu einer autoritären Gesellschaft zu sprechen. Dabei hat sich im Einzelnen gezeigt, dass die Situation in beiden Ländern ganz unvergleichlich andere Entwicklungen nehmen. Dass es in der Ukraine zum Beispiel das Problem sozusagen rivalisierender, sagen wir etwas pointierend, wirtschaftskrimineller, mafiöser Strukturen gibt, die sich des Staates zu bemächtigen versuchen. Und es sind Intellektuelle wie unsere Gäste gestern, die als einige der Letzten noch die Möglichkeit haben, sich kritisch in einer anderen Sprache auch als in der Sprache der Angst und Einschüchterung überhaupt öffentlich Gehör zu verschaffen.

    Lückert: Wenn man noch einmal auf Ungarn blickt: Peter Nadas hatte zuletzt was zum Stand der Dinge geschrieben. Ungarn sei seit der Wende – gäbe es da wohl zwar konsequente Demokraten, aber die ungarische Gesellschaft, der fehlten die starken demokratischen Traditionen. Wurde das auch bestätigt von den ungarischen Gästen, die Sie hatten?

    Detering: Das ist hier sehr intensiv diskutiert worden. Wir sind von unseren Gästen und Freunden sehr eindringlich ermahnt worden, zu differenzieren in unserem Blick auf zum Beispiel die ländlichen Verhältnisse und die großstädtischen Verhältnisse. Auf unterschiedliche politische und literarische Zirkel und deren Äußerungsmöglichkeiten. Auf die Arbeit bestimmter Verlage oder Zeitschriften, die eben doch in ihrer Art der Netzwerkbildung dazu beitragen, gewissermaßen von unten her eine Öffentlichkeit zu schaffen, die in einem empathischen dieses Wortes demokratisch ist.

    Lückert: Hat Sie denn der Erfolg und der Verlauf dieser Tagung dazu geführt zu denken, dass der eingeschlagene Weg jetzt der richtige ist?

    Detering: Ich glaube, das war der Eindruck, den alle hatten. Es ist auch nicht so, dass das ein völlig neuer Weg wäre. Wir waren nach der orangenen Revolution ja eine der ersten großen Kulturinstitutionen Deutschlands, die in der Ukraine gewesen sind. Wir haben eine unvergessliche Tagung 2009 in Lemberg und in Czernowitz gehabt und sind dort eben sehr vielen ukrainischen Intellektuellen begegnet und haben uns mit ihnen über die damals noch sehr viel optimistischer gesehene Lage ausgetauscht. Was wir nicht möchten – ich glaube, auch darin sind wir uns bei allen Unterschieden in der Akademie einig – ist eine Verlautbarungsinstitution Akademie, die zu allem und jedem ihre Meinung öffentlich kundtun muss. Es gibt aber Themen, bei denen wir als Akademie moralisch verpflichtet sind, Stellung zu nehmen. Zum Beispiel dann, wenn die Redefreiheit und Veröffentlichungsfreiheit unser Mitglieder gefährdet ist. Bei solchen Themen – übrigens auch bei Themen wie der jetzt heftig diskutierten Urheberrechtsfrage – sind wir ja gewissermaßen im Kerngeschäft unserer Auseinandersetzung mit Sprache und Dichtung betroffen und dazu müssen wir uns verhalten. Das können wir uns eigentlich gar nicht aussuchen.

    Lückert: Wenn Sie sagen, dass man nicht zu jeder Sache etwas zu sagen hat. Blicken Sie da auch ein bisschen auf die Akademie der Künste?

    Detering: In gewisser Weise blicke ich darauf, aber ganz ohne einen irgendwie kritischen oder gar hämischen Unterton. Im Gegenteil, ich glaube, dass das eine sehr vernünftige Art der sagen wir Arbeitsteilung ist. Wir sind dazu institutionell und administrativ nicht in der Lage und betrachten es auch eigentlich nicht als unsere Aufgabe, so aktuell zu reagieren, wie die Berliner Kollegen das können. Dafür haben wir die Möglichkeit, mit unseren eigenen Traditionen und Arbeitsformen zu längerfristigen Entwicklungen in lange vorbereiteten, gründlich durchdachten Tagungen wie dieser hier profunde Stellung zu nehmen. Und ich glaube, das ist uns mit dieser Frühjahrstagung gelungen.

    Lückert: Heinrich Detering, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bei der diesjährigen Frühjahrstagung der Akademie in Schwäbisch Hall.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.