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Müntefering hält Mindestlöhne für "zwingend"

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering hat erneut an die Union appelliert, Mindestlöhne für alle Branchen einzuführen. Nur so könne man eine menschenwürdige Bezahlung garantieren, sagte der Vizekanzler. Dies sei keine Maßnahme, um die Unternehmen zu schikanieren. Sittenwidrige Löhne seien nicht mit den Ideen der sozialen Marktwirtschaft vereinbar, betonte der SPD-Politiker.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Wir sind nun verbunden mit dem Minister, um dessen Ressort es heute hauptsächlich geht bei der Haushaltsdebatte. Am Telefon ist Franz Müntefering, Bundesarbeitsminister und Vizekanzler. Guten Morgen, Herr Müntefering!

    Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Die Kanzlerin zog gestern Bilanz und lobte die Arbeit der Großen Koalition. Sind Sie auch so zufrieden?

    Müntefering: Ja, ich finde, das waren und sind zwei gute Jahre, die wir hingelegt haben. Über das hinaus, was in der öffentlichen Debatte ist, kann man schon Erfolge zeigen: Arbeitslosigkeit deutlicher Rückgang, eine Million weniger als vor zwei Jahren. Das ist die eigentlich zentrale Stelle, da sind wir uns dessen auch bewusst. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist der zentrale Ansatz, um auch in den nächsten beiden Jahren weiterzukommen in Deutschland, die Kassen zu sanieren, die Sozialsysteme zu stabilisieren, vor allen Dingen aber den Menschen Mut und Zuversicht zu geben.

    Schütte: Angela Merkel sagt, 3,7 Millionen Arbeitslose seien zu viel, da werden Sie sicherlich zustimmen. Aber über die Zukunft der Arbeit gibt es ja durchaus Differenzen. Beim Thema Mindestlohn herrscht Zurückhaltung bei der Union. Haben Sie noch Hoffnung, Herr Müntefering, dass sich bei diesem Thema, für das Sie sich ja immer wieder stark gemacht haben, dass sich die Union hier noch bewegt?

    Müntefering: Das Thema ist aus meiner Sicht so zwingend als ein Teil sozialer Marktwirtschaft, dass es in allen Ländern kommen wird. Das wird auch in Deutschland so sein, irgendwann. Und wir sind jetzt dabei, für den Bereich verschiedener Branchen, verschiedener Dienstleister schon solche Entscheidungen zu treffen. Wir werden in der nächsten Woche die Sache mit der Post in Bewegung setzen. Sie hatten das eben schon in Ihrem Bericht darin. Und wir haben ja in der Koalition vereinbart, dass wir über das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz im nächsten Jahr mehrere andere Branchen einladen, auch in solche Mindestlohnregelungen zu kommen. Eine Gesellschaft wie wir mit einem breiten Spektrum an Dienstleistung und Niedriglohn braucht eine grundlegende Regelung für die Mindestlöhne, die gezahlt werden, damit die nicht sittenwidrig niedrig sind. Und Schritt für Schritt werden wir dahin kommen.

    Schütte: Die Postdienstleister sollen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden, da sagen Kritiker, damit verlängert die SPD das Postmonopol, das Anfang 2008 eigentlich fallen soll.

    Müntefering: Ja, das hat schon damit zu tun, das ist ja auch nicht bestritten von uns. Deutschland gibt zwar ein Monopol auf für seine Post, die anderen europäischen Länder machen das nicht. Und wir haben gesagt, wir dürfen da Vorreiter sein, aber auch nicht dumm. Wir müssen auch dafür sorgen, dass unser eigener Markt geschützt ist, auch die Postdienstleister in Deutschland. Und deshalb wollen wir in der Tat bis zum 31.12. dieses Jahres vorweg vor allen anderen den Mindestlohn für die Postdienstler, für die Briefausträger verbindlich machen. Das machen wir durch die Aufnahme dieser Dienste ins Arbeitnehmerentsendegesetz. Und auf der Grundlage werden wir dann im November, Dezember die entsprechende Verordnung des Kabinetts machen.

    Schütte: Die Postkonkurrenten sprechen aber von einem Mindestlohndiktat und fürchten um den freien Wettbewerb.

    Müntefering: Die Konkurrenten aus Deutschland können ja dem Arbeitgeberverband beitreten. Und die aus dem Ausland, die reinkommen, die müssen sich dem deutschen Markt da zuordnen und müssen unsere Regeln auch aufnehmen. Dafür ist das Arbeitnehmerentsendegesetz ja da, und das gründet ja auf einer Richtlinie auf europäischer Ebene. Das ist der Sinn der Sache, dass nicht die deutschen Unternehmen, die deutschen Postdienstleister durch Unternehmen in die Knie konkurriert werden können, die zu niedrige Löhne zahlen.

    Schütte: Ein allgemeiner Mindestlohn in Deutschland wird wohl mit der Union nicht kommen, aber Sie wollen - Sie haben es angesprochen - weitere Branchen aufnehmen in das Entsendegesetz. Was wird in dieser Legislaturperiode dann noch möglich sein, in welchen Branchen könnte es Mindestlöhne noch geben?

    Müntefering: Bei den Branchen, die eine Tarifgebundenheit von 50 Prozent und mehr haben, liegt das in der Hand der Branchen, das können wir nicht entscheiden. Das ist so, dass dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf uns zukommen, also die Wachdienste haben sich schon gemeldet, die Zeitarbeit hat sich schon gemeldet, andere Bereiche auch. Das können wir aber nicht entscheiden, das liegt in der Hand der Branche. Bei den Branchen, die unter 50 Prozent Tarifgebundenheit haben, werden wir aber ein neues Instrument haben mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz, und da werden wir dort selbst aktiv werden können. Das deutsche Fleischereigewerbe, Fleischindustrie zum Beispiel ist so ein Aspirant, um den wir uns sicher im Verlauf des nächsten Jahres kümmern wollen. Wir machen es ja nicht, um die Unternehmen zu ärgern, aber es muss doch so sein, dass Menschen, die voll arbeiten, davon auch leben und sich ernähren können. Und diese sittenwidrig niedrigen Löhne, die wir immer mehr gehabt haben in den vergangenen Jahren in Deutschland, die sind vom Übel, die passen in die soziale Marktwirtschaft nicht rein.

    Schütte: Das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, von dem Sie eben gesprochen haben, unter das die Fleischindustrie möglicherweise fallen soll, das Gesetz stammt aus dem Jahr 1952, und angewendet worden ist es bisher nicht, und Experten sagen, das sei vielleicht auch gar nicht möglich. Ist das richtig?

    Müntefering: Ja, das ist richtig. Es ist aus der Zeit von Ludwig Erhard, um auch diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Das Gesetz wird leicht verändert, das haben wir ja auch vereinbart innerhalb der Koalition. Und wir werden noch in diesem Jahr - ich würde mal sagen Oktober, November - diesen Gesetzentwurf sehen, und dann wird die Debatte dazu geführt werden und die Entscheidungen sind zu treffen, so dass ich glaube, dass wir bis Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres hier eine Basis haben, um in diesem Bereich in Sachen Mindestlöhne auch voranzukommen.

    Schütte: Sie haben das Stichwort der sittenwidrigen Löhne gerade ins Spiel gebracht. Warum tut sich die Union da so schwer mit?

    Müntefering: Das müssen Sie die fragen.

    Schütte: Dann ein anderes Thema: Menschen, die trotz Vollzeitstelle Anspruch haben auf staatliche Unterstützung, die sollen Zuschläge bekommen aus dem Erwerbstätigengeld, aber nicht aus dem Hartz-IV-Topf, also aus dem Arbeitslosengeld. Rechnerisch macht das ja eigentlich keinen Unterschied. Warum bestehen Sie trotzdem darauf?

    Müntefering: Es ist schon wichtig, dass wir die Menschen im ersten Arbeitsmarkt halten und dass diese aus der Hilfebedürftigkeit heraus, weil diese Hilfebedürftigkeit ist ja die Definition für diejenigen, die keine eigenen Einnahmen haben durch Arbeit oder die deshalb auf Hilfe des Staates, in diesem Fall auf Arbeitslosengeld II, angewiesen sind. Und die, die so an der Kante sind, die Familien, aber auch die ohne Kinder, denen würden wir schon gerne einen Impuls geben und sie unterstützen, so wie wir das mit Kombilohn oder Eingliederungszuschüssen für Arbeitgeber ja auch machen. Und ich glaube, dass wir einige 100.000 Personen, Bedarfsgemeinschaften, einige 100.000 Kinder auch aus dem Arbeitslosengeld II heraushalten können. Und die sind dann auch alle nicht mehr unterworfen den Regelungen des Schonvermögens und der dauerhaften Kontrolle, sondern die bewegen sich doch auf einer anderen Ebene. Ich glaube, dass viele Menschen es vorziehen, auf diese Art und Weise außerhalb der Hilfebedürftigkeit zu bleiben.

    Schütte: Kommen wir zum Schluss noch einmal auf das Klima in der Großen Koalition zu sprechen. Zwischen der CDU und der FDP hat es ein informelles Treffen gegeben, auch SPD und Grüne haben sich miteinander ausgetauscht. Nun beteuern alle, dies sei völlig normal. Dennoch nähren solche Treffen Zweifel daran, wie ernst man es noch meint mit der Großen Koalition. Sind solche Gespräche klug?

    Müntefering: Ich habe keine Bedenken dagegen. Ich meine, die Lebenswirklichkeit führt uns ja tagtäglich zusammen in den Ausschüssen, und am Rande von allen möglichen Veranstaltungen redet man miteinander. Das muss auch so sein. Aber unabhängig davon haben wir uns in Meseberg in der Koalition vorgenommen, noch zwei Jahre lang uns anzustrengen und den Weg, den wir bisher geschritten sind, auch weiterzugehen. Viel Wohlstand für alle auf hohem Niveau, Teilhabe aller an der Entwicklung in Deutschland, das muss die Messlatte bleiben für die kommenden Jahre. Und da bin ich ganz sicher, dass diese Gespräche, die da stattfinden, der Handlungsfähigkeit der Koalition keinen Abbruch tun. Ich bin jedenfalls fest entschlossen und mit dabei und die Sozialdemokratie insgesamt, im Interesse des Landes gute Politik zu machen.

    Schütte: Das heißt, das ist also kein Liebäugeln bei diesen Gesprächen mit künftigen Koalitionspartnern?

    Müntefering: Nein, Politik ist ja nicht nur eine Frage von Sympathie untereinander, man macht ja nicht Koalition mit dem, der einem vielleicht am sympathischsten ist, sondern mit dem, mit dem man das aufgrund der Wahlergebnisse machen kann. Und da muss man sich zusammenraufen. Das war ja gerade in der Großen Koalition so. Und dass man miteinander spricht, wo man dann mit anderen auch mal bestimmte Übereinstimmungen hat, die man auch umsetzen kann in der Politik, das ist in der Tat, so wie Sie gesagt haben, normal. Es kann sein, dass der eine oder andere da ein bisschen viel für sich reininterpretiert und dass manche auf allen Seiten auch schon auf dem Weg sind, das Jahr 2010, das mag ja alles so sein, aber wir bleiben noch auf dem Boden. Und das heißt, Arbeitslosigkeit runter und daraus die ganze gute Konsequenz für die Nettokreditaufnahme runter und für die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme. Wir sind auf einem guten Weg, ohne dass wir uns ausruhen dürfen.