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Mord an Nemzow
"Das schafft ein Klima der Angst"

Boris Nemzow habe mit seinen Äußerungen über Putin einen Tabubruch begangen und das auch selbst gewusst, sagte der Publizist Boris Reitschuster im Deutschlandfunk. Deshalb sei der Mord ein klares innenpolitisches Signal: Wer das mache, komme nicht mit dem Leben davon.

Boris Reitschuster im Gespräch mit Friedbert Meurer | 02.03.2015
    Szene der Trauerkundgebung für den ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow am 1. März 2015 in Moskau. Nemzow war am 28. Februar bei einem Attentat auf offener Straße erschossen worden.
    Szene der Trauerkundgebung für den ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow am 1. März 2015 in Moskau. Nemzow war am 28. Februar bei einem Attentat auf offener Straße erschossen worden. (AFP - Yuri Kadobnov )
    Friedbert Meurer: In einem Trauermarsch sind gestern Tausende Demonstranten durch die Straßen von Moskau gezogen. So haben sie gedacht des Oppositionspolitikers Boris Nemzow, der direkt in der Nähe des Kreml am Wochenende durch mehrere Schüsse ermordet wurde. Es war exakt eigentlich die Demonstration, die Boris Nemzow selbst noch mitinitiiert hat. Aus einer Demonstration, geplant gegen Kriege und Krisen, wurde dann dieser Trauermarsch. Die Teilnehmer des Trauermarsches warfen dem Kreml vor, ein Klima des Hasses gegen Oppositionelle erzeugt zu haben, und dem sei dann Nemzow zum Opfer gefallen.
    Boris Nemzow war in den 90er-Jahren kurze Zeit stellvertretender Ministerpräsident. Der damalige russische Präsident Boris Jelzin hatte den jungen Politiker damals gefördert. Später ist Nemzow dann so was wie in Ungnade gefallen. Er hat sein Mandat in der Duma verloren und geriet für immer mehr Russen, vor allen Dingen junge Russen eher in Vergessenheit. Einer, der ihn näher kannte, war der frühere "Focus"-Korrespondent Boris Reitschuster, Publizist und Buchautor. Guten Tag, Herr Reitschuster.
    Boris Reitschuster: Guten Tag.
    Meurer: Wie gut kannten Sie Boris Nemzow?
    Reitschuster: Ich würde sagen, es war eine Freundschaft, mit Sicherheit keine enge. Ich weiß nicht warum, aber er hatte mich ins Herz geschlossen. Wir waren per Du, obwohl ich mit seinen politischen Ansichten nicht immer übereinstimmte.
    Meurer: Mit welchen Ansichten stimmten Sie nicht überein?
    Reitschuster: Er war mir etwas zu marktliberal und etwas zu neoliberal, wenn man das so sagen könnte.
    "Er versuchte in vielem, gegen diese Korruption vorzugehen"
    Meurer: Das ist ihm vorgeworfen worden, dass er in den 90er-Jahren quasi dazu beigetragen hat, dass hier ein ganzer Staat verscherbelt wird an Oligarchen. Oder wie lauteten die Vorwürfe?
    Reitschuster: Er war in dieser Regierungsmannschaft. Er selber war aber daran kaum beteiligt. Im Gegenteil: Er versuchte in vielem, gegen diese Korruption vorzugehen. Legendär ist ein Erlass, den er durchgesetzt hatte, dass die russischen Beamten und Minister auf russische Fahrzeuge umsteigen mussten, was ihn damals nicht sehr beliebt machte.
    Meurer: Warum nicht?
    Reitschuster: Weil die russischen Politiker sehr viel lieber mit Mercedes oder mit BMW fahren als mit einem Lada oder Wolga.
    Meurer: Wie hat er sich denn Ihnen gegenüber dazu geäußert, dass die 90er-Jahre, dass diese neoliberale Transformation nicht so geendet ist, wie er sich das wohl selber vorgestellt hat?
    Reitschuster: Er war der Ansicht, dass einige Leute das verraten haben, dass es torpediert wurde. Und er war auch ein wenig ins Hadern geraten mit seinem damaligen Ziehvater, mit Boris Jelzin.
    Meurer: Inwiefern lagen die beiden über Kreuz?
    Reitschuster: Ich würde nicht sagen, dass sie über Kreuz lagen, aber Jelzin hatte ihn ja dann am Schluss verstoßen. Und ich denke, für Nemzow war das sehr bitter. Und man muss sich das vorstellen: Er galt ja als Kronprinz. Um ein Haar hätte er Präsident von Russland werden können. Und jetzt war er am Schluss in der Opposition ziemlich marginalisiert. Es war bitter für ihn, aber er war das Gegenteil von einem verbitterten Menschen. Er blieb sehr lebensfroh und voller Energie und Charisma.
    Ermittlungen gegen Rechtsradikale "eine der vielen Nebelgranaten"
    Meurer: Vom Kollegen Hermann Krause haben wir gerade gehört, dass man einen Ermittler jetzt in Moskau eingesetzt hat, der für rechtsradikale Straftaten Spezialist ist. Die Spur würde in Kreisen von Neonazis zu suchen sein. Was halten Sie von dieser These?
    Reitschuster: Ich halte das für eine der vielen Nebelgranaten, die der Kreml jetzt streut. Das ist die alte KGB-Schule. Man hat ja auch schon unsinnige Theorien gehört, es habe mit islamischem Terror zu tun. Ich denke, da werden Spuren verwischt, denn das Entscheidende an diesem Mord ist, dass er gegenüber des Kremls passiert ist an einem der bestbewachtesten Orte der Welt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein normaler Krimineller oder ein Neonazi sich so einen Ort aussucht, wo er weiß, dass die Chance, unerkannt zu bleiben, sehr, sehr gering ist, wenn er keine Unterstützung hat.
    Meurer: Ist es nicht auch andererseits schwer vorstellbar, dass der Kreml einen politischen Mord in Auftrag gibt und den dann ausführen lässt, 200 Meter von der Kreml-Mauer entfernt?
    Reitschuster: Ich denke, das ist aus westlicher Sicht unvorstellbar. Aus russischer Sicht sieht das ganz anders aus. Ich habe mit vielen Oppositionspolitikern gesprochen. Die sagten, das internationale Ansehen von Putin beschädigt das, aber das sei ihm nicht so wichtig. Im Inland sei es aber ein ganz klares Signal: Wer ein Tabu bricht, wer Putin ganz böse beschimpft, wie Nemzow das gemacht hat, wer Mutterflüche benutzt, ein Tabu gegen den Präsidenten, dass der nicht mit dem Leben davon kommt, so sehen das russische Oppositionelle. Sie sagen, diese Tat stärke Putins Macht, weil sie auf Angst baut und weil diese Angst jetzt noch viel größer sei als zuvor.
    Meurer: Was ist das für eine Geschichte mit den Mutterflüchen?
    Reitschuster: Ich habe das selber erlebt. Ich war bei ihm zu Besuch und er sagte mir, Boris, ich habe eine Dummheit gemacht, glaube ich. Ich fragte ihn, was. Er öffnete sein Notebook, zeigte mir ein Video. Und da war er, angeblich leicht angetrunken, redete sich in Rage im ukrainischen Fernsehen und sagte, Putin sei - ich traue mich kaum, das auszusprechen - das englische F-Wort, frei übersetzt verrückt, aber ein sehr böses Wort, und er sagte, was glaubst du, Boris, dafür können sie mich doch umbringen. Was meinst du? Ich sagte ihm, Boris - wir heißen beide Boris -, nein, bei dir traut sich das niemand, du bist viel zu berühmt. Und er antwortete, na wenn du dich da mal nicht irrst. Ich glaube, ich habe mein Urteil unterschrieben mit diesem Ausspruch. Und jetzt kommt mir diese ganze Unterhaltung natürlich sehr, sehr, sehr makaber vor und ich kämpfe mit den Tränen, wenn ich mich daran erinnere.
    Meurer: Ist Boris Nemzow verbal in seinen Äußerungen zu weit gegangen?
    Reitschuster: Ich denke, dieser Ausspruch war tatsächlich so, dass er zu weit gegangen ist. Das muss man ganz klar sagen. Das geht nicht gegenüber einem Staatsoberhaupt. Aber was die Freunde von Nemzow so skeptisch macht, dass es keine Ermittlungen gab, obwohl Nemzow davor riesige Angst hatte. Und das hat die sehr skeptisch gemacht, weil sie sagten sich, wenn nicht legal dagegen vorgegangen wird, was möglich gewesen wäre - er hätte dafür ins Gefängnis kommen können nach dem Gesetz -, dann wird etwas anderes passieren. Das war eine böse Vorahnung, die Freunde von ihm hatten.
    "Damit hat er Putin den Fehdehandschuh hingeschmissen"
    Meurer: Jetzt lesen wir, dass Wladimir Putin, der Präsident, Zustimmungsraten von 85, 86 Prozent in der Bevölkerung hat. Da könnte man ja fast sagen, für ihn war doch Nemzow nicht mehr als eine lästige Fliege. Warum soll so jemand ein ernsthafter politischer Gegner sein?
    Reitschuster: Die Zustimmungsraten sind mit höchster Vorsicht zu genießen. Ich habe Freunde und Verwandte in Russland, die würden nie am Telefon bei einer Umfrage sagen, dass sie gegen Putin sind. Nichts desto trotz steht, denke ich, eine Mehrheit hinter ihm. Das Problem für Putin ist aber nicht die Bevölkerung; das Problem für ihn ist die Elite, teilweise auch in der eigenen Umgebung, die sehr unzufrieden ist mit seinem Kurs. Die wollen nicht diesen Konfliktkurs mit dem Westen. Denen ist er viel zu radikal inzwischen. Vor denen muss Putin Angst haben und für die trifft dieses Signal zu, denn Nemzow war einer, der die Grenzen überschritten hat. Er hat Sachen gesagt, die sich kein anderer zu sagen traut. Er nannte Putin einen Dieb, er sagte, es ist eine kleine kriminelle Gruppierung, die die Macht erobert hat und das Land ausraubt und sich hinter Patriotismus versteckt. Damit ging er zu weit. Das war eine Herausforderung. Damit hat er Putin den Fehdehandschuh hingeschmissen, mehr als alle anderen. Und das war die Gefahr, die von ihm ausging, nicht eine reale politische Kraft. Die hatte er nicht, das stimmt.
    Meurer: Sie sind, Herr Reitschuster, als Journalist auch schon bedroht worden, hatten deswegen Moskau verlassen. Wie laufen solche Drohungen kurz beschrieben ab?
    Reitschuster: Man bekommt diese Drohungen per E-Mail. Es gibt Morddrohungen. Es war bei mir so, dass man meine Adresse, die private, im Internet veröffentlicht hat. Eines der größten Nachrichtenmagazine im Land hatte zwei große Artikel über mich. In einem hieß es, dass wahrscheinlich Leute wie mein Großvater es waren, die Hitler zum Krieg auf die Sowjetunion überredet haben. Und das schafft ein Klima der Angst. Ich bekomme diese Drohungen auch hier. Und es ist tatsächlich so, dass man sich jedes Wort zweimal, dreimal überlegt, bevor man es ausspricht. Ich glaube, das ist genau das Dramatische an dieser Situation, dass hier ein Klima der Angst gezielt geschürt wird.
    Meurer: Nach der Ermordung des Oppositionspolitiker Boris Nemzow - das war Boris Reitschuster, Publizist und Buchautor. Danke, Herr Reitschuster, auf Wiederhören!
    Reitschuster: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.