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Morlok: Abgeordnete müssen Verantwortung wahrnehmen

Die Verträge zum Fiskalpakt und dem Rettungsschirm stünden mit der Verfassung im Einklang, meint Martin Morlok. Eine Klage in Karlsruhe habe wenig Chancen, ergänzt der Staatsrechtler. Aus seiner Sicht seien die Abgeordneten gefordert, gegebenenfalls mit Nein zu stimmen.

Martin Morlok im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Verworrener kann Politik kaum sein. Da legt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagabend den Abgeordneten von Bundestag und Bundesrat mit Fiskalpakt und Rettungsschirm zwei internationale Verträge vor - wohl gemerkt in alter Fassung -, die sie selbst nur wenige Stunden zuvor auf dem EU-Gipfel in wesentlichen Punkten geändert hatte. Die Abgeordneten geben trotzdem in nächtlicher Sitzung grünes Licht, wohl wissend, dass der Bundespräsident die Gesetze nicht unterschreiben würde, denn ihn wiederum hatte das Bundesverfassungsgericht gebeten, seine Unterschrift bis zur rechtlichen Klärung zurückzuhalten. Und in der Tat: Sechs Klagen sind inzwischen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingegangen.
    So weit also die politische Debatte und wir lernen: Ein weiteres Mal werden die Verfassungsrichter unserer Republik das letzte Wort haben. Sechs Klagen liegen insgesamt vor gegen Fiskalpakt und erweiterten Rettungsschirm ESM. Drei der Kläger haben sich heute Morgen in Berlin erklärt.
    Am Telefon begrüße ich den Staatsrechtler und Politikwissenschaftler Martin Morlok. Guten Tag, Herr Morlok!

    Martin Morlok: Guten Tag, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Welche Aussicht auf Erfolg haben denn die Kläger?

    Morlok: Das ist natürlich eine Frage, die nur schwer immer zu beantworten ist, wie ein Gericht entscheiden wird. Aber nach meiner Einschätzung sehe ich im Moment eigentlich eher kleine Chancen dafür. Wir haben ja zwei Punkte, den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt, gegen die vorgegangen wird, und beides, glaube ich, steht mit der Verfassung und mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu ähnlichen Fragen im Einklang. Ich kenne freilich nicht im Einzelnen die Begründung, die vorgetragen wurde, aber das, was wir eben gehört haben, hat ja noch nicht das juristische Detail betroffen.

    Dobovisek: Ihr Kollege Karl Albrecht Schachtschneider - wir haben ihn gerade im Beitrag gehört - sieht ja die Gefahr der Vereinigten Staaten von Europa und damit der Souveränitätsabgabe der Staaten wie Deutschland zum Beispiel an Brüssel. Sehen Sie die Gefahr nicht?

    Morlok: Herr Schachtschneider sieht diese Gefahr ja seit Langem, das kam ja auch im Beitrag zum Ausdruck, seit 20 Jahren, und sein Hauptargument ist, das ist eine Linie, die wir eingeschlagen haben, die letztlich zum europäischen Bundesstaat führt. Das mag so sein, aber das Gericht hat jeweils nur zu prüfen, ob der jetzige Schritt mit der Verfassung vereinbar ist. Und irgendwelche Projektionen, was in der Zukunft passieren könnte, die sind für das Verfassungsgericht uninteressant.

    Dobovisek: Wie weit sind denn, um bei diesem Schritt zu bleiben, ESM und Fiskalpakt von einer möglichen Vereinigten Staatenlösung von Europa entfernt?

    Morlok: Also Herr Gauweiler hat ja den einen zentralen Punkt angesprochen: Die Volksvertretung muss das letzte Wort haben - nicht zuletzt, wenn es um das Geld geht. Und da ist es so, dass die Rettungsgelder, die der Europäische Stabilitätsmechanismus auswerfen kann, einstimmig beschlossen werden müssen im sogenannten Gouverneursrat. Da sitzt im Normalfall der deutsche Bundesfinanzminister. Das reicht allerdings nicht aus; das Parlament muss über die Summen hinterher auch abstimmen und zustimmen. Das heißt, die Haushaltsverantwortlichkeit des Deutschen Bundestages bleibt bei den Rettungsmaßnahmen nach diesem Stabilitätsmechanismus unberührt. Die ist gewahrt und insofern sehe ich da eigentlich keine großen verfassungsrechtlichen Risiken.

    Also Herr Gauweiler hat ja den einen zentralen Punkt angesprochen: Die Volksvertretung muss das letzte Wort haben - nicht zuletzt, wenn es um das Geld geht. Und da ist es so, dass die Rettungsgelder, die der Europäische Stabilitätsmechanismus auswerfen kann, einstimmig beschlossen werden müssen im sogenannten Gouverneursrat. Da sitzt im Normalfall der deutsche Bundesfinanzminister. Das reicht allerdings nicht aus; das Parlament muss über die Summen hinterher auch abstimmen und zustimmen. Das heißt, die Haushaltsverantwortlichkeit des Deutschen Bundestages bleibt bei den Rettungsmaßnahmen nach diesem Stabilitätsmechanismus unberührt. Die ist gewahrt und insofern sehe ich da eigentlich keine großen verfassungsrechtlichen Risiken.


    Dobovisek: Aber wenn der Bundestag erst einmal seine Kompetenzen aus der Hand gelegt hat und möglicherweise die Entscheidungen dieses Gouverneursrats nur noch abnicken kann, welche Möglichkeiten haben die Abgeordneten dann noch, dieses rückgängig zu machen, um sich zum Beispiel auch wieder vom ESM zu lösen?

    Morlok: Also das sind ja zwei Fragen. Ich wollte zunächst noch mal auf das eingehen, was Sie gesagt haben. Es ist ja eine übliche Redensart geworden, dass der Bundestag nur noch etwas abnicken könne oder abnicken müsse.

    Dobovisek: So sehen es jedenfalls die Kläger.

    Morlok: Hier sind die Abgeordneten eben auch gefordert, gegebenenfalls nein zu sagen. Also wenn die Abgeordneten ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, so ist das keine verfassungsrechtliche Frage, sondern die Abgeordneten, besonders diejenigen der jeweiligen Regierungsfraktion, sind da eben berufen zu sagen, was ihnen ihr Gewissen an Verantwortung für das deutsche Volk empfiehlt, was zu tun sei. Wichtig ist rechtlich nur, dass der Bundestag gefragt werden muss. Wenn der seine Kompetenzen aufgibt, so kann das Gericht nicht helfen.

    Ihre zweite Frage, kann man da mal wieder rauskommen - na ja, wir haben die Konstruktion gewählt eines völkerrechtlichen Vertrages, und Verträge gelten in aller Regel auf unendlich, bis man den Vertrag ändert oder aufhebt. Im Völkerrecht gibt es ja auch die sogenannte Clausula rebus sic stantibus. Das heißt, bei wesentlichen Veränderungen kann man aus dem Vertrag wieder aussteigen. Das könnte etwa der Fall sein, wenn die im Fiskalpakt vorgesehene Verschuldungsbegrenzung von anderen Mitgliedsländern nachhaltig nicht eingehalten wird. Dann wird man sagen, ja dann müssen wir uns an den Vertrag auch nicht halten, wenn die anderen sich nicht daran halten.

    Dobovisek: Dafür bedürfte es natürlich auch einer weiteren Grundgesetzänderung, weil ja so ein Vertrag dann im Prinzip storniert werden müsste. Das bringt mich zu dem Punkt zu fragen: Wenn das Grundgesetz geändert wird, unsere Verfassung, die ja keine richtige Verfassung ist, zwei Drittel Mehrheit im Bundestag ist dafür notwendig, allerdings sieht das Grundgesetz auch vor, einen Volksentscheid darüber anzusetzen - wo genau verläuft da die Trennlinie? Wann brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit und wann wird ein Volksentscheid notwendig?

    Morlok: Eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat ist bei jeder Verfassungsänderung notwendig und bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union, wenn dadurch die Verfassungsrechtslage geändert wird. Das ist unumstritten. Eine Volksabstimmung ist vom Grundgesetz überhaupt nicht vorgesehen bisher. Der Fall der Länderneugliederung liegt völlig anders und spielt jetzt hier keine Rolle. Das heißt, die Diskussion um die Notwendigkeit einer Volksabstimmung, die ist ziemlich aus der Luft gegriffen.

    Lassen Sie es mich so sagen: In der langen Zukunft, in der historischen Perspektive, mag man darüber nachdenken. Anlass für diese Diskussion, die jetzt ja Herr Schäuble angestoßen hat, ist eine Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon, und da wurde gesagt, es gibt eine Grenze, die nicht überschritten werden darf bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union. Das Gericht hat gesprochen von der Verfassungsidentität. Und wenn diese berührt sei, so könne man auch nicht durch Verfassungsänderung die Europäisierung weiter betreiben, sondern dann müsse eine neue Verfassung her. Ob bei einer neuen Verfassung das Volk zustimmen muss oder nicht, auch das ist ungeklärt. Der Bundestagspräsident hat das in Ihrem Einspieler ja vorher auch gesagt. Also das ist gar nicht so klar. Das ist ein üblicher Brauch, dass eine neue Verfassung vom Volk akzeptiert werden muss, dem Brauch möchte ich auch zustimmen. Aber rechtlich festgeschrieben ist das gar nirgends. Und wenn wir eine neue Verfassung wollen, dann muss man sich gründlich Gedanken machen, in welchem Wege man das macht, meinethalben auch mit Volksabstimmung. Aber aktueller Anlass nicht mal für die Diskussion besteht nicht.

    Dobovisek: Also keine rechtliche Grundlage dafür. - Martin Morlok, Staatsrechtler und Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf. Ich danke Ihnen.

    Morlok: Gerne geschehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.