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Müller fordert fairen Welthandel

Wiese: Wir haben vorhin über die Afrika-Reise des Bundeskanzlers berichtet. Die bedrückenden Verhältnisse, die er dort vorfindet - Armut, Ausbeutung, Unterdrückung -, sind nicht zuletzt Folge der so genannten Globalisierung, also der Aufteilung der Welt durch einige wenige Großkonzerne des Westens und ihre Unterordnung unter deren Interessen. Jedenfalls sehen das die Globalisierungsgegner so, die sich derzeit zu Tausenden und noch bis morgen in der indischen Millionenmetropole Bombay treffen, um Gegenstrategien zu entwickeln. Einzige Vertreterin der Bundesregierung bei diesem Weltsozialforum war die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen). Mit ihr möchte ich jetzt eine Bilanz des Treffens ziehen. Guten Tag Frau Müller!

    Müller: Guten Tag Herr Wiese.

    Wiese: Sie wurden dort in Bombay hautnah mit den Folgen der Globalisierung konfrontiert. In unmittelbarer Nähe zum Tagungsort finden sich riesige Slums, Armut und Hunger. Und Schuld an dem Elend ist allein der Westen?

    Müller: Das kann man sicherlich nicht sagen, aber natürlich leidet Indien auch unter den Folgen der Globalisierung. Es gibt dort auch Verlierer der Globalisierung, wobei es eben auch Schichten gibt, die von der Globalisierung profitieren. Bombay ist ein ziemlich erschreckendes Beispiel: 16-Millionen-Stadt, mindestens sechs Millionen davon leben in einem der größten Slums der Welt.
    Die Globalisierung ist in der Tat wirklich die zentrale Herausforderung, vor der wir alle stehen, die internationale Gemeinschaft steht. Es geht um die Frage: wie können wir die Globalisierung gerecht gestalten und wie können wir dafür sorgen, dass eben auch die Entwicklungsländer von der Globalisierung profitieren und nicht nur die Industrieländer. Da wurden auf dem Weltsozialforum alle Themen diskutiert, die hier auf der Agenda stehen und was zu tun ist.

    Wiese: Frau Müller, wenn man sich so die Verlautbarungen des Forums ansieht, dann drängt sich aber schon der Eindruck auf, der Westen und besonders die USA seien die Quellen alles Bösen. Da werden verbindliche Verhaltensregeln für internationale Konzerne gefordert oder sogar zum Boykott zweier ausgewählter Unternehmen aufgerufen. Organisationen wie die Welthandelsorganisation oder der Weltwährungsfonds sollten abgeschafft und Schulden der Dritten Welt einfach nicht bezahlt werden. Was halten Sie denn von solch radikalen Rezepten?

    Müller: Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, die Welthandelsorganisation, die WTO abzuschaffen. Was ist die Alternative? - Es gibt keine andere multilaterale Institution, aber was wichtig ist, ist die Forderung nach einem fairen Welthandel, weil es ist ja im Grunde genommen absurd, dass wir etwa unsere Produkte hoch subventionieren und damit den Produkten der Dritten Welt keine Chance auf dem internationalen Markt geben. Darum soll es bei der Welthandelsrunde gehen. Deshalb setzen wir uns ja auch dafür ein, dass es zu einer Wiederaufnahme kommt. Die ist ja in Cancùn an den Entwicklungsländern gescheitert. Wir haben uns verpflichtet, dass die Welthandelsrunde eine Entwicklungsrunde wird, und deshalb müssen jetzt auch die Industrieländer - und da sind es insbesondere Europa und die USA - ein weitergehendes Angebot machen als bisher, damit es hier zu einer Vereinbarung kommt, einem ersten Schritt zu mehr fairem Handel.

    Wiese: Aber sagen Sie mal ganz konkret, wie Sie sich das vorstellen? Was tut die Bundesregierung, um berechtigte Kritik der Globalisierungsgegner aufzunehmen und diese dann auch umzusetzen?

    Müller: Wir setzen uns erstens dafür ein, dass die Welthandelsrunde wirklich eine Entwicklungsrunde wird, das heißt dass Agrarsubventionen etwa abgebaut werden und dass Produkte der Entwicklungsländer Chancen auf dem Weltmarkt haben, Stichwort Baumwolle. Dort sind es einige afrikanische Länder, zum Beispiel Mali, die Baumwolle produzieren. Wir subventionieren Baumwolle, so dass es für die schwierig ist, dass sie auf dem Weltmarkt verkauft wird. Anderes Beispiel: Kampf gegen die Armut. Wir haben uns in den so genannten "Millennium Development Goals", also den Entwicklungszielen im Rahmen der Vereinten Nationen verpflichtet, die Armut auf der Welt bis 2015 zu halbieren. Davon sind wir in vielen Teilen der Welt aber noch weit entfernt, etwa in Subsahara. Die Bundesregierung hat ein Aktionsprogramm 2015 aufgelegt, wo wir im nationalen Rahmen Programme fahren, Programme fördern und machen, mit denen wir eben hier unseren Beitrag im Kampf gegen die Armut leisten. Ein drittes Beispiel könnten die Vereinten Nationen sein. Wir brauchen natürlich, um diese globalen Probleme zu lösen, starke Vereinte Nationen. Wir setzen uns sehr dafür ein, dass die Forderung von Kofi Annan nach Reformen der Vereinten Nationen auch in diesem Jahr angepackt wird.

    Wiese: Warum tut die Bundesregierung das, aus Gutmenschentum, aus einfach sozialem Engagement, oder stecken dahinter auch ganz konkrete handfeste Eigeninteressen?

    Müller: Erstens denke ich haben wir ganz klar eine moralische Verpflichtung. Unser Reichtum, unser Wohlstand basiert auch auf der Armut vieler Menschen in der Dritten Welt. Deshalb gibt es eine moralische Verpflichtung, Armut zu bekämpfen, Aids zu bekämpfen, die ganze Gesellschaften etwa in Subsahara droht zu zerstören. Wir haben dafür zu sorgen, dass die Menschen, die mit Aids infiziert sind, Zugang zu den entsprechenden Medikamenten bekommen.
    Zweitens haben wir natürlich auch Interessen, denn die Krisen Afrikas erreichen irgendwann auch uns. Wir sehen das beim Thema Terror. Das heißt wir haben ein Interesse daran, Staaten in Afrika zu stabilisieren, ihnen eine friedliche Entwicklung zu ermöglichen, zu verhindern, dass so genannte "Failing States" entstehen, die dann sich gut dafür eignen, dass terroristische Netzwerke dort eben ihre Aggression und ihre Aktionen gegen die Industrieländer planen. Also wir haben natürlich unter anderem auch ein eigenes Interesse. Im Kampf gegen den Terror muss es uns darum gehen, auch die Ursachen von Gewalt zu bekämpfen.

    Wiese: Sie sagen "Globalisierung gerechter gestalten". Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ist Globalisierung als solche nicht schon ungerecht und wie kann sie dann aus Ihrer Sicht gerecht gestaltet werden?

    Müller: Erstens ist natürlich die Globalisierung eine Tatsache, die wir nicht wegdiskutieren können. Andererseits ist es auch völlig verfehlt zu meinen, der freie Markt wird es schon richten, sondern die Globalisierung zu gestalten ist eine politische Aufgabe der internationalen Gemeinschaft und damit auch aller nationalen Regierungen. Deshalb brauchen wir Aktionsprogramme im Kampf gegen die Armut. Deshalb müssen wir mit Aids infizierten den Zugang zu Medikamenten gewähren. Deshalb müssen wir einfordern, dass Menschenrechte in der Dritten Welt eingehalten werden und dass es eine Entwicklung hin zur Demokratie gibt. Deshalb müssen wir unseren Beitrag leisten, damit es fairen Handel gibt, und IWF und Weltbank müssen Programme auflegen, die eben wirklich auch dann im Kampf gegen die Armut weiterführen. Die Globalisierung müssen wir gestalten. Das ist eine politische Aufgabe, wo wir in der Pflicht sind.

    Wiese: Aber das sind erst mal nur Worte. Wie kann man das konkret machen? Wie kann man die Unternehmen zum Beispiel zwingen, etwa die Menschen vor Ort in der so genannten Dritten Welt nicht auszubeuten oder Umweltschutzmaßnahmen einzuhalten?

    Müller: Das sind nicht nur Worte, weil im Welthandelssystem unterwirft man sich ja einem ganz klaren Regelungssystem, und hohe Subventionen, die wir abbauen müssen, das sind auch ganz konkrete Taten. Ich nenne mal ein ganz konkretes Beispiel: Kaffee. Auch heute können wir, kann jeder von uns Kaffee aus der Dritten Welt kaufen. Der kostet vielleicht ein bisschen mehr, aber wenn man diese Produkte kauft, leistet man einen Beitrag zum fairen Handel, dazu, dass eben auch diese Produkte Chancen auf dem Weltmarkt haben. Es gibt also auch ganz konkrete Maßnahmen, die jeder einzelne tun kann, um zu gerechteren Verhältnissen in der Welt zu kommen.

    Wiese: Aber das macht doch kein Mensch?

    Müller: Doch, doch! Das ist ja nun falsch. Es gibt zunehmend mehr Menschen, die darauf achten und denen es auch ein Anliegen ist, solche Produkte zu kaufen. Das allein hilft nicht. Deshalb müssen auch Regierungen sich im internationalen Rahmen verpflichten, den Entwicklungsländern entsprechend zu helfen.

    Wiese: Aber die Menschen kaufen doch viel lieber den billigen Kaffee, auch wenn sie wissen, dass der nur deshalb so billig ist, weil die Menschen in der Dritten Welt ihn mit Hungerlöhnen produzieren?

    Müller: Die Mehrheit sicher, aber heute kann man auch schon in den normalen - ich will jetzt keine Werbung machen - Geschäften Produkte und eben Kaffee aus der Dritten Welt kaufen. Insofern kann dann jeder auch einen Beitrag leisten. Jeder kann einen individuellen Beitrag leisten, aber in der Pflicht sind natürlich auch die Regierungen, wenn es um fairen Handel geht, wenn es um den Kampf gegen die Armut geht, oder eben darum zum Beispiel, dass wir starke internationale Institutionen brauchen, also starke Vereinte Nationen, die Reformen brauchen, um diese globalen Probleme eben auch anzupacken.

    Wiese: Frau Müller, in Bombay wurde auch Kritik an der Bundesregierung laut. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi verlangte eine öffentliche Entschuldigung von Berlin für die Lieferung von Chemiewaffen an den Irak, mit denen Saddam Hussein seinerzeit Tausende Iraner tötete. Wie wird sich die Bundesregierung zu dieser Forderung verhalten?

    Müller: Wir waren bekanntermaßen gegen diesen Krieg, aber wir haben in der jetzigen Situation natürlich ein Interesse daran, dass der Irak sich stabilisiert, dass das irakische Volk eine Chance hat auf eine friedliche Entwicklung und auch auf Demokratie. Da mischen wir uns eben ein, indem wir zum Beispiel eine starke Rolle der Vereinten Nationen fordern.

    Wiese: Aber eine Entschuldigung sehen Sie nicht?

    Müller: Ich glaube nicht, dass das jetzt das ist, was das irakische Volk nach vorne bringt und was das irakische Volk weiter bringt. Die Situation im Irak ist sehr schwierig und worum es jetzt geht ist: wie kann erreicht werden, dass der Irak sich demokratisch entwickelt, dass er sich friedlich entwickelt, und wie können zum Beispiel die Vereinten Nationen dazu beitragen, dass dies auch passiert.

    Wiese: Das war in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk Kerstin Müller, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt.