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Müller (CDU)

DLF: Die CDU Deutschlands – von der Straße des Triumphs als Dauerwahlsieger 99 jetzt im Sumpf einer unsäglichen Finanzaffäre – Vertrauenskrise obendrein – und ein Ende nicht in Sicht. Herr Ministerpräsident Müller, das rührt doch an den Grundfesten Ihrer Partei?

Karl Heinz Gehm |
    Müller: Die CDU ist in einer sehr schwierigen Situation, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber ich glaube, dass wir langsam Licht am Ende des Tunnels sehen. Es ist – denke ich – gelungen, das Kartell des Schweigens aufzubrechen. Es wird deutlich, dass es sich um Machenschaften einzelner handelte. Es wird mittlerweile auch deutlich, um welche Beträge und um welche Größenordnungen es geht. Und vor dem Hintergrund habe ich schon den Eindruck, dass wir allmählich in eine Situation kommen, in der wir uns wieder um Politik und um Zukunft – Zukunft der Partei und Zukunft der Politik in Deutschland – kümmern können.

    DLF: Das ist natürlich das große Ziel der CDU, aber, wenn wir zunächst einmal auf die öffentliche Wirkung eingehen, da sieht der Bundespräsident Johannes Rau zwar keine Staatskrise, aber doch die große Gefahr, dass die Parteiendemokratie einen schlimmen Schaden nehmen kann. Welche Risiken sehen Sie?

    Müller: Natürlich sind diese Vorgänge geeignet, das Vertrauen in die Demokratie zu beschädigen. Das gilt allerdings nicht nur für die Vorgänge in der CDU, das gilt ja auch für Vorgänge in anderen Parteien. Wir haben ja die Vorgänge in Niedersachsen, wo ein Ministerpräsident zurückgetreten ist und der Nachfolger jetzt bereits wieder im Verdacht steht, den Niedersächsischen Landtag belogen zu haben. Wir haben die Vorgänge in Nordrhein-Westfalen um die WestLB, Vorgänge, die ja auch den Bundespräsidenten betreffen und die bisher unzureichend aufgeklärt zu sein scheinen, und wir haben die Vorgänge in der CDU – alles geeignet, die Glaubwürdigkeit der Politiker zu beschädigen. Das ist ungerecht, weil es das Handeln einzelner ist, das dann auf das gesamte System übertragen wird, aber es ist eine Tatsache, vor der man die Augen nicht verschließen darf. Ich glaube, dass es falsch ist, wenn wir aus dem Fehlverhalten einzelner auf die Fehlerhaftigkeit des Systems schließen. Churchill hatte schon recht, als der gesagt hat: 'Die Demokratie ist eine schlechte Staatsform, aber von allen immer noch die beste'.

    DLF: Wenn wir über dieses allgemeine Krisenszenario von Niedersachsen über NRW bis bundesweit mal gehen, sehen Sie da nicht das Risiko – gerade im Wahlkampf – nach dem Motte: 'Haust Du meinen Schäuble, hau ich Deinen Rau' - was den Parteienverdruss ja noch steigern könnte?

    Müller: Natürlich besteht dieses Risiko, ich würde das auch nicht für einen angemessenen Umgang mit diesen Problemen halten. Ich glaube, nachdem wir jetzt in der CDU in einer Situation sind, in der wir doch langsam die Dimensionen abschätzen können, dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, welche Konsequenzen wir aus dem, was da jetzt offenbar geworden ist, ziehen müssen. Und ich glaube auch, dass jede Partei gut beraten ist, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, vor der eigenen Tür zu kehren.

    DLF: Konsequenzen ja – aber zunächst einmal die Bewertung des Ganzen, was da bislang auf dem Tisch liegt. Das CDU-Präsidium hat am Freitag in seinem Aufklärungsbemühen zu einem Befreiungsschlag ansetzen wollen, und seither gilt ja eigentlich das Wort Norbert Blüms, 'das Ganze übersteige sein bisheriges Vorstellungsvermögen'. Wie ist das bei Ihnen?

    Müller: Das ist bei mir auch so. Wenn mir vor einem halben Jahr jemand alles das erzählt hätte, was in den letzten Wochen und Monaten bekannt geworden ist, dann hätte ich dies nicht geglaubt. Ich hätte das für unmöglich gehalten. Es hat sich jetzt gezeigt: Das belastet, das macht traurig - das lässt sich überhaupt nicht bestreiten, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass das offensichtlich einige waren, die da kollusiv zusammengewirkt haben; mittlerweile bestreiten sie ja wechselseitig die jeweiligen Aussagen. Und deshalb ist das sicherlich ein Problem individueller Verantwortung und nicht primär ein Problem der Fehlerhaftigkeit des Systems.

    DLF: Herr Müller, welche Gedanken haben Sie in diesen Stunden am Freitag im CDU-Präsidium bewegt, als Wolfgang Schäuble von den schwarzen Konten in der Schweiz, von der Stiftung in Liechtenstein, von anonymen Spenden und all dem Chaos von Widersprüchen, Dementis und vernichteten Akten berichten musste? Was denkt man da als 'Junger Wilder' in der CDU?

    Müller: Nun ja, man war ja auf das Schlimmste gefasst. Und da wir ja aus den Berichten der Wirtschaftsprüfer bereits vor der Sitzung am Freitag wussten, dass für die Jahre 89 bis 93 es Eingänge unter der Rubrik 'Sonstige Einnahmen' in einer Größenordnung von 8 bis 10 Millionen D-Mark gab, stellte sich natürlich die Frage, wo dieses Geld herkommt. Da gab es viele Spekulationen, und da ist am Freitag dann doch etwas Klarheit geschaffen worden, wo das Geld herkommt. 'Etwas' Klarheit – sage ich, keine endgültige Klarheit; die wird möglicherweise nur der Staatsanwalt schaffen können. Insofern ist das, was wir am Freitag gehört haben, etwas, worauf man sich vorbereitet hatte. Und deshalb war man vielleicht nicht so schockiert, wie man schockiert geworden wäre, wenn es einen völlig unvorbereitet getroffen hätte.

    DLF: Also, unvorbereitet war man nicht. Aber was denkt man denn, wenn Helmut Kohl Freitagabend durch die Fernsehkanäle geht und ansetzt bei seiner Verteidigungsrede, er sei hintergangen worden und habe von Schweizer Konten nichts gewusst, das sei alles die Sache von Kiep und anderen gewesen?

    Müller: Also, ich kann das Verhalten von Helmut Kohl in den letzten Wochen nicht mehr verstehen. Wir haben ihn ja immer und immer wieder aufgefordert, Ross und Reiter zu nennen, die Namen der Spender zu nennen. Er tut es nicht. Er schadet damit der CDU, und er schadet auch sich selbst. Für mich ist das nicht mehr nachvollziehbar. Auf der anderen Seite glaube ich auch nicht, dass es Sinn macht, geradezu gebetsmühlenartig die Aufforderung, sich an der Aufklärung zu beteiligen, an ihn zu wiederholen. Dazu ist er offensichtlich nicht bereit. Deshalb müssen wir die anderen Möglichkeiten ausschöpfen, wir können ihn ja nicht zwingen.

    DLF: Ein zivilrechtliches Vorgehen der CDU gegen Kohl ist ja wohl zu den Akten gelegt. Stellt sich jetzt wieder die Frage 'Parteiausschluss'?

    Müller: Nein, die Frage stellt sich aus meiner Sicht nicht. Was Helmut Kohl anbetrifft, gibt es einfach eine Zerrissenheit, die ein Stück weit durch alle Parteimitglieder hindurchgeht, und zwar durch jeden selbst. Auf der einen Seite ist es einfach so, dass Helmut Kohl in den letzten 25 Jahren bleibende Verdienste für die CDU erworben hat. Er hat auch bleibende Verdienste für Deutschland und für Europa. Das wird nicht ungeschehen durch die Dinge, die jetzt bekannt geworden sind und kann deshalb auch nicht unberücksichtigt bleiben. Auf der anderen Seite ist es so, dass der Weg in die Zukunft für die CDU ein Weg ohne Helmut Kohl sein muss, und wenn er sich weiter so verhält wie bisher, dann ein Weg trotz Helmut Kohl.

    DLF: Denkmal Helmut Kohl – Verdienste unbestritten. Aber Herr Müller, was muss man denn denken, wenn Herr Lüthje jetzt sagt: Hätten er und andere anno 86 vor der Staatsanwaltschaft in Koblenz nicht falsch ausgesagt, dann wäre es aus gewesen mit der Kanzlerschaft Kohl?

    Müller: Das sind wirklich Dinge, die den Staatsanwalt beschäftigen werden. Es gibt ja eidesstattliche Versicherungen, damit kann das alles einer strafrechtlichen Würdigung zugeführt werden. Ich muss ganz ehrlich sagen - als jemand in der CDU, der einen Gestaltungsauftrag für die Zukunft hat, glaube ich, dass das aufzuarbeiten ist. Das ist aber eher interessant für Historiker. Für meine aktuelle politische Arbeit ist es nur von sehr nachrangigem Interesse.

    DLF: Für Ihre aktuelle politische Arbeit: Sie haben im letzten Herbst an der Saar die Mehrheit der Lafontaine-SPD 'geknackt', die Stimmung war bestens. Das ist nun Lichtjahre her – muss man sagen. In einer guten Stunde haben Sie CDU-Kreisparteitag im Saarland: Was sagen Sie da, wie kann man die Partei ermutigen und stabilisieren?

    Müller: Das erste, woran man immer wieder erinnern muss, ist die Tatsache, dass die CDU eine Partei ist mit 640.000 Mitgliedern, die zum allergrößten Teil sich in dieser Partei engagieren, für diese Partei arbeiten, die das ehrenamtlich machen und dass dies nicht ungeschehen wird durch das Fehlverhalten einzelner, was in den letzten Tagen und Wochen bekannt geworden ist. Und das zweite, was man sehen muss: Deutschland braucht eine starke Union - als eine Volkspartei, in der sich die konservativ-bürgerlich liberale Mitte wiederfindet. Alle entscheidenden Weichenstellungen der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 – vielleicht mit Ausnahme der neuen Ostpolitik Willy Brandts, sind Entscheidungen, die von Christdemokraten zu verantworten waren: Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, die Einbindung in die NATO, die europäische Einigung, alle großen Sozialgesetze, die Wiedervereinigung – all das ist das Werk, das wesentlich von Christdemokraten geschaffen wurde. Das zeigt, dass die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich abhängig ist auch von einer starken CDU, und die werden wir auch in der Zukunft noch brauchen. Die CDU muss sich auf diese Traditionen besinnen und auf dieser Basis schrittweise ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

    DLF: Aber im Augenblick gibt es ja andere Meldungen in Sachen CDU. Es gilt, den Zwischenstand einer Affäre zu bewältigen. Das Präsidium hat am Freitag nun die weiße Flagge gehisst; jetzt ist die Staatsanwaltschaft am Zuge. Was wird passieren?

    Müller: Die Staatsanwaltschaft wird ihre Ermittlungen durchführen. Wir haben alle Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen – einschließlich der Protokolle der Gespräche, die vergangene Woche geführt worden sind –, der Staatsanwaltschaft übergeben. Und ich denke, dass wir auch weiter auf der administrativen Ebene innerhalb der CDU versuchen werden, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen. Die werden ebenso der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Und dann wird die Staatsanwaltschaft die Dinge ausermitteln. Das ist ihre Aufgabe, und da habe ich auch gar keine Befürchtungen, im Gegenteil: Wenn ich es richtig weiß, ist die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt. So sieht das die Strafprozessordnung vor. Und dem wird sie wohl schon gerecht werden.

    DLF: Dennoch: Staatsanwaltschaft und Untersuchungsausschüsse – muss man ja sagen –: Das Trommelfeuer wird nicht aufhören. Wie lange hält denn Wolfgang Schäuble dieses Trommelfeuer aus?

    Müller: In der Diskussion um Wolfgang Schäuble besteht ja permanent das Risiko, dass Ursache und Wirkung miteinander verwechselt werden. Die Ursache für die Probleme und die Krise der CDU ist nicht das Verhalten von Wolfgang Schäuble, sondern das Verhalten derjenigen, die diese schwarzen Konten angelegt und über Jahre geführt haben. Zeitweilig entstand der Eindruck, als ob das völlig umgedreht werden soll. Ich habe den Eindruck, dass wir diesen Punkt überwunden haben. Wolfgang Schäuble hat sicherlich den einen oder anderen Fehler gemacht, aber das ist kein Grund, dass wir nicht in ihn als Parteivorsitzenden weiter Vertrauen haben sollten. Dieses Vertrauen besteht im Präsidium einhellig und einheitlich. Und auf dieser Basis werden wir auch weiter arbeiten.

    DLF: Das Risiko, dass Schäuble das Handtuch wirft und sich nicht mehr vom Präsidium einbinden lässt, wie noch im letzten Monat – das sehen Sie nicht?

    Müller: Das sehe ich nicht. Wir haben ja in einer der letzten Präsidiumssitzungen über diese Frage eines möglichen Rücktritts geredet. Wolfgang Schäuble hat ja angeboten, und zwar sehr ernsthaft angeboten, diesen Schritt zu gehen. Wir waren alle der Meinung, dass es ein falscher Schritt in der jetzigen Situation wäre, weil wirklich der Falsche zum Schuldigen damit gemacht worden wäre. Der Bundesvorstand hat dem Präsidium und Wolfgang Schäuble einhellig das Vertrauen ausgesprochen. Und deshalb glaube ich, dass diese Diskussion im Moment nicht zu führen ist.

    DLF: Wenn wir das Krisenmanagement doch mal revue passieren lassen, dann ist ja wohl die Schreiber-Spende – trotz aller Rückendeckung – noch nicht so ganz ausgestanden: da muss ja noch auf Frau Baumeister gewartet werden.

    Müller: Frau Baumeister hat eine schriftliche Bestätigung an Wolfgang Schäuble ausgestellt, dass er ihr dieses Geld übergeben hat. Jetzt behauptet sie plötzlich das Gegenteil. Das scheint mir nicht sonderlich glaubwürdig. Im übrigen gibt es ja auch weitere Zeugen, die bestätigen, dass Wolfgang Schäuble die Abläufe korrekt dargestellt hat. Ich weiß nicht, was die Frau Baumeister umtreibt. Sie wird ihre Gründe haben, warum sie plötzlich das Gegenteil von dem behauptet, was sie früher schriftlich bestätigt hat. Für mich ist das nicht nachvollziehbar, glaubwürdig ist es nicht.

    DLF: 'Es gibt keinen Machtkampf mit Wolfgang Schäuble' – so am Freitagabend Altbundeskanzler Helmut Kohl wieder. Doch Schäuble hat in den letzten Tagen von 'Machenschaften' gesprochen, die ihm 'das Leben schwer machen'. Die Macher aber werden doch wohl weniger?

    Müller: Ich glaube schon, dass es an der einen oder anderen Stelle den gezielten Versuch gab, Wolfgang Schäuble zu schwächen. Das ist aber gescheitert. Und vor diesem Hintergrund habe ich diese Debatte um einen Machtkampf oder einen verdeckten Machtkampf immer nur begrenzt nachvollziehen können. Falls es so etwas gegeben haben sollte, stand aus meiner Sicht das Ergebnis von Anfang an fest – und das ist auch gut so. Helmut Kohl ist nach der verlorenen Bundestagswahl als Parteivorsitzender zurückgetreten, und damit ist die Ära Kohl in der CDU beendet.

    DLF: Herr Müller, wie tief die Klüfte in der CDU geworden sind, haben jüngst Forderungen nach einem Parteiausschluss Heiner Geißlers deutlich gemacht. Erschreckt Sie das?

    Müller: Nein, das erschreckt mich nicht. In einer großen Volkspartei kann jeder sagen und denken, was er will. In der Sache selbst ist das eine abstruse Forderung. Heiner Geisler hat von Anfang an konsequent Aufklärung eingefordert. Das tut er zu recht. Ob er dabei immer glückliche Worte findet, ist eine Geschmacksfrage. Aber er war einer derjenigen, die die Aufklärung vorangetrieben haben. Er hat sich von daher in dieser Sache sicherlich um die Union verdient gemacht.

    DLF: Noch mal zurück zu Wolfgang Schäuble. Ich darf Friedrich Merz mal zitieren, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Der hat gesagt: 'Selbst wenn wir eine neue Führung bekämen – wir hätten drei Tage lang eine gute Presse, und am vierten Tag die alten Probleme wieder'. Ist Schäuble aus diesem Grund jetzt unverzichtbar?

    Müller: Also eines ist richtig: Dass man die Probleme, die jetzt offenbar geworden sind, nicht in der Bewältigung darauf reduzieren kann, dass einzelne Personen ausgetauscht werden. Wer glaubt, die Diskussion so führen zu können, der springt zu kurz. Wir müssen sicherlich dafür Sorge tragen, dass das, was in der Vergangenheit möglich war, sich in der Zukunft nicht wiederholen kann. Das ist aber eine strukturelle Frage, und keine Frage, die ausschließlich auf Personen bezogen diskutiert werden kann.

    DLF: Wenn wir noch mal bei der Personaldebatte bleiben: Ein Nachfolger Schäubles an der CDU-Spitze im April auf dem Parteitag – käme es denn dazu -: das wäre wohl ein 'Elder Statesman'?

    Müller: Wissen Sie, ich habe mir für das Jahr 2000 einen Vorsatz gefasst, und dieser Vorsatz lautet, hypothetische Fragen nicht zu beantworten, weil jede Beantwortung einer hypothetischen Frage eine neue Wahrheit produziert, die möglicherweise an der Realität vorbei geht. Und deshalb werden Sie mich nicht dazu bringen, jetzt hypothetisch zu diskutieren, was passiert, falls Wolfgang Schäuble im April nicht mehr kandidieren sollte. Er hat erklärt, dass er wieder kandidiert, und damit macht jede weitere Debatte keinen Sinn. Ich beteilige mich daran jedenfalls nicht.

    DLF: Letzte Frage zu diesem Kapitel: Herr Müller, wann wären denn die 'Jungen Wilden' so weit, die 'Ära Kohl-Nachfolge' auch durch einen personellen Schnitt zu beenden?

    Müller: Also dieses Etikett 'Junge Wilde' ist ja immer falsch, aber gänzlich unverzichtbar und hilfreich gewesen. Diejenigen, die mit diesem Etikett belegt wurden, sind ja mittlerweile in verantwortlichen Funktionen: Roland Koch ist Ministerpräsident in Hessen, Christian Wulff ist stellvertretender Bundesvorsitzender, Christoph Böhr ist Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz, Ole von Beust in Hamburg, Günther Oettinger ist Fraktionsvorsitzender in Baden-Württemberg, ich selbst bin Ministerpräsident im Saarland. Also, das ist schon eine Menge Führungsverantwortung, die mittlerweile von dieser Gruppe wahrgenommen werden muss. Das haben wir angestrebt; deshalb fühlen wir uns in dieser Führungsverantwortung auch wohl und wollen alle an den unterschiedlichen Punkten, an denen wir tätig sind, die gemeinsame Sache der CDU nach vorne bringen.

    DLF: Im Zivilberuf, Herr Ministerpräsident - wir gehen einige Jahre zurück -, waren Sie einst Richter, befasst vielleicht auch mit dem Delikt 'Untreue' hin und wieder. Und ganz aktuell gibt es da ja derzeitig erheblichen Ermittlungsbedarf, aber Rechtsexperten bezweifeln schon jetzt, dass es je zu Verfahren, geschweige denn zu Verurteilungen kommt. Ist das nicht fatal für das öffentliche Rechtsbewusstsein?

    Müller: Also, das ist tatsächlich ein Problem, das auch ich empfinde: Der Untreue-Tatbestand ist wahrscheinlich nur lückenhaft geeignet, dasjenige, was da an Machenschaften in der Vergangenheit geschehen ist, strafrechtlich zu erfassen. Deshalb gibt es ja auch einen Vorschlag von mir, und ich habe ja auch mein Justizministerium beauftragt, eine entsprechende Bundesratsinitiative vorzubereiten, das Parteiengesetz zu ändern. Wir haben im Moment ja die Situation, dass bei nicht ordnungsgemäßem Umgang mit Spenden zwar die Partei bestraft werden kann, nicht aber derjenige, der mit diesen Spenden nicht ordentlich umgeht. Dafür brauchen wir einen speziellen Straftatbestand. Eine entsprechende Initiative werden wir über den Bundesrat auch auf den Weg bringen.

    DLF: Aber wenn man die Geschichte des Parteiengesetzes und die Geschichte von Verfassungsgerichtsentscheidungen nachvollzieht, ist das nicht eine Art 'Hase und Igel-Spiel'?

    Müller: Nein, das finde ich eigentlich nicht. Wenn Sie sich die Verfassungsgerichts-Rechtsprechung zur Parteifinanzierung anschauen, dann ist die ja von einem Leitgedanken geprägt, der in der aktuellen Diskussion unterzugehen droht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja immer gesagt: Nach der Konstruktion des Grundgesetzes dürfen Parteien in ihrer Finanzierung nicht überwiegend staatsabhängig sein, nicht überwiegend von öffentlichen Mitteln abhängig sein. Und wenn das so ist, dann sind natürlich Spenden für Parteien unverzichtbar. Ich halte auch überhaupt nichts von der Debatte, dass künftig Parteispenden nicht mehr möglich sein sollten. Was möglich sein muss, ist ein Höchstmaß an Transparenz. Ich lasse gerne mit mir über die Frage diskutieren, ob nicht die Verpflichtung der Parteien, die Namen der Spender zu nennen, nicht erst ab 20.000 Mark beginnt, sondern zu einem deutlich früheren Zeitpunkt, ob Parteien nicht verpflichtet werden, über die Veröffentlichung im Bundesanzeiger hinaus weitere Veröffentlichungspflichten zu erfüllen – also ein Höchstmaß an Transparenz 'ja', ein Verbot von Parteispenden 'nein'.

    DLF: Aktuell in der Debatte ist ja auch die Begrenzung der Amtszeit auf zehn Jahre, um dem Risiko 'Der Staat bin ich' vorzubeugen. Ist das nicht ein frommer Wunsch?

    Müller: Warum soll das ein frommer Wunsch sein? In anderen Demokratien wird nach diesem Muster verfahren. Der amerikanische Präsident Bill Clinton kann jetzt nicht mehr erneut kandidieren – egal, was das für die Situation der Praktikantinnen im Weißen Haus bedeutet. Da haben wir die Situation, dass nur zwei Amtsperioden möglich sind. Ich persönlich bin da sehr offen. Ich habe viel Sympathie für diesen Vorschlag, denn es ist einfach so, dass die Dauer der Ausübung von Regierungsverantwortung einfach die Gefahr des missbräuchlichen Umgangs mit dieser Verantwortung erhöht. Niemand ist unersetzlich. Deshalb sollten wir, was Regierungschefs anbetrifft – ich rede nicht nur über den Bundeskanzler, ich rede auch über die Ministerpräsidenten -, eine offene Diskussion über die Frage führen, ob wir diese Amtszeit nicht auf zwei Legislaturperioden begrenzen, wobei ich dann allerdings sagen würde: Zwei Legislaturperioden á 5 Jahre – und nicht á 4 Jahre.

    DLF: In dieser gesamten Affäre werden ja auf die CDU im Sinne des Gesetzes erhebliche Finanzsanktionen zukommen. Geht danach die CDU am Bettelstab?

    Müller: Also, wir werden über die finanziellen Konsequenzen zu reden haben; da tauchen mittlerweile natürlich ganz andere Fragen auf. Wir haben ja in den letzten Tagen die Pressemitteilungen und Darstellungen gehört, dass offensichtlich in der Vergangenheit über die Parteien Gelder des Bundesnachrichtendienstes an Schwesterparteien im europäischen und außereuropäischen Ausland geflossen sind, und zwar bei allen Parteien. Wenn also jetzt der CDU zum Vorwurf gemacht wird, die Rechenschaftsberichte seien fehlerhaft und deshalb sei der Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung verwirkt, dann muss man sagen: Diese Gelder sind auch in keinem Rechenschaftsbericht keiner Partei aufgetaucht. Und deshalb stellt sich natürlich die Frage, was das denn dann bedeutet für den Anspruch auf Parteienfinanzierung. Ich persönlich glaube, dass bei richtiger Betrachtung der Dinge die Anwendung des § 23 a des Parteiengesetzes angemessen ist, der da besagt: Nicht ordnungsgemäß erfasste Spenden müssen abgeführt werden – und es muss noch einmal der doppelte Betrag als Strafe gezahlt werden. Das scheint mir der angemessene Umgang. Und das kann natürlich für die CDU dann bedeuten, je nachdem, wie viel Jahre wir zurückgehen, dass erhebliche finanzielle Forderungen auf die CDU zukommen – in Millionenhöhe. Und das wird uns vor Probleme stellen, das wird uns arm machen. Aber ich glaube nicht, dass es uns umbringen wird.

    DLF: Herr des Verfahrens in dieser Finanzauseinandersetzung, die dann irgendwann kommen wird, ist ja der Bundestagspräsident – und es wird Streit geben. Muss man den Bundestagspräsidenten nicht aus diesem Streit heraushalten, muss man nicht das Gesetz ändern und eine andere Institution schaffen?

    Müller: Nun, die gesetzliche Regelung ist nun einmal so, wie sie ist, und wir werden die aktuellen Probleme auf der Basis des geltenden Gesetzes zu erledigen haben. Ich sehe auch gar nicht das Problem, da eine andere Instanz damit zu beauftragen. Was soll der Vorteil sein? Der Bundestagspräsident ist hervorragend juristisch beraten und hat eine Administration, die diesen Aufgaben gewachsen ist und ihm zuarbeiten kann. Und dann muss er eine objektive Entscheidung treffen. Das traue ich dem Bundestagspräsidenten zu.

    DLF: Herr Ministerpräsident Müller - der Weg aus der Krise. Stellt sich die Frage, wie die CDU politisch wieder Boden unter die Füße kriegen kann. Konkret: Was muss der Essener Parteitag bringen?

    Müller: Also, wir werden auf dem Essener Parteitag natürlich über die Frage zu reden haben, welche Konsequenzen ziehen wir aus dieser Affäre. Eine Konsequenz liegt bereits auf dem Tisch, nämlich diejenige, dass wir die Trennung zwischen Schatzmeisterei auf der einen Seite und Generalsekretär auf der anderen Seite aufheben, eine einheitliche Kontrolle herbeiführen. Weitere Konsequenzen werden sicherlich von der Kommission vorgeschlagen, die wir eingesetzt haben – mit dem Altbundespräsidenten Roman Herzog, dem ehemaligen Verfassungsrichter Kirchhof und dem ehemaligen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer. Wir werden aber – glaube ich – auf diesem Parteitag auch zunächst einmal den Bundesvorstand neu wählen, also eine neue personelle Konstellation darstellen, und vor allem werden wir dort inhaltlich arbeiten. Wir müssen reden über die Agenda des 21. Jahrhunderts, wir müssen über die inhaltlichen Herausforderungen reden, die auf uns zukommen. Das eigentlich Schlimme an dieser Affäre ist ja, dass im Windschatten dieser Affäre politische Weichenstellungen der aktuellen Bundesregierung möglich sind, die für die Bundesrepublik Deutschland von höchster Brisanz sind, aber die nahezu nicht zur Kenntnis genommen werden, etwa im Bereich der Europapolitik, im Bereich der Steuerpolitik, im Bereich der Wirtschaftspolitik. Da wird vieles getan zur Zeit, was ich für höchst problematisch halte und was die Menschen sehr viel mehr betrifft als die Frage, aus welcher Kasse jetzt welches Geld der CDU zugeführt wurde, was im Moment aber überhaupt nicht Gegenstand der politischen Debatte ist. Und deshalb ist das Allerwichtigste: Zurück zur inhaltlichen politischen Debatte, denn da geht es um die Zukunft der Menschen in Deutschland.