Mittwoch, 24. April 2024

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Münchner Soziologe zu Asylstreit
"Wir haben wahnsinnig viel Zeit verloren"

Der Asylstreit zwischen CDU und CSU sei eher ein politisches, als ein inhaltliches Schauspiel gewesen, sagte der Münchner Soziologe Armin Nassehi im Dlf. Eines sei aber sehr deutlich geworden: In Deutschland fehlt es an einem klaren politischen Konzept für eine gelungene Migrationspolitik.

Armin Nassehi im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.07.2018
    Armin Nassehi, Soziologe an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München.
    Die deutsche Politik habe es die letzten 30 Jahre versäumt, ein klares Konzept zur Einwanderungspolitik zu entwickeln, sagte Armin Nassehi im Dlf (dpa / Erwin Elsner)
    Jasper Barenberg: Berlin und Brüssel, das waren zuletzt die Schauplätze, auf denen der Umgang mit Asylsuchenden und mit Flüchtlingen verhandelt wurde, und zwar in einer Härte wie selten zuvor. Am Ende haben sich die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel geeinigt, und auch die Protagonisten in Berlin: CSU-Chef Horst Seehofer bleibt Innenminister, Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Der große Knall ist also ausgeblieben, aber wie überzeugend ist dieser Friedensschluss? Oder wurde er zulasten der Flüchtlinge und der Schutzbedürftigen geschlossen? Immerhin sieht sich die Kanzlerin inzwischen ja genötigt, auf einen europäischen Grundwert zu beharren.
    Angela Merkel: Die Seele auch von Europa ist Humanität, und diese Seele, wenn wir die erhalten wollen, wenn Europa mit seinen Werten in der Welt eine Rolle spielen will, dann kann sich Europa nicht einfach abkoppeln von dem Leiden. Und das heißt einmal Entwicklungshilfe, aber das muss zum anderen auch heißen legale Kontingente. Und das sollte eine neue Partnerschaft mit Afrika sein.
    Barenberg: Nach einer turbulenten Woche wollen wir gleich mit dem Soziologen Armin Nassehi sprechen.
    Wichtige Weichenstellungen also in der Flüchtlingspolitik in der vergangenen Woche. Am Telefon ist Armin Nassehi, Soziologe an der Universität München und Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch". Schönen guten Morgen, Herr Nassehi!
    Armin Nassehi: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Wir wollen gemeinsam ein wenig zurückschauen auf all das, was geschehen ist in den letzten Tagen vor allem, aber auch in den letzten Wochen. Beginnen wir vielleicht in Berlin, wo die CSU im Streit um den Umgang mit Flüchtlingen ja eine Regierungskrise provoziert hat, Ultimaten ausgerufen und dann wieder dementiert hat, wo ein Rücktritt angekündigt und dann wieder zurückgenommen wurde.
    Jetzt gibt es also eine Einigung aller Beteiligten, SPD inklusive. Wenn wir jetzt einen Augenblick mal beiseitelassen, dass in den Details ja immer noch Lösungen ausstehen und gefunden werden müssen, was für ein Schauspiel haben wir da erlebt?
    Nassehi: Na ja, es ist wahrscheinlich eher ein politisches als ein inhaltliches Schauspiel gewesen. Es wäre ja schön, wenn manche der Fragen, um die es geht, wirklich geklärt worden wären, ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, wie es an diesem wirklich Detailpunkt, um den es ja hier ging, fast zu einer Regierungskrise kommen konnte. Also wenn ich die Kanzlerin gewesen wäre – Sie achten natürlich auf den Konjunktiv –, dann hätte man doch wahrscheinlich die Strategie fahren können und den schwarzen Peter tatsächlich nach München beziehungsweise zu Seehofer schicken können und sagen können, nun setz das tatsächlich mal um und mach die bilateralen Verträge mit Europa!
    Aber stattdessen ist es, wie in einer Ehe, in der man sozusagen an einem Detail womöglich auf das Ganze verweist, auf den gesamten Konflikt, sozusagen hier fast zu einem Bruch gekommen. Am Ende ist ja nichts weiter herausgekommen, als die Absichtserklärung, die in diesem 63-Punkte-Plan steht, tatsächlich jetzt umsetzen zu wollen. Und Sie haben es ja schon angedeutet, man hat eigentlich noch gar nichts umgesetzt, weil es bilaterale Verträge zwischen europäischen Staaten braucht, um das überhaupt tun zu können.
    Also man kann eigentlich sagen, es hat inhaltlich gar nicht so viel stattgefunden, das ist aber ein Hinweis darauf, wie unkontrolliert die Bundesregierung tatsächlich mit diesen Migrations- und Flüchtlingsfragen umgeht und umgegangen ist.
    Nassehi: Seehofer hat nichts Besonderes gefordert
    Barenberg: Sie haben ja eben auch angedeutet, dass Sie in der Sache da durchaus Klärungsbedarf sehen, dass das jetzt aber alles nicht passiert ist, obwohl tage-, ja wochenlang gerungen und gedroht und dann am Ende sich geeinigt wurde. Würden Sie denn rückblickend sagen, dass Anlass und Eskalation in einem vertretbaren Verhältnis standen?
    Nassehi: Nein, auf gar keinen Fall. Aber ich meine, spannend ist doch zu sehen, dass wir uns jetzt alle darauf einschießen, dass Horst Seehofer und die CSU einen großen Fehler gemacht haben. Und das ist eine relativ einfache Diagnose. Man muss vielleicht ehrlicherweise sagen, dass das, was Horst Seehofer hier in diesem Fall zumindest gefordert hat, gar nichts wirklich Besonderes war. Im Prinzip wurde auf etwas verwiesen, was bereits fast so etwas wie eine Rechtslage ist, als hinterher dann von Fragen von Konzentration – ich nehme absichtlich diesen Begriff – von Flüchtlingen in irgendwelchen Lagern oder Ähnlichem die Rede war, das war eigentlich sozusagen erst das Ergebnis der Eskalation.
    Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
    Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe mit seinen Forderungen deutlich gemacht, wie sehr es Deutschland an einem Konzept für Migrtion fehle, sagte Armin Nassehi im Dlf (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Am Anfang war davon überhaupt nicht die Rede, es ging tatsächlich ausschließlich um die einfache Frage, ob man Asylbewerber beziehungsweise Migranten an der Grenze zurückweisen kann, wenn sie in einem anderen europäischen Land einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert sind. Das ist eigentlich ein ziemlich simpler Zusammenhang, der eine Rechtslage wiedergibt, der politisch eigentlich gar nicht strittig sein dürfte, andere europäische Länder machen das – zum Beispiel Frankreich – viel, viel stärker als die Bundesrepublik.
    Aber an diesem Punkt ist sozusagen deutlich geworden, dass die Eskalation erst dadurch stattfindet, dass wir eigentlich kein Flüchtlings- und Migrationskonzept haben. Und das ist etwas, was man seit zweieinhalb Jahren tatsächlich beobachten muss, es ist ja wirklich eine schwierige Situation, dass wir natürlich eine Flüchtlingssituation haben, aber so etwas wie ein klares politisches Konzept, damit umzugehen, das haben wir nicht. Man muss im Hintergrund sehen, dass im Mittelmeer immer noch Menschen ertrinken, und das liegt unter anderem auch daran, dass wir dieses Konzept nicht haben, noch nicht mal ein Konzept darüber, wie wir eigentlich verhindern, dass Menschen sich in solch eine Situation begeben, und wir diskutieren über fünf bis sieben Personen womöglich am Tag, die bei Kufstein oder wo auch immer über die deutsch-österreichische Grenze kommen. Das ist völlig unverhältnismäßig.
    Fehlendes Konzept ist "natürlich der Tod aller Politik"
    Barenberg: Wenn Sie sagen, Herr Nassehi, dass das Notwendige und das durchaus Nachvollziehbare in der Sache dann unter die Räder gerät angesichts einer Regierung, die unkontrolliert handelt, wie würden Sie dann den Zustand dieser Regierung und den Umstand, dass sie eben offenbar über kein überzeugendes Konzept in diesem politischen Feld verfügt, beschreiben?
    Nassehi: Na ja, getrieben ist das Ganze ja zurzeit doch durchaus durch, sagen wir mal, das Agenda-Setting der AfD. Und es herrscht ja eine große Angst, dass man am rechten Rand gewissermaßen die Kontrolle über das politische Publikum verliert. Die Strategie der CSU ist eine ganz bestimmte Strategie, die vielleicht der Bundesregierung selbst eine eher vorsichtige und abwartende.
    Ich glaube, dass man aus dieser Frage nur rauskommt, wenn man wirklich ein nachvollziehbares Konzept hat. Die Menschen haben überhaupt keine Angst vor Migration und vor Flucht, sie haben ein Unbehagen, dass man eigentlich nicht genau weiß, worum es geht, dass wir eigentlich keine Konzepte haben, was man tatsächlich tun soll. Ihr Einspieler der Bundeskanzlerin gerade hat ja doch ein paar konkrete Sätze gesagt, zum Beispiel über Kontingentlösungen nachzudenken, zum Beispiel darüber nachzudenken, dass das Problem wahrscheinlich nicht in Europa, sondern nur in afrikanischen Ländern zu lösen ist, darüber nachzudenken, dass der Tod auf dem Mittelmeer nicht sozusagen ausgespielt werden darf durch den Tod in libyschen Lagern.
    Das sind ja alles Fragen, über die man reden kann, die man nicht vollständig kontrollieren kann. Aber jetzt so zu tun, als könne man an so einer Detailfrage tatsächlich der AfD womöglich entgegenkommen, weil es so etwas wie eine Art von – wie soll man sagen – Semantik der Zurückweisung gibt, ist ja geradezu lächerlich. Man muss sich die Sätze der AfD-Politiker in den letzten Tagen anhören, die mit einem Grinsen tatsächlich sagen, das geht in die richtige Richtung, aber es ist natürlich noch viel zu wenig! Und wenn man in die rechte Presse reinguckt, dann stellt man tatsächlich fest, dass also inzwischen Seehofer selbst der Buhmann geworden ist, weil er eben nicht durchsetzen konnte, was er angeblich gefordert hat. Seehofer hat vieles gefordert, aber tatsächlich nicht das, was die AfD in dieser Form sozusagen als totale Abschottung will.
    Und Sie sehen schon, wenn ich das beschreibe, geraten die Kategorien eigentlich durcheinander, und das ist natürlich der Tod aller Politik, wenn man noch nicht mal ein Konzept hat, das man dann rational verfolgen kann. Wenn Sie noch die Bemerkung erlauben, ich meine, wir haben ja überhaupt gar keine Einigung, sondern wir haben eine Absichtserklärung, die erst mit bilateralen Verträgen tatsächlich hergestellt werden muss. Mit wem eigentlich, mit der österreichischen Regierung? Mit der ungarischen Regierung? Womöglich mit der polnischen Regierung? Das sind vielleicht nicht die Partner, die Interesse haben, dieses Problem zu lösen.
    "Fast unangenehme Alternativen"
    Barenberg: Und hat der stellvertretende Parteichef der SPD, hat Ralf Stegner recht, wenn er sagt, dass der Eindruck doch zurückbleiben muss, dass wir es am Ende – jetzt mit Blick auf das Schicksal der Flüchtlinge und der Migranten – mit einem Schäbigkeitswettbewerb zu tun haben?
    Nassehi: Ja, ein bisschen geht das schon in die Richtung. Man möchte auf der einen Seite signalisieren, die Bundeskanzlerin hat gerade von Humanität und Werten gesprochen, also sozusagen in ein vielleicht wertorientiertes Bürgertum hineinzusagen, ihr könnt durchaus beruhigt sein, wir kümmern uns um die Dinge, und auf der anderen Seite dem Wettbewerb zu sagen, wir sind auch dabei zurzeit, die Abschottung stärker zu machen. Und das sind ja eigentlich, man könnte sagen, fast unangenehme Alternativen.
    Ich wiederhole noch mal, was ich gerade gesagt habe: Ein Konzept müsste tatsächlich sagen, wie kann man womöglich Menschen daran hindern, übers Meer zu fahren, wie kann man innerhalb Europas so etwas wie Gerechtigkeit herstellen? Ich erinnere mich gut daran, dass 2015 darüber diskutiert wurde, dass womöglich diese Flüchtlingskrise gar nicht als Krise aufgetaucht wäre, wenn die europäische Solidarität zwischen den Ländern die Kontingente jeweils ermöglicht hätte, dass man die Menschen in Europa so verteilt, dass es auch in ihrem eigenen Sinne gut ist. All das kommt jetzt zweieinhalb Jahre zu spät, wir haben wahnsinnig viel Zeit verloren, und das muss man tatsächlich auch der deutschen Politik, der Bundesregierung ins Stammbuch schreiben, dass man womöglich aus Bequemlichkeit die Dinge nicht gemacht hat. Man muss in guter dialektischer Weise vielleicht sogar der CSU dankbar sein, dass die Dinge jetzt tatsächlich auf der Agenda sind. Man kann jetzt nicht mehr daran vorbeisehen, dass die Dinge gemacht werden müssen, und ich hoffe, dass das der Anfang ist eines schwierigen Diskurses über ein Einwanderungsgesetz, in dem auch die Fluchtmigrationsfragen und Humanitätsfragen eine Rolle spielen.
    "In Diskursen, wo alle Sieger sind, sind meistens alle Verlierer"
    Barenberg: Spiegeln wir das Ganze noch über die Brüsseler Bühne. Auch dort hat es ja den EU-Gipfel gegeben inklusive quasi eines Vorbereitungssondergipfels, und am Ende haben EU-Staaten wie Polen oder Ungarn sich als Sieger betrachtet und gejubelt, weil zum Beispiel die verhasste Quote der Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen jetzt endgültig vom Tisch scheint. Was die Runde beschlossen hat, ist im Gegenteil so etwas wie Ausschiffungszentren, von denen keiner weiß, wie die tatsächlich und wo die stattfinden sollen, im Norden irgendwo in Afrika, und in Europa selbst kontrollierte Aufnahmezentren. Auch von dem ist ja noch nichts umgesetzt und es scheint höchst fraglich, ob und wann das gelingen kann. Aber kann man darin etwas anderes sehen als ein Signal der Abschottung aller EU-Staaten?
    Nassehi: Ja, das kann man tatsächlich sehen. Wir müssten ja eigentlich darüber diskutieren, ob wir eine kontrollierte Form der Zuwanderung auch von Flüchtlingen irgendwie organisieren können. Eigentlich ist das ja genau das Gleiche wie das, was Sie gerade beschrieben haben, wir beschreiben das aber mit Begriffen, die sozusagen eher auf diese Abschottung hinweisen, das heißt, die Agenda wird eigentlich tatsächlich von rechten, zum Teil rechtsradikalen Parteien gesetzt.
    Im Prinzip geht es ja bei beidem etwas Ähnliches, es geht um die Frage: Kann man den Zuzug tatsächlich in einer bestimmten Art und Weise so kontrollieren, dass es nicht zu viele – ich sage das jetzt mal tatsächlich in diesem militärischen Jargon – Kollateralschäden gibt? Ich möchte immer wieder darauf hinweisen, es geht tatsächlich um die Frage, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, und das hat durchaus etwas mit den Politiken zu tun, um die es im Moment hier geht, also diese Frage wirklich zu stellen, aber die Semantiken sind ausschließlich Abschottungssemantiken.
    Und insofern können sich natürlich immer diejenigen als Sieger fühlen, die diese Abschottungssemantiken zu offiziellen Papieren, in EU-Papieren, aber auch in der Bundesregierung machen können, aber es können sich auch die als Sieger fühlen, die sagen können, wie soll man sagen -, also dass man endlich das Ding auf der Agenda hat. Und in Diskursen, wo alle Sieger sind, sind meistens alle Verlierer, weil man tatsächlich nichts erreicht hat.
    "Ein riesiger politischer Fehler, den man wahrscheinlich auf europäischer Ebene sehr schwer nur heilen kann"
    Barenberg: Helfen Sie uns noch ein Stück weiter. Wenn Sie sagen, dass es doch eigentlich um Fragen geht, die auf der Hand liegen, also wie können wir Zuwanderung in einem verträglichen Maß steuern und ordnen, wie können wir entscheiden, wer als Migrant zu uns kommen soll, wer als politischer Flüchtling oder als Asylsuchender hier das Recht auf Schutz für sich in Anspruch nehmen kann, oder weil zu Hause ein Bürgerkrieg herrscht, da liegen die Fragen auf der Hand, sagen Sie. Und auf der anderen Seite sagen Sie, es kippt entweder in die Abschottungssemantik, in das Reden von der Abschottung, oder auf der anderen Seite eben auf so etwas wie Hypermoral, wie es ja auch wieder kritisiert wird, alle aufzunehmen. Warum immer dieses Schwarz-Weiß, warum ist dieser rationale Diskurs so schwierig?
    Überlebende eines Bootsunglücks vor der Küste Libyens werden zur Küste gebracht
    Deutschland streite über fünf bis sieben Menschen täglich an der deutschen Grenze, während im Mittelmeer täglich Menschen ertränken, kritisierte der Soziologe Armin Nassehi im Dlf (AFP / Mahmud TURKIA)
    Nassehi: Ja, wenn man das wüsste! Er ist ja eigentlich nicht schwierig, aber er ist nicht möglich. Er ist deshalb schwierig, weil wir ganz offensichtlich im Hintergrund eigentlich diese ganzen Migrationsfragen nicht behandeln wollen. Wenn man das nur auf die Bundesrepublik bezieht, muss man sagen, sind wir nicht zwei Jahre zu spät dran, sondern 30 Jahre zu spät dran. Wir sind längst ein Einwanderungsland und wir hätten uns dieser Frage tatsächlich stellen müssen, übrigens auch mit einer Kritik mancher Einwanderungsfolgen, die es gibt. Ich habe schon sehr oft darauf hingewiesen, dass es tatsächlich um die Frage geht, diese Anerkennung zu machen. Wenn es sozusagen einen politischen Mut geben würde in der Öffentlichkeit, zu sagen, wir sind das Einwanderungsland, wir müssen uns diesen Flüchtlingsfragen stellen, wir müssen auch die Humanitätsfragen stellen, um dann zu politischen Konzepten zu kommen, dann werden wir sicher einen Schritt weiter sein. Vielleicht sind wir das gerade ein bisschen, wenn tatsächlich zum Programm der Bundesregierung gehört, den Beginn eines Einwanderungsgesetzes tatsächlich mal zu diskutieren. Das nennt sich glaube ich im Moment Fachkräfte-Sowieso-Gesetz. Also man versucht, sich langsam daran sozusagen hinzubewegen, und das könnte ja durchaus eine positive Entwicklung sein.
    Aber dass sozusagen dieses Flüchtlingsthema das Hauptthema der deutschen Politik geworden ist, als gäbe es nichts anderes, liegt natürlich an dieser merkwürdigen Oszillation zwischen einerseits starken Sätzen und andererseits dem Erlebnis, als hätte man einen totalen Kontrollverlust. Und das ist ein riesiger politischer Fehler, den man wahrscheinlich auf europäischer Ebene sehr schwer nur heilen kann, weil sozusagen die Nichtsolidarität der europäischen Staaten miteinander ja unter anderem ein Grund für diese Krise gewesen ist. Insofern muss das jetzt in der deutschen Politik passieren. Wir werden wahrscheinlich auch in Deutschland nicht weiterkommen, wenn wir sagen, hätte die CSU jetzt nicht auf den Putz gehauen, dann wäre alles gut, dann hätten wir wunderbare Lösungen. Das würde ja im Prinzip nur heißen, dann würden wir über die Fragen jetzt auch nicht diskutieren. Und wahrscheinlich sind wir jetzt in einer Situation, die man fast als eine Art Kairos bezeichnen kann. Sie merken, ich bin da sehr optimistisch, aber Diskurse brauchen Anlässe, selbst wenn diese Anlässe manchmal hässlich sind.
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