Meurer: Die Delegierten beschäftigt immer noch der Fall Martin Hohmann, der aus der Bundestagsfraktion ausgeschlossen worden ist wegen seiner Rede am 3. Oktober. Warum gibt es dazu keinen eigenen Programmpunkt beim Parteitag?
Müller: Ich glaube nicht, dass das die Delegierten beschäftigt. Der Fall ist erledigt und deshalb gibt es auch gar keinen Grund - das wäre ja geradezu verrückt -, dazu einen eigenen Programmpunkt auf diesem Parteitag zu machen.
Meurer: Es gibt eine Anzeige für Martin Hohmann, die zum wiederholten Mal geschaltet wurde, die von immerhin 4000 CDU-Mitgliedern unterschrieben worden ist. Ist das nichts?
Müller: Es gibt diese Anzeige. Wie viele Unterschriften tatsächlich existieren wissen wir nicht. Wer davon der CDU angehört wissen wir auch nicht. Im Übrigen ist es so: wer der Auffassung ist, dass der Ausschluss aus der Fraktion und aus der Partei der falsche Weg ist, der ist keineswegs inhaltlich der gleichen Auffassung wie Martin Hohmann. Insofern ist das etwas, was sich außerhalb des Parteitages abspielt und was für das Handeln der Union und für den Parteitag keine Bedeutung hat.
Meurer: Vor ein, zwei Wochen ist die Parteizentrale in Berlin noch bombardiert worden mit E-Mails, Anrufen und Briefen und das soll jetzt kein Thema mehr sein?
Müller: Es ist vor ein, zwei Wochen gewesen und es ist vorbei. Es gibt auch derartige E-Mails nicht mehr. Ich sehe es an meiner eigenen Post. Da spielt das Thema auch keine Rolle mehr.
Meurer: Was ist denn mit der Patriotismus-Debatte, die geführt werden soll?
Müller: Das ist eine notwendige Debatte und selbstverständlich ist der Patriotismus ein Thema in der Union. Wir sind Patrioten, Patrioten in dem Sinne, dass Patriotismus die Liebe zu den Eigenen bedeutet, im Unterschied zum Nationalismus, der Hass und Verachtung gegenüber anderen bedeutet. Selbstverständlich greifen wir dieses Thema auch offensiv auf. Warum denn nicht? Auch in Deutschland muss Raum sein für einen vernünftigen Patriotismus. Auch in Deutschland muss es möglich sein, sich zu Deutschland zu bekennen. Das heißt natürlich auch die deutsche Geschichte in all ihren Kapiteln annehmen, auch in ihren dunklen Kapiteln.
Meurer: Nur wenn Sie es offensiv angreifen wollen, warum reden Sie dann nicht auf dem Parteitag darüber?
Müller: Beim Parteitag kann jeder über das Thema reden, der über das Thema reden will. Es gibt weder ein Rede-, noch ein Denkverbot. Nur es macht überhaupt gar keinen Sinn, einen eigenen Tagesordnungspunkt aufzunehmen. Wir lassen uns doch nicht durch Leute wie den Herrn Hohmann die Tagesordnung eines Parteitages bestimmen. Da gibt es andere Themen, die für die Zukunft sehr viel wichtiger sind, und mit denen wird der Parteitag sich beschäftigen.
Meurer: Diese Themen sind ja, Herr Müller, die Sozial- und Steuerpolitik. Gibt es heute und morgen eine Zäsur? Nimmt die CDU Abschied vom Sozialstaat?
Müller: Die CDU nimmt nicht Abschied vom Sozialstaat, sondern die CDU bekennt sich zum Sozialstaat und macht ihn zukunftsfähig. Wir wissen doch alle, dass wir vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung Reformen vornehmen müssen. Wir wissen alle, dass dasjenige, was bisher auf der politischen Agenda der Bundesregierung steht, überhaupt nicht zukunftsfähig ist. Ich finde es ja richtig, dass die Union, obwohl sie in der Opposition ist, trotzdem ihren Weg für einen zukunftsfähigen Sozialstaat diskutiert und teilweise auf diesem Parteitag beschließen wird.
Meurer: Sie haben ja selbst einen Antrag gestellt, also der Landesverband Saarland im Verbund mit anderen zusammen, was die so genannte Kopfpauschale angeht. Wie viel bleibt denn eigentlich vom Herzog-Modell danach noch übrig?
Müller: Wir reden nicht über Kopfpauschalen. Wir reden über Gesundheitsprämien. Es ist richtig: es gibt einen saarländischen Antrag, der noch einmal deutlich macht, dass gerade auch dieses System sehr wohl sozial ausgewogen gestaltet werden kann, und der deutlich macht, dass auch Leute mit geringerem Einkommen nicht überfordert werden. Ich glaube, dass gerade diese Gesundheitsprämie dann, wenn sie verbunden wird mit einem steuerfinanzierten sozialen Ausgleich, nicht weniger Solidarität, sondern mehr Solidarität bedeutet, weil eben alle, alle Steuerzahler in die Solidarität mit einbezogen werden.
Meurer: Aber es bleibt auch nach Ihrem Vorschlag dabei: die Sekretärin bezahlt genau so viel Gesundheitsbeitrag wie ihr Chef?
Müller: Nein, dabei bleibt es nicht und das war auch nie intendiert.
Meurer: Bei Herzog schon!
Müller: Nein, auch bei Herzog gab es eine Obergrenze. Es wird für die Sekretärin der gleiche Beitrag berechnet, aber wir sagen, Niemand soll mehr als 15 Prozent seines Einkommens für die Gesundheit aufwenden. Von diesen 15 Prozent ist dann noch einmal abzuziehen der Arbeitgeberbeitrag, der künftig ausgezahlt wird. Das sind 6,5 Prozent weniger. Dann sind wir bei 8,5 Prozent. Höchstens allerdings die Gesundheitsprämie von 200 Euro. Mehr zahlt niemand. Damit haben Sie eine Situation, in der gerade kleine Einkommen dann doch weniger bezahlen, weniger belastet werden. Dafür müssen große Einkommen über den sozialen Ausgleich, über das Steuersystem zusätzlich herangezogen werden und ich glaube, das ist ein vernünftiges System.
Meurer: Das Problem ist nur, dass Sie da Milliarden Euro aus den Steuereinnahmen nehmen müssen. Wo soll das Geld herkommen, Herr Müller?
Müller: Im Moment ist es ja auch so, dass umgeschichtet wird in der jetzigen gesetzlichen Krankenversicherung. Da ist es allerdings so, es sind nur die Krankenversicherten, die diesen Ausgleich bezahlen. Wir machen das künftig über das Steuersystem und ich glaube, dass das der gerechtere Weg ist.
Meurer: Es ist vielleicht gerecht, aber noch einmal: wo sollen die 10, 20 Milliarden Euro herkommen, über die geredet wird?
Müller: Wir reden insgesamt über einen Betrag von 28 Milliarden, der eingebracht werden muss. Wir werden ja auf dem Parteitag auch über eine Neuregelung der Einkommenssteuer auf der Basis der Vorschläge von Friedrich Merz reden. Wenn wir die Vorschläge von Friedrich Merz zu Grunde legen, dann bleibt eine Lücke von etwa 10 Milliarden, die wir noch ausgleichen müssen. Insofern besteht Nachbesserungsbedarf und da glaube ich, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Die eine Möglichkeit ist, dass statt des Stufentarifes ein linearprogressiver Tarif gewählt wird, und die zweite Möglichkeit ist, dass wir im Bereich des Spitzensteuersatzes ein, zwei Punkte höher gehen und dann ist das ausfinanziert.
Meurer: Wenn es nach Friedrich Merz geht, soll es ja insgesamt eine Nettoentlastung für die Steuerzahler geben. Das wäre dann nach Ihren Vorstellungen vorbei?
Müller: Das ist richtig. Die Nettoentlastung würde es dann nicht mehr geben. Das müssen wir akzeptieren. Wenn der Preis dafür ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem ist, dann kann ich nur sagen, dieser Preis ist allemal gerechtfertigt.
Meurer: Herr Müller, wie lange lässt es sich die CDU noch gefallen, von der CSU als unsozial attackiert zu werden?
Müller: Die CDU braucht glaube ich da keine großen Befürchtungen zu haben. Die CSU hat erkannt, dass sie sich dort in der Vergangenheit eine Kritik erlaubt hat, die sachlich nicht gerechtfertigt war. Die CSU ist nicht das soziale Gewissen der Union und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit sind in der CDU genauso gut aufgehoben wie in der CSU. Ich sehe im Moment eigentlich eher den Trend, dass es einzelne, insbesondere einen in der CSU gibt, der diese Kritik fortführt. Das ist Horst Seehofer. Der isoliert sich damit in der Partei, und zwar nicht nur in der CDU, sondern auch in der CSU.
Meurer: Ist es nicht offensichtlich, dass Stoiber Seehofer gewähren lässt?
Müller: Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Edmund Stoiber kommt ja zum Parteitag und wir werden sehen, dass auch Edmund Stoiber mit vielem, was Seehofer sagt, nicht einverstanden ist. Es ist gerade Edmund Stoiber ja auch gelungen, Seehofer davon zu überzeugen, dass er die falschen Vorschläge unter dem Stichwort Bürgerversicherung nicht weiterverfolgt.
Meurer: Die CDU und ihr Parteitag, der heute in Leipzig beginnt. Das war der saarländische Ministerpräsident Peter Müller im Deutschlandfunk. - Besten Dank und auf Wiederhören Herr Müller!