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Müntefering appeliert an CDU/CSU Gemeindefinanzreform nicht zu blockieren

Wiese: Noch einmal zur geplanten Gemeindefinanzreform. Nicht nur beim Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie Michael Rogowski stößt sie auf scharfe Kritik, wie wir vorhin in dieser Sendung hörten. Auch jene, denen die Reform eigentlich zugute kommen soll, die Vertreter der Kommunen und Gemeinden, lassen kein gutes Haar an ihr. Mogelpackung, völlig unakzeptabel, heißt es etwa beim Deutschen Städtetag. Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Franz Müntefering. Herr Müntefering, überrascht Sie diese kategorische Ablehnung eigentlich?

    Müntefering: Na ja, die kämpfen um ihre eigenen Interessen. Das ist legitim. Im Moment haben wir die Situation, dass das Kabinett sich auf den Kabinettsbeschluss am 13. August vorbereitet. Anschließend sind die Fraktionen dran. Wir werden uns das auch nochmals genau angucken. Die beiden wichtigsten Ziele scheinen mir aber nun erreichbar zu sein nach der Informationen, die wir vorgestern dazu bekommen haben. Das erste Ziel heißt, die finanzielle Stärkung der Kommunen soll schneller erfolgen, deutlich sein und verstetigt werden. Das gelingt, glaube ich. Und es soll bei einer Gewerbesteuer bleiben, bei einer Steuer also mit einem kommunalen Hebesatz, die allerdings Gemeindewirtschaftssteuer heißen wird. Diese Ziele bleiben gesichert, und insofern glaube ich, dass wir die Übereinstimmung mit den Kommunen gewinnen können.

    Wiese: Aber im Moment sieht es nicht danach aus. Die Kommunen schießen doch gewaltig gegen diese Pläne. Sie sagen eben, diese Verstetigung ist nicht eingetreten, kann nicht dadurch eintreten, dass sie zum Beispiel auf diese Besteuerung gewinnunabhängiger Elemente verzichten.

    Müntefering: Man kann ja solche Verstetigungen in unterschiedlicher Weise gewinnen. Dadurch, dass Freiberufler und Selbständige einbezogen werden, und zwar in der oberen Kategorie, längst nicht alle. Da dies ein Bereich ist, der weniger stark auf die Konjunktur reagiert, kommt eine größere Stabilität da rein. Es wird eine verstärkte Beteiligung der Kommunen ja im Bereich der Mehrwertsteuer geben; auch die ist weniger konjunkturanfällig. Das sind schon wichtige Hilfen. Ganz freistellen von konjunkturellen Schwankungen kann man aber keine Ebene. Da haben Bund, Länder und Kommunen mit fertig zu werden.

    Wiese: Aber gerade auch die Belastung der Freiberufler und Selbständigen, deren Ablehnungskonzert ist doch unüberhörbar. Gerade jene würden zur Kasse gebeten, heißt es da, von denen man zusätzliche Investitionen erwarte.

    Müntefering: Da geht es um die Freiberufler um Selbständige, und das ist auch nicht einzusehen, dass sie heute ganz draußen sind. Auf der einen Seite gibt es die Verrechnungsmöglichkeit mit der Einkommenssteuer. Wenn man da einen Strich in der Bilanz drunter macht, so hat er uns gesagt, werden die Einnahmen dort unter 600 Millionen sein, das heißt, der allergrößte Teil der Freiberufler und Selbständigen muss nicht wirklich zuzahlen, weil er bei der Einkommenssteuer dann weniger Einnahmen hat. Das ist eine Umverteilung zwischen Bund und Ländern auf der einen Seite, die verzichten, und den Mehreinnahmen bei den Städten und Gemeinden, die sie dadurch erreichen. Für die Freiberufler und Selbständigen bedeutet das keine so große zusätzliche Belastung wie das im Augenblick von manchen dargestellt wird.

    Wiese: Kommen wir noch einmal auf den BDI-Chef Michael Rogowski zu sprechen. Er hat ja vorhin in dieser Sendung die Reform im Grunde genommen abgelehnt, wenn auch einige Bestandteile positiv bewertet. Er sprach sich für die vollständige Abschaffung der Gewerbesteuer aus und hat stattdessen ein Alternativangebot gemacht. Was sagen Sie dazu?

    Müntefering: Das Alternativangebot war ja bekannt. Das ist in der Kommission, die lange Zeit beraten hat, von der ganz großen Mehrheit abgelehnt worden, auch von vielen aus dem CDU/CSU-Lager. Wir möchten auf jeden Fall bei dieser Gewerbesteuer bleiben, die dann Gemeindewirtschaftssteuer heißen wird. Das ist eine Steuer, die ist auch ein Verbund im Grunde zwischen den Interessen der Gemeinden und der Unternehmen. Die Gemeinden müssen Interesse haben, dass sie Unternehmen in ihrem Ort, in ihrer Stadt haben, und sie müssen ein kommunales, eigenes, lokales Hebesatzrecht haben. Das soll alles so bleiben. Das wollen wir nicht abschaffen. Was Rogowski will, ist ganz einfach: Er will die Wirtschaft total entlasten und will die Kosten und Einnahmen, die dann anderswo geholt werden sollen, den Bürgern auferlegen, und das, glauben wir, kann so nicht sein. Es wird jetzt an der CDU/CSU im ganz entscheidenden Umfang liegen, was sie tut. Sie hat schon, als sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz abgelehnt hat, vor einigen Wochen den Kommunen sechs Milliarden Euro vorenthalten - die hätten sie sonst bis zum Jahre 2006 bekommen. Rogowski kann mich nicht beeindrucken. Es kommt darauf an, was die CDU/CSU macht, und das geht wild durcheinander in den letzten Stunden. Wir werden das nur zu Gunsten der Kommunen hinbekommen, wenn CDU/CSU im Bundesrat in einer vernünftigen Weise mitmachen. Die Heuchelei, die an vielen Stellen läuft, dass sich CDU-Oberbürgermeister beklagen und die CDU/CSU-Ministerpräsidenten sich im Bundesrat verweigern, kann so nicht weitergehen.

    Wiese: Auch wenn er Sie nicht beeindruckt, will ich Rogowski kurz noch einmal zu Wort kommen lassen. Er drohte damit auch, wieder Arbeitsplätze unter Umständen ins Ausland zu verlagern. Nach Berechnungen des Finanzministeriums selbst belastet die Reform die großen Unternehmen mit knapp vier Milliarden Euro zusätzlich. Da ist doch so eine Drohung durchaus realistisch.

    Müntefering: Also die Zahlen schwirren ja nur so. Bei dem, was der Finanzminister vorgelegt hat, ist vorgesehen, dass die Kommunen eine zusätzliche Einnahme haben von 2,5 Milliarden. Davon werden Bund und Länder ihnen etwa 1,8 Milliarden lassen dadurch, dass sie den Umsatzsteueranteil der Kommunen vergrößern, und die Selbständigen und Freiberufler, über die wir vorhin gesprochen haben, zahlen knapp 600 Millionen. Das heißt, das, was an zusätzlicher Gewerbesteuer bezahlt wird, ist minimal. Dass die großen Unternehmen dadurch, dass eine Mindestgewinnbesteuerung eingeführt wird, zuzahlen, ist nur gerecht. Wenn ich das höre, was Herr Rogowski und andere da sagen, dann will ich doch mal an die Unternehmen, die Ethik und Moral in der Wirtschaft appellieren: Diese Unternehmen sind groß geworden mit den Menschen an dem Ort, in den Regionen, in denen sie heute sind, wo sie ihren Standort haben. Wenn dann mal uns der Wind ein bisschen ins Gesicht bläst, dann gehört es sich nicht, dass solche Unternehmen gleich weglaufen und ins Ausland gehen, sondern dann müssen sie mit den Leuten vor Ort versuchen, eine solche Situation zu beherrschen. Das ist mein dringender Appell, auch an unsere Wirtschaft. Dieses Gerede finde ich unerträglich.

    Wiese: Lassen Sie mich kurz noch auf die von Ihnen angesprochene Opposition zu sprechen kommen. Da haben ja schon wichtige Länderchefs angekündigt, zum Beispiel Stoiber und Teufel, die Reform im Bundesrat scheitern zu lassen. Also alles tatsächlich nur Makulatur?

    Müntefering: Ich hoffe das nicht. Ich habe bei Herrn Koch etwas anderes rausgehört. Ich hoffe auch, dass Frau Merkel sich da in dieser Sache engagiert. Wir müssen da ehrlich miteinander umgehen. Das Geld ist knapper als wir es uns alle wünschen. Wenn man will, dass die Kommunen gestärkt werden - und das müssen sie, damit die Investitionen und Arbeit vor Ort möglich sind - müssen Bund und Länder gemeinsam zu Entscheidungen fähig sein. Was nicht geht, ist, dass die CDU/CSU-Länderchefs sagen, ihr müsst den Kommunen mehr Geld geben, dann aber anschließend sich weigern, irgendetwas mitzubeschließen, das auch dazu führt. Das war schon beim Steuervergünstigungsabbaugesetz und das deutet sich wieder an. Ich hoffe, dass die Vernünftigen sich durchsetzen. Die Kommunen brauchen in der Tat dringend 2004 deutlich mehr; wir sagen, 4,5 Milliarden im nächsten Jahr unverstetigt, das heißt dauerhaft, und in den nächsten Jahren noch mehr als die 4,5 Milliarden zusätzliches Geld. Wir werden als Fraktion der SPD uns das nochmals genau angucken. Wir werden vor allen Dingen nochmals versuchen, ob nicht in dem Zusammenhang mit Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbstätige die finanzielle Begünstigung der Kommunen, der Städte doch noch verbessert werden kann. Das ist ja noch ein sehr weites Feld. Das geht in der Umsetzung bis 2006. Da kann man heute noch nicht jede Stelle hinter dem Komma rechnen. Wir werden jedenfalls - da können sich die Kommunen darauf verlassen - alles Mögliche tun, um deren finanziellen Vorteil in diesem Vorgang am Arbeitsmarkt, der außerordentlich wichtig ist, auch entsprechend zu gestalten.

    Wiese: Das war der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Franz Müntefering, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio