Archiv


Müntefering: Keine Änderungen beim Arbeitslosengeld I

Kurz vor Beginn der Bundestagsdebatte über seinen Haushalt hat Bundesarbeitsminister Franz Müntefering sich erneut gegen eine gestaffelte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gewandt. Der Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers belaste jüngere Menschen und Familien, sagte Müntefering. Das werde weder seine Partei noch die Große Koalition in Berlin machen. Er verwies statt dessen auf die Programme zur besseren Integration älterer Menschen in den Arbeitsmarkt.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Als Angela Merkel zur Kanzlerin der Großen Koalition gewählt worden war, da stießen Union und SPD mit Wasser an statt mit Sekt oder gar Champagner. Wir nehmen unseren Auftrag ernst, sollte das heißen. Die Zeit der Polit-Show sollte vorbei sein. Gestern vor genau einem Jahr war das. Pünktlich zum Jahrestag kamen die Großkoalitionäre im Bundestag zusammen, um sich bei der Generaldebatte gegenseitig für ihre bisherige Arbeit zu loben. Die Opposition war übrigens auch dabei, aber die konnte der guten Stimmung offenbar keinen Abbruch tun, auch wenn sie sich redlich mühte. Am Abend dann luden Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering zum Umtrunk ins Kanzleramt. An dem Tag, an dem sein Etat auf der Tagesordnung des Bundestages steht, begrüße ich ihn am Telefon. Guten Morgen Herr Müntefering!

    Franz Müntefering: Guten Morgen Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Müntefering, was gab es denn diesmal an Getränken? Aus Sicht der Opposition haben Sie ja nicht viel zu feiern.

    Heckmann: Alles Konventionelles. Ich habe Bier getrunken, wie ich das meistens tue.

    Heckmann: Kein Sekt, kein Champagner?

    Müntefering: Hätten wir vielleicht auch haben können, habe ich aber gar nicht nachgefragt. Ich habe ein bisschen Wein gesehen und ein bisschen Bier und Wasser.

    Heckmann: Und die Kritik der Opposition gestern im Bundestag, die doch relativ massiv vorgetragen wurde, die perlt an der Großen Koalition ab?

    Müntefering: Wir haben nicht über den Tag gestern im Bundestag sehr intensiv gesprochen, sondern über die Dinge, die vor uns liegen. Natürlich kommt dann auch immer was Anekdotisches aus der vergangenen Zeit mit hinein. Es war gestern Abend vor allen Dingen die Art und Weise wie das ablief ein Zeichen dafür, dass im Kabinett alles okay ist. Wir haben gelernt in diesem Jahr, miteinander klar zu kommen, und das hat sich gestern Abend auch bewährt. Man spricht da über die Parteigrenzen hinweg miteinander über die Probleme, die man gemeinsam zu lösen hat. Da gibt es ja viele Schnittmengen zwischen den Ministerien.

    Heckmann: Da kommt was Anekdotisches rein, sagten Sie. Das hört sich nicht danach an, dass Sie die Kritik besonders ernst nehmen würden. Schleicht sich da Hochmut in der Großen Koalition ein?

    Müntefering: Nein. Anekdotisches kann ja auch über einen selbst sein. Nein, nein, das war nicht so. Wir wissen, dass wir in einer großen Herausforderung stehen und dass wir eine schwache Opposition haben. Das hat man gestern im Bundestag gesehen. Aber das ist für uns kein Trost. Wir wissen, dass wir die Verantwortung dafür haben, dass Deutschland voran kommt und dass wir weitermachen müssen mit der Veränderung, mit der Gestaltung der großen Wandlungen, in denen wir zurzeit stehen. Die demographische Entwicklung, aber auch die Globalisierung, die Veränderung im Bereich der Informationsindustrien, die hohe Mobilität, der Aufbau Ost, die Erweiterung der Europäischen Union, alles große Themen, an denen wir zu arbeiten haben.

    Heckmann: Sie haben eine schwache Opposition im Bundestag, sagen Sie. Dafür haben Sie eine starke Opposition innerhalb der Regierungsparteien. Heute, Herr Müntefering, steht Ihr Etat, der Etat Arbeit und Soziales auf der Tagesordnung des Bundestages. Da wird sicherlich auch die Forderung des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers, eine Rolle spielen, nämlich die Bezugsdauer vom Arbeitslosengeld I zu verlängern für jene, die jahrzehntelang eingezahlt haben. Hat sich die SPD dort verrannt, als sie diesen Vorschlag abgelehnt hat, denn die SPD steht ja jetzt als Partei der sozialen Kälte da oder?

    Müntefering: Wenn Sie das so sagen, ist das Ihre Sache. Ich sehe das nicht so. Wir haben ein Konzept entwickelt, das ganz darauf gezielt ist, den Älteren eine größere Chance zu geben am Arbeitsmarkt. Ich darf auch vielleicht mal darauf hinweisen: Im Verlauf des Jahres ist die Zahl der arbeitslosen Älteren über 55 Jahre um 80.000 geschrumpft. Das ist schon mal eine ganz gute Zahl und wir werden jetzt noch die Initiative 50 plus oben draufsetzen. Da wollen wir in einer Mischung von Kombilohn und Eingliederungszuschuss mit Weiterbildung, was ganz wichtig ist, helfen, dass die Älteren nicht so früh aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden und dass sie dann auch wieder eine Chance haben reinzukommen. Man muss sehen: Wir haben in Deutschland eine katastrophal niedrige Zahl von Beschäftigung bei den Älteren. 45 Prozent derer, die 55 und älter sind, sind noch berufstätig. Die anderen 55 Prozent nicht. 50 Prozent der Firmen haben niemand beschäftigt, der älter ist als 50. Das kann so nicht bleiben und deshalb werden wir schrittweise - das hat ja alles eine zeitliche Dimension auch, in der wir dort zu arbeiten haben - erreichen müssen, dass das faktische Renteneintrittsalter angehoben wird. Natürlich gehört auch ein vernünftiger Arbeitsschutz mit dazu.

    Heckmann: Aber die Kürzung des Arbeitslosengeldes I kommt nicht schrittweise. Die kommt oder kam sofort. Man hätte ja auch die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise verwenden können, um eben den Rüttgers-Vorschlag zu finanzieren.

    Müntefering: Ja, aber Herr Rüttgers hat ja einen anderen Vorschlag gemacht. Rüttgers schlägt ja vor, dass wir bei den Jüngeren kürzen, also bei Familien mit aufwachsenden Kindern. Da soll weniger Arbeitslosengeld gezahlt werden. Das ist eine Sache, die wir nicht machen werden - da bin ich sicher -, auch in der Koalition in Berlin insgesamt nicht. Das ist aber eine Sache, die geht die Partei an. Dass Parteitage ein Ziel der Partei formulieren, das ist etwas, aber dass in der Koalition gemeinsam Politik umgesetzt wird, das ist etwas anderes. Da kommt es darauf an, auf was man sich dann gemeinsam verständigen kann. Ich nehme für mich und für uns in Anspruch, dass wir das Menschenmögliche tun, um am Arbeitsmarkt Bewegung zu haben. Wie gesagt: 80.000 Ältere, 471.000 Arbeitslose weniger insgesamt im vergangenen Jahr, das ist eine kleine Großstadt, um die es da geht. Das vor allen Dingen wollen wir fortsetzen, auch am Binnenmarkt, auch mit privaten Investitionen, und das ist nicht alleine eine Sache dieser Regierung. Das wissen wir. Aber wir haben eben auch daran mitgewirkt, dass sich am Arbeitsmarkt doch etwas tut. Das ist schon eine deutliche Entspannung und die wollen wir auch weiterführen.

    Heckmann: Bundespräsident Köhler hat sich gestern in deutlicher und überraschend deutlicher Weise auf Ihre Seite gestellt und gegen den Vorschlag von Rüttgers. Begrüßen Sie es eigentlich, dass sich der Bundespräsident derart in die Tagespolitik einschaltet, oder gilt das nur für den Fall, dass er Ihre Position unterstützt?

    Müntefering: Nein, das ist eine Sache des Präsidenten. Die habe ich nicht zu beurteilen und nicht zu kritisieren. Natürlich darf und mag er sich äußern zu den Sachen, die ihm wichtig sind. Ich sehe das aber nicht so, dass er sich auf meine Seite geschlagen hat, sondern er hat sich in der Sache geäußert. Das ist eigentlich allen miteinander klar, dass die Philosophie, die wir da aufgebaut haben, vernünftig ist und dass das ein Fehler war, wie wir das Mitte der 80er Jahre unter Helmut Kohl und Blüm begonnen haben und dass das, was wir jetzt machen, eine vernünftige Perspektive ist, nämlich sich zu konzentrieren auf die Problematik der Vermittlung, dafür zu sorgen, dass die älter werdenden rechtzeitig in Qualifizierung und Weiterbildung einbezogen werden und ihnen eine Chance zu geben. Wir sind ja auch dabei, die Dinge an der Stelle Schritt für Schritt zu verbessern. Wenn die älter werdenden arbeiten können, ist das die beste Lösung. Das ist besser als alle lange Zahldauer von Arbeitslosengeld.

    Heckmann: Auch innerhalb der Union ist der Vorschlag von Jürgen Rüttgers ja sehr umstritten. Auf dem CDU-Parteitag in Dresden soll jetzt ein Antrag aus Baden-Württemberg zur Abstimmung stehen, der den Rüttgers-Vorschlag aufgreift, ihn aber erweitert und Lockerung beim Kündigungsschutz fordert. Auch Ihr Kabinettskollege Wirtschaftsminister Glos fordert Änderungen beim Kündigungsschutz im Gegenzug zu Zugeständnissen beim Mindestlohn etwa. Sie bleiben dabei: ist mit Ihnen nicht zu machen?

    Müntefering: Ja, weil der Kündigungsschutz in Deutschland schon eine Form hat, die hinreichend viel Flexibilität am Arbeitsmarkt ermöglicht. Die meisten wissen das ja gar nicht oder reden daran vorbei. Bei kleinen Betrieben bis zu 10 Beschäftigten gibt es faktisch den Kündigungsschutz nicht. Jeder kann bis auf zwei Jahre befristet eingestellt werden und kann sachgrundlos wieder gekündigt werden. Neue Unternehmen können auf vier Jahre befristet einstellen. Was wollen die noch, die da sagen, jetzt mehr Kündigungsschutz? Dass die Arbeitnehmer eine Sicherheit brauchen am Arbeitsplatz, wenn sie einmal in einem Beruf sind, das ist etwas, was zur Demokratie mit dazu gehört und das kann nicht beliebig erweitert werden. Da haben wir in der Koalition klare Vereinbarungen getroffen zu Beginn der Koalition, und die CDU/CSU wusste, unter welchen Bedingungen sie mit uns diese Koalition beginnt. Das gilt unverändert!

    Heckmann: Wenn man den Zeitungsberichten glauben darf, dann ist das letzte Treffen der SPD-Spitzen mit den Gewerkschaften sehr frostig verlaufen, so frostig wie noch nicht einmal zu Agenda-2010-Zeiten. Das liegt auch an dem Rüttgers-Vorschlag. Glaubt die SPD mittlerweile, ohne die Gewerkschaften auskommen zu können?

    Müntefering: Ob das an dem Rüttgers-Vorschlag liegt, was Sie da beschreiben, das weiß ich gar nicht. Dass es immer mal wieder Notwendigkeiten gibt, sich auch um den richtigen Weg zu streiten, das gehört zur Demokratie mit dazu. Wenn man ein bestimmtes Ziel hat - und das ist hier bei uns vor allen Dingen, die Arbeitslosigkeit bekämpfen und eine vernünftige Altersvorsorge erreichen -, dann kann man sich streiten über den Weg, auf dem man das macht. Da muss ab und zu dann auch mal zwischen uns und den Freunden in den Gewerkschaften über diesen richtigen Weg gestritten werden. Das finde ich so schlimm nicht, wenn man sich einig ist über das Ziel, für das man kämpft. Das ist nach meiner Sicht immer noch da, dass wir gemeinsam wissen, wir wollen eine Politik machen, die die nötigen Veränderungen aufnimmt, die das Land reformiert und die letztlich dann auch den Menschen zu Gute kommt, aber nicht nur denen heute, sondern denen morgen und übermorgen auch. Wir müssen auch an die nächste Generation denken und denen eine Chance geben.

    Heckmann: Vizekanzler Franz Müntefering war das hier in den "Informationen am Morgen". Herr Müntefering, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Müntefering: Ja bitte schön, Herr Heckmann!