Meurer: Sind Sie für eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung?
Müller: Ich bin immer für eine solche Abstimmung gewesen und ich glaube, dass man einfach nicht die Augen davor verschließen kann, dass die Briten, dass die Franzosen, dass die Spanier, dass die Polen über diese Verfassung, über diesen Verfassungsvertrag abstimmen werden. Die sind sicherlich nicht klüger und nicht dümmer als die Deutschen auch. Deshalb glaube ich, dass es richtig wäre, ein solches Referendum zuzulassen. Man muss sehen, dass mit diesem Verfassungsvertrag Europa eine neue Grundlage erhält und ich glaube schon, dass man die Bürger fragen sollte, ob sie damit einverstanden sind.
Meurer: Haben die anderen wie Gerhard Schröder oder Angela Merkel Angst vor einer Volksabstimmung?
Müller: Ich weiß nicht, warum man Angst vor einer Volksabstimmung haben sollte. Ich meine mit einem solchen Referendum wäre zunächst einmal verbunden eine intensive inhaltliche Debatte. Mein Eindruck ist, dass die Inhalte des Verfassungsvertrages bisher in der Bevölkerung gar nicht bekannt sind. Und zum Zweiten: Wenn wir davon ausgehen, dass die Demokratie vom mündigen Bürger lebt, dann müssen wir diesem Bürger auch zutrauen, über eine solche Frage befinden und abstimmen zu können.
Meurer: Es hat noch nie, Herr Müller, eine so bundesweite Volksabstimmung gegeben. Ist das Thema EU-Verfassung dafür ungeeignet, weil es einfach zu kompliziert ist?
Müller: Ich glaube, dass man die Frage der plebiszitären Elemente nicht mit Blick auf ein einzelnes Thema diskutieren kann. Es ist schon eine Grundsatzfrage. Unsere Verfassung, unser Grundgesetz ist plebiszitfeindlich. Es gibt einen einzigen Fall, der vorgesehen ist. Das ist die Länderneugliederung. Ich glaube, dass dies nicht angemessen ist und dass eine Ergänzung des Grundgesetzes um die plebiszitären Elemente richtig wäre. Das hebelt das Prinzip der repräsentativen Demokratie nicht aus. Es ist eine Ergänzung dieses Prinzips. Natürlich ist eine Frage wie die, welche Verfassung erhält die Europäische Union, eine Frage, die dann einer solchen Entscheidung zugänglich sein muss.
Meurer: Für welche Fragen wären Sie denn sonst noch offen für eine Volksabstimmung?
Müller: Ich glaube, dass wir im Bereich der plebiszitären Elemente uns orientieren können an den Regelungen, die wir ja auf Landesebene in allen Landesverfassungen haben, die wir auch auf der kommunalen Ebene haben. Haushaltswirksame Gesetze sind sicherlich nicht taugliche Gegenstände. Ansonsten ist das eine Frage der Ausgestaltung des Verfahrens. Es muss sichergestellt sein, dass ein solches Plebiszit nicht, wie Carlo Schmid es einmal formuliert hat, zur Prämie für die Demagogen wird. Das ist aber durch entsprechende Mehrheitsquoten und durch entsprechende Verfahrensgestaltungen sicherlich erreichbar.
Meurer: Wären Sie für eine Volksabstimmung über Renten- und Gesundheitsreform?
Müller: Da sind wir ja in einem Bereich der haushaltswirksamen Gesetze. Da haben wir ja überall in allen Landesverfassungen Restriktionen und ich glaube, dass die auch auf der Bundesebene gelten sollten.
Meurer: Nun sagen ja manche, eine Abstimmung über die EU-Verfassung, da hätte man doch lieber über den Euro abstimmen lassen sollen.
Müller: Der bloße Umstand, dass in der Vergangenheit derartige Abstimmungen nicht stattgefunden haben, kann ja keine Begründung dafür sein zu sagen, dann wollen wir das auch in der Zukunft nicht tun. Richtig ist, dass in einigen europäischen Ländern auch über den Euro abgestimmt worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland war das nicht der Fall. Aber davon losgelöst ist die Frage zu entscheiden, wollen wir denn künftig weiter diese Plebiszitfeindlichkeit des Grundgesetzes zur Grundlage unseres Handelns machen oder trauen wir dem Prinzip des mündigen Bürgers so stark, dass wir entsprechende Weiterentwicklungen vornehmen.
Meurer: Realistisch gesprochen, sehen Sie überhaupt eine Chance für eine solche Volksabstimmung, denn es braucht ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit?
Müller: Bisher gibt es diese Mehrheit nicht. Es ist vollkommen klar, aber ich vertraue auf die Kraft des Argumentes und die Kraft des Argumentes heißt: was Franzosen, was Briten, was Polen und Spaniern erlaubt ist, sollte Deutschen nicht untersagt sein.
Meurer: In der Union, Herr Müller, gibt es jetzt seit dem Wochenende eine Debatte über den Kündigungsschutz. Ihr Parteifreund Friedrich Merz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Berlin, hat ja vorgeschlagen, den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer aufzuheben, und er hat auch durchblicken lassen, in der Schweiz gibt es gar keinen Kündigungsschutz und dafür Vollbeschäftigung. Wie denken Sie über den Kündigungsschutz?
Müller: Ich glaube man sollte in der Union langsam vorsichtig sein und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Manches was da offen und zwischen den Zeilen gesagt wird, ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Ich halte überhaupt nichts davon, den Kündigungsschutz generell in Frage zu stellen. Dafür gibt es überhaupt gar keine Begründung. Wir wollen in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse. Die Union ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft heißt, dass es eben auch Arbeitnehmerschutzrechte geben muss. Im Prinzip hat man zwei Möglichkeiten. Wenn Sie sich etwa das dänische Beispiel anschauen, da ist es tatsächlich so, dass es sehr, sehr wenig Kündigungsschutz gibt, deutlich weniger als in Deutschland. Das ist aber verbunden mit einem System hoher Transferleistungen, wenn Arbeitslosigkeit eintritt, und vor allen Dingen mit einem System, in dem der Staat Beschäftigungsmöglichkeiten für diejenigen, die ihre Arbeit verlieren, in weit höherem Maße garantiert, als dies in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. In Deutschland haben wir mit Hartz IV die Transferleistungen reduziert. Dann passt es nicht, parallel dazu den Kündigungsschutz generell in Frage zu stellen. Deshalb halte ich von solchen Vorschlägen überhaupt nichts.
Meurer: Aber unter bestimmten Voraussetzungen wären Sie schon dafür, den Kündigungsschutz abzuschwächen?
Müller: Überall dort, wo der Kündigungsschutz sich tatsächlich als eine Beschäftigungsbremse, als ein Beschäftigungshindernis auswirkt, muss man natürlich sagen, sozial ist was Arbeit schafft. Wir wollen die Beschäftigungsmöglichkeiten verbessern. Das ist aber keine generelle in Fragestellung des Kündigungsschutz, sondern da muss man über ganz spezielle Fallgestaltungen reden. Eine Frage ist, wie ist das bei älteren Arbeitnehmern. Da ist der Kündigungsschutz tatsächlich eine Beschäftigungsproblematik, ein Beschäftigungshindernis. Insofern kann man dort über ein Optionsrecht reden, so dass der Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, ob er den Kündigungsschutz in Anspruch nimmt, oder ob man sich auf eine Abfindungsregelung verständigt. Eine zweite Frage ist die Frage der Anwendungsschwelle für das Kündigungsschutzgesetz. Das ist also die Frage der kleinen Unternehmen. Da kann ich mir vorstellen, dass man das auf Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten anhebt. Darüber hinaus darf der Kündigungsschutz aber nicht in Frage gestellt werden.
Meurer: Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. - Danke Herr Müller und auf Wiederhören!
Müller: Auf Wiederhören!