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Müllsammlerinnen im indischen Pune schließen sich zusammen

Recycling bietet in Indien vielen Menschen einen Lebensunterhalt, allerdings meist unter erbärmlichen Bedingungen. Doch auch in Indien wird die Müllbeseitigung immer mehr von privaten Unternehmen übernommen - für die Müllsammlerinnen ist das eine Bedrohung der eigenen Existenz. In der indischen Stadt Pune haben sie sich zusammengeschlossen, um neue und menschenwürdigere Wege zum Leben zu finden.

Von Rainer Hörig |
    Tag für Tag schleppt sie ihren Sack kilometerweit durch die Straßen der Großstadt. Mit den Augen eines Jägers sucht sie Straßengräben, Müllcontainer und Hinterhöfe nach verwertbaren Abfällen ab. Glasflaschen, Plastikkanister und Zeitungsreste wandern in ihren schmutzig-weißen Plastiksack. Dabei ist sie stets auf der Hut vor korrupten Polizisten, die Schmiergeld fordern:

    "Hin und wieder verletze ich mich an Glassplittern oder Rasierklingen. Am gefährlichsten ist die Arbeit während der Regenzeit, wenn alles glitschig wird und die Krankheitserreger in den Müllhaufen brüten, dass es einem übel wird."

    Mainabai Narwade ist Müllsammlerin, eine von etwa 7000 in der drei-Millionen-Stadt Pune, die 125 km südöstlich von Bombay auf dem Dekkhan-Hochland liegt. In ganz Indien sind schätzungsweise 1,5 Mio. Menschen gezwungen, so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Über 90 Prozent sind Frauen. Fast alle gehören der Gemeinschaft der Dalits an, den Gebrochenen, wie sich die Unberührbaren heute nennen. In einem Land, das weder Sozialhilfe noch eine Arbeitslosenversicherung kennt, ist das Müllsammeln für viele die letzte Rettnung vor dem Verhungern. Mainabai wurde nicht freiwillig zur Müllsammlerin:

    "Ursprünglich stamme ich aus einem kleinen Dorf mehr als 500 km östlich von hier. Während der schrecklichen Dürre von 1972 verloren wir unser Land und flohen nach Pune in der Hoffnung, hier unser Glück zu finden."

    Für Mainabai und ihre Kolleginnen liegt das Glück buchstäblich auf der Straße. An einem durchschnittlichen Tag verdienen sie 75 Rupien, umgerechnet etwas mehr als ein Euro. Vom frühen Morgen an streifen sie durch die Stadt, mittags sortieren sie ihre Beute und liefern sie beim Schrotthändler ab. Erst am Nachmittag kehren die Müllsammlerinnen heim, wo schreiende Kinder und hungrige Ehemänner warten:

    "Wir wohnen in einem Slum nicht weit von hier. Mit der Familie meiner Schwester teilen wir eine drei mal drei Meter große Wellblechhütte. Insgesamt sind wir zehn Personen. Der Slum hat Gemeinschaftstoiletten und Stromanschluss. Unser ganzer Stolz ist ein alter Schwarzweiß-Fernseher."

    Wilde Abfallhalden, überquellende Container, offene Abwasserkanäle – Indiens Städte sind kein Vorbild in puncto Sauberkeit. Die meisten Städte schaffen sich den stinkenden Müll vom Hals, versenken ihn in riesige Gruben außerhalb der Stadtgrenzen. Aber mit steigendem Wohlstand wächst der Abfallberg und viele Deponien stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Einem weltweiten Trend folgend beauftragt die Regierung immer häufiger Privatfirmen mit der kompletten Abfallentsorgung ganzer Stadtviertel.

    Für die Müllsammler bleibt da nichts mehr zu holen. Engagierte Bürger haben die Notwendigkeit erkannt, Müllsammler zu organisieren und ihnen eine Stimme zu verleihen. In Pune haben sich rund 5000 Müllsammler in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen, die von der Hochschullehrerin Laxmi Narayan beraten wird:

    "Müllsammler entsorgen täglich 150 Tonnen Abfall in dieser Stadt, das macht ein Sechstel des gesamten Müllberges aus. Sie helfen somit der Stadtverwaltung, Kosten zu sparen. Außerdem führen sie der Recycling-Industrie Rohstoffe zu und halten die Stadt sauber. Unglücklicherweise werden ihre Dienste jedoch nicht anerkannt, weder von der Mehrzahl der Bürger noch in weiten Bereichen der Verwaltung."

    Mit gewaltfreien Protesten setzte der so genannte "Papier-, Glas und Blech–Arbeiter–Rat" durch, dass die Stadtverwaltung den Müllsammlern einen Ausweis ausstellt, der sie zum Sammeln berechtigt. In einigen Stadtteilen hat die Gewerkschaft die Abfallverwertung komplett übernommen. Von der Stadt authorisierte Müllsammler holen dort den Abfall an der Haustür ab, trennen organischen vom trockenem Müll und verkaufen die Wertstoffe. Die Haushalte zahlen für diesen Dienst eine Monatsgebühr.

    Die Zukunft der städtischen Müllabfuhr wird von einem Miteinander privater und öffentlicher Firmen bestimmt sein. Müllsammler sollen in diesem System einen festen Platz haben, glaubt der Papier-, Glas- und Blech-Arbeiter-Rat in Pune.