Thierse: Es ist eine überraschende Entscheidung, auch für uns. Bundeskanzler Schröder hat dem stellvertretenden Parteivorsitzenden das am Freitag Mittag in einem Gespräch mitgeteilt. Ich halte das für einen sinnvollen Versuch einer Konzentration der Kräfte durch Arbeitsteilung. Denn die SPD ist ja in einer sehr schwierigen Verfassung: Die notwendigen, wenn auch schmerzlichen Reformen, die müssen wir fortsetzen. Der Reformkurs soll nicht korrigiert werden, denn dieses Land braucht um der Zukunft willen diese Reformen der Sozialsysteme, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Bildungssektor. Aber wir müssen die Partei und die Sympathisanten der SPD und die Bevölkerung besser als bisher mitnehmen. Das wird die Aufgabe eines Parteivorsitzenden Franz Müntefering vor allem sein.
Remme: Und wenn das bisher nicht gelungen ist, muss sich das dann der bisherige Parteivorsitzende vorwerfen lassen?
Thierse: Nein, es muss die Partei insgesamt und die Führung sich das vorwerfen lassen, dass es uns nicht ausreichend gelungen ist, das, was wir als notwendig betrachten, auch so zu übersetzen, dass auch gegen die Kritik der Opposition, gegen durchaus nicht immer freundlich gesonnene Medien dies auch der Bevölkerung, der eigenen Anhängerschaft verständlich zu machen, zu erklären. Da müssen wir, glaube ich, stärker werden, und der Schritt von Bundeskanzler Schröder ist ein Versuch, genau dieses zu tun. Franz Müntefering wird es als seine Hauptaufgabe als Parteivorsitzender betrachten, die Diskussion in der Partei zu führen. Die Partei und die Bevölkerung, die mit ihr sympathisiert, wie insgesamt die Deutschen besser als bisher in diesen Reformprozess hinein zu ziehen.
Remme: Herr Thierse, wenn Ihr Argument stimmt, das Argument der Arbeitsteilung als Argument für die Teilung, war dann der Fehler von Gerhard Schröder damals, beide Positionen für sich einnehmen zu wollen, ein Fehler?
Thierse: Warum soll man das als einen Fehler nennen? Es war eine ganz vernünftige Entscheidung, das in eine Hand zu nehmen. Ich will darauf hinweisen, keine Partei zuvor hat solche tief greifenden Reformen begonnen. Wenn ich mich richtig erinnere, ich sage das zunächst einmal ohne sonderlichen Vorwurf, haben vergangene Regierungen, jedenfalls in den letzten 20 Jahren, sich eher vor den Reform-Notwendigkeiten gedrückt. Die SPD hat mit Gerhard Schröder diesen außerordentlichen Mut bewiesen, angesichts von Globalisierung, demographischem Wandel, Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Krisen notwendige Veränderungen einzuleiten, die weh tun, die gegen das Gewohnte gerichtet sind. Es gibt, glaube ich, keine überzeugende Alternative. Man mag im Einzelnen über Details, über diese oder jene Sachfrage streiten, aber dass wir diese Innovationen insgesamt brauchen, das ist notwendig, das ist einsichtig hoffentlich...
Remme: Das ist aber auch unter Franz Müntefering notwendig, Herr Thierse?
Thierse: Ja, natürlich, und gerade weil das mit Schmerzen verbunden ist und weil das unweigerlich Streit und Widerstand auslöst, brauchen wir sozusagen viel mehr Kraft, um die eigene Partei, um die eigenen Mitglieder, die eigenen Anhänger mitzunehmen in diesen Veränderungsprozess.
Remme: Stimmt diese einfache Formel, der eine für den Bauch, der andere für den Kopf?
Thierse: Das ist eine journalistische Verkürzung, die vielleicht erklärlich ist, aber natürlich geht es auch um Emotionen, und vielleicht kann Franz Müntefering genau diese Arbeit unter anderem deshalb so gut leisten, weil er an seinem eigenen Beispiel darstellen kann, dass auch er seine politischen Überzeugungen hinsichtlich der Reformnotwenigkeiten verändert hat. Man ist sich nicht selber treu, wenn man alles beim Alten lassen will.
Remme: Herr Thierse, Sie kennen beide, wo sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Vorsitzenden?
Thierse: Also das ist, das werden wir auch sehen, dass Franz Müntefering besonderes Vertrauen innerhalb der Partei genießt, dass ihn keiner, auch von denjenigen, die gelegentlich Personaldebatten angezettelt haben oder Kritik geübt haben, dass ihm keiner vorwerfen kann, dass er nicht in der Mitte der Partei angesiedelt ist, gewissermaßen in ihrem Herzen. Das ist, glaube ich, schon ein Vorteil, den Franz Müntefering hat, denn Gerhard Schröder konnte immer der Vorwurf gemacht werden, du versucht ja von außen, diese Partei zu beeinflussen, zu verändern, ihr einen schmerzlichen Kurs aufzuzwingen. Franz Müntefering ist seiner ganze Biografie, seiner Art zu denken nach ein wirklich sozialdemokratisches Urgestein. Das ist eine wirkliche Chance für uns.
Remme: Was sagen Sie denjenigen, den Kritikern der Bundesregierung im eigentlichen, wenn sie heute sagen, wenn Schröder seine Partei nicht überzeugen konnte und deshalb Konsequenzen ziehen muss, wie will er dann die Wähler insgesamt überzeugen?
Thierse: Ach wissen Sie, es ist ja nicht so, dass er seine Partei nicht überzeugen konnte. Es ist ja nicht so, dass die SPD wie ein Mann gegen Gerhard Schröder stünde...
Remme: Aber Austritte in dem Ausmaß, wie wir gehabt haben, zeugen doch nicht von einer sonderlichen Geschlossenheit hinter dem Kanzler und Parteivorsitzenden?
Thierse: Ich sage noch einmal, wir haben im vergangenen Jahr schmerzliche, aber unbedingt notwendige Veränderungen eingeleitet. Wir haben dazu Parteitage gemacht, in denen der Kurs von Gerhard Schröder große Unterstützung gefunden hat, zuletzt in Bochum. Das muss ja auch zählen. Aber ich sage es noch einmal, diese Veränderungen in der Politik, die von einem Grundparadigma der alten Bundesrepublik abweichen, die waren schmerzlich. Dieses Grundparadigma, das hieß: Alle Verteilungskonflikte konnten am Schluss deswegen so friedlich gelöst werden, weil am Schluss irgendwie Zuwächse zu verteilen waren. Wenn das nicht der Fall ist, und das kann man nicht der SPD in die Schuhe schieben, das ist eine Änderung der Grundsituation in Deutschland und in Europa, dann führt das natürlich dazu, dass viele, die eben diese Grundsituation gewohnt waren, verärgert sind, traurig sind, sich abwenden. Das muss man ernst nehmen. Und deswegen brauchen wir eine große Kraftanstrengung der Partei, um die eigenen Mitglieder, die Anhänger, die Enttäuschten wieder mitzunehmen auf diesen gewiss auch weiterhin schwierigen Weg.
Remme: Herr Thierse, würden Sie zugestehen der Einschätzung, dass Gerhard Schröder durch diese Entscheidung von heute in seiner Autorität geschwächt worden ist?
Thierse: Dem würde ich nicht zustimmen, sondern es ist der Versuch, auf das zu reagieren, was ja an Stimmungslage, an Emotionen in der eigene Partei sichtbar geworden ist, unübersehbar sichtbar geworden. Die Augen davor zu schließen, das wäre nicht Autorität, sondern es wäre bestenfalls autoritär und dumm. Darauf zu reagieren und zu sagen, wir antworten darauf mit einer, ich hoffe sehr, überzeugenden Arbeitsteilung. Der Bundeskanzler, der die Regierung führt, der für kommunikative Geschlossenheit und Disziplin sorgt, für überzeugendes Regierungshandeln, und der Parteivorsitzende, der einerseits die Übersetzungsarbeit in die eigene Partei hinein leitet, der auch die Diskussion in der Partei führt, der die Unterstützung für das Regierungshandeln auch organisiert - ich denke, dass das eine vernünftige und politisch sehr richtige Reaktion ist.
Remme: Ist der Wechsel an der Funktion des Generalsekretärs der SPD in diesem Sinne eigentlich nur eine logische Fortentwicklung der Entscheidung von heute?
Thierse: Das ist so.
Remme: Der stellvertretende SPD-Parteichef Wolfgang Thierse war das.
Remme: Und wenn das bisher nicht gelungen ist, muss sich das dann der bisherige Parteivorsitzende vorwerfen lassen?
Thierse: Nein, es muss die Partei insgesamt und die Führung sich das vorwerfen lassen, dass es uns nicht ausreichend gelungen ist, das, was wir als notwendig betrachten, auch so zu übersetzen, dass auch gegen die Kritik der Opposition, gegen durchaus nicht immer freundlich gesonnene Medien dies auch der Bevölkerung, der eigenen Anhängerschaft verständlich zu machen, zu erklären. Da müssen wir, glaube ich, stärker werden, und der Schritt von Bundeskanzler Schröder ist ein Versuch, genau dieses zu tun. Franz Müntefering wird es als seine Hauptaufgabe als Parteivorsitzender betrachten, die Diskussion in der Partei zu führen. Die Partei und die Bevölkerung, die mit ihr sympathisiert, wie insgesamt die Deutschen besser als bisher in diesen Reformprozess hinein zu ziehen.
Remme: Herr Thierse, wenn Ihr Argument stimmt, das Argument der Arbeitsteilung als Argument für die Teilung, war dann der Fehler von Gerhard Schröder damals, beide Positionen für sich einnehmen zu wollen, ein Fehler?
Thierse: Warum soll man das als einen Fehler nennen? Es war eine ganz vernünftige Entscheidung, das in eine Hand zu nehmen. Ich will darauf hinweisen, keine Partei zuvor hat solche tief greifenden Reformen begonnen. Wenn ich mich richtig erinnere, ich sage das zunächst einmal ohne sonderlichen Vorwurf, haben vergangene Regierungen, jedenfalls in den letzten 20 Jahren, sich eher vor den Reform-Notwendigkeiten gedrückt. Die SPD hat mit Gerhard Schröder diesen außerordentlichen Mut bewiesen, angesichts von Globalisierung, demographischem Wandel, Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Krisen notwendige Veränderungen einzuleiten, die weh tun, die gegen das Gewohnte gerichtet sind. Es gibt, glaube ich, keine überzeugende Alternative. Man mag im Einzelnen über Details, über diese oder jene Sachfrage streiten, aber dass wir diese Innovationen insgesamt brauchen, das ist notwendig, das ist einsichtig hoffentlich...
Remme: Das ist aber auch unter Franz Müntefering notwendig, Herr Thierse?
Thierse: Ja, natürlich, und gerade weil das mit Schmerzen verbunden ist und weil das unweigerlich Streit und Widerstand auslöst, brauchen wir sozusagen viel mehr Kraft, um die eigene Partei, um die eigenen Mitglieder, die eigenen Anhänger mitzunehmen in diesen Veränderungsprozess.
Remme: Stimmt diese einfache Formel, der eine für den Bauch, der andere für den Kopf?
Thierse: Das ist eine journalistische Verkürzung, die vielleicht erklärlich ist, aber natürlich geht es auch um Emotionen, und vielleicht kann Franz Müntefering genau diese Arbeit unter anderem deshalb so gut leisten, weil er an seinem eigenen Beispiel darstellen kann, dass auch er seine politischen Überzeugungen hinsichtlich der Reformnotwenigkeiten verändert hat. Man ist sich nicht selber treu, wenn man alles beim Alten lassen will.
Remme: Herr Thierse, Sie kennen beide, wo sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Vorsitzenden?
Thierse: Also das ist, das werden wir auch sehen, dass Franz Müntefering besonderes Vertrauen innerhalb der Partei genießt, dass ihn keiner, auch von denjenigen, die gelegentlich Personaldebatten angezettelt haben oder Kritik geübt haben, dass ihm keiner vorwerfen kann, dass er nicht in der Mitte der Partei angesiedelt ist, gewissermaßen in ihrem Herzen. Das ist, glaube ich, schon ein Vorteil, den Franz Müntefering hat, denn Gerhard Schröder konnte immer der Vorwurf gemacht werden, du versucht ja von außen, diese Partei zu beeinflussen, zu verändern, ihr einen schmerzlichen Kurs aufzuzwingen. Franz Müntefering ist seiner ganze Biografie, seiner Art zu denken nach ein wirklich sozialdemokratisches Urgestein. Das ist eine wirkliche Chance für uns.
Remme: Was sagen Sie denjenigen, den Kritikern der Bundesregierung im eigentlichen, wenn sie heute sagen, wenn Schröder seine Partei nicht überzeugen konnte und deshalb Konsequenzen ziehen muss, wie will er dann die Wähler insgesamt überzeugen?
Thierse: Ach wissen Sie, es ist ja nicht so, dass er seine Partei nicht überzeugen konnte. Es ist ja nicht so, dass die SPD wie ein Mann gegen Gerhard Schröder stünde...
Remme: Aber Austritte in dem Ausmaß, wie wir gehabt haben, zeugen doch nicht von einer sonderlichen Geschlossenheit hinter dem Kanzler und Parteivorsitzenden?
Thierse: Ich sage noch einmal, wir haben im vergangenen Jahr schmerzliche, aber unbedingt notwendige Veränderungen eingeleitet. Wir haben dazu Parteitage gemacht, in denen der Kurs von Gerhard Schröder große Unterstützung gefunden hat, zuletzt in Bochum. Das muss ja auch zählen. Aber ich sage es noch einmal, diese Veränderungen in der Politik, die von einem Grundparadigma der alten Bundesrepublik abweichen, die waren schmerzlich. Dieses Grundparadigma, das hieß: Alle Verteilungskonflikte konnten am Schluss deswegen so friedlich gelöst werden, weil am Schluss irgendwie Zuwächse zu verteilen waren. Wenn das nicht der Fall ist, und das kann man nicht der SPD in die Schuhe schieben, das ist eine Änderung der Grundsituation in Deutschland und in Europa, dann führt das natürlich dazu, dass viele, die eben diese Grundsituation gewohnt waren, verärgert sind, traurig sind, sich abwenden. Das muss man ernst nehmen. Und deswegen brauchen wir eine große Kraftanstrengung der Partei, um die eigenen Mitglieder, die Anhänger, die Enttäuschten wieder mitzunehmen auf diesen gewiss auch weiterhin schwierigen Weg.
Remme: Herr Thierse, würden Sie zugestehen der Einschätzung, dass Gerhard Schröder durch diese Entscheidung von heute in seiner Autorität geschwächt worden ist?
Thierse: Dem würde ich nicht zustimmen, sondern es ist der Versuch, auf das zu reagieren, was ja an Stimmungslage, an Emotionen in der eigene Partei sichtbar geworden ist, unübersehbar sichtbar geworden. Die Augen davor zu schließen, das wäre nicht Autorität, sondern es wäre bestenfalls autoritär und dumm. Darauf zu reagieren und zu sagen, wir antworten darauf mit einer, ich hoffe sehr, überzeugenden Arbeitsteilung. Der Bundeskanzler, der die Regierung führt, der für kommunikative Geschlossenheit und Disziplin sorgt, für überzeugendes Regierungshandeln, und der Parteivorsitzende, der einerseits die Übersetzungsarbeit in die eigene Partei hinein leitet, der auch die Diskussion in der Partei führt, der die Unterstützung für das Regierungshandeln auch organisiert - ich denke, dass das eine vernünftige und politisch sehr richtige Reaktion ist.
Remme: Ist der Wechsel an der Funktion des Generalsekretärs der SPD in diesem Sinne eigentlich nur eine logische Fortentwicklung der Entscheidung von heute?
Thierse: Das ist so.
Remme: Der stellvertretende SPD-Parteichef Wolfgang Thierse war das.