Dienstag, 23. April 2024

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Mützenich fordert härtere Gangart gegen Ägypten und Syrien

Klarere Worte gegenüber Ägypten und die Unterstützung der arabischen Nachbarn gegen Syrien schlägt der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich vor und sieht dabei Gesamteuropa in der Pflicht. Man müsse auch die Länder, die syrische Flüchtlinge aufnehmen, humanitär unterstützen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.11.2011
    Friedbert Meurer: Manche reden von der zweiten Revolution, die es jetzt in Ägypten gäbe. Jetzt hat der Militärrat gestern augenscheinlich nachgegeben. Er will seine Macht schon Mitte nächsten Jahres an eine zivile Regierung in Ägypten abgeben, beteuern jedenfalls die Militärs. Die Demonstranten aber bleiben skeptisch.
    Die Situation in Ägypten ist natürlich ziemlich anders als die in Syrien. Dort könnte die Situation in einen Bürgerkrieg umschlagen. Im UNO-Sicherheitsrat sperren sich, obwohl die Situation so dramatisch ist, die Vetomächte China und Russland gegen eine Resolution gegen Syrien. Dafür hat jetzt das UNO-Menschenrechtskomitee in New York das Assad-Regime angeprangert.
    Wir erleben einen historischen Epochenwandel in der arabischen Welt, aber es scheint so zu sein, dass der Westen nicht zu sehr Notiz davon nimmt. Die Euro-Krise und anderes mehr stehen hierzulande im Vordergrund. Vernachlässigen wir da die Situnation? – Am Telefon in Berlin begrüße ich Rolf Mützenich, er ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Was geht uns der Wandel in Ägypten oder Syrien an?

    Mützenich: Na eine Menge, und ich glaube, es kommt insbesondere darauf an, was in den nächsten Jahrzehnten die Nachbarschaft zu Europa zeigt, Instabilität oder Stabilität, unterschiedliche Regime, und deswegen, glaube ich, sollten wir schon sehr aufmerksam die Situation beobachten und da, wo wir können, auch helfen.

    Meurer: Läuft automatisch alles auf ein gutes Ende zu?

    Mützenich: Nein. Wir sehen ja sehr unterschiedliche Entwicklungen und ich glaube, wir sollten immer wieder auch bei solchen Diskussionen Tunesien in Augenschein nehmen, was ja auch einen sehr schwierigen Weg durchmacht, aber offensichtlich eine ganz andere Entwicklung, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt eine friedlichere Entwicklung nimmt als Syrien, als in Libyen, ein Nachbarstaat, und das sind sehr unterschiedliche Dinge. Auch in der arabischen Halbinsel zeigen sich ja unterschiedliche Entwicklungen.

    Meurer: In Ägypten haben wir gestern die Meldung gehört, dass der Militärrat scheinbar nachgibt. Er will die Macht an eine zivile Regierung Mitte nächsten Jahres schon abgeben. Ist das wirklich der Abschied von der Macht des ägyptischen Militärs?

    Mützenich: Das muss man bezweifeln, weil natürlich das ägyptische Militär durch eine Machtaufgabe auch selbst viel verlieren wird, sowohl seine Sonderstellung innerhalb Ägyptens, möglicherweise auch um wirtschaftliche Pfründe gebracht wird. Alles das sind die Auseinandersetzungen. Aber wir müssen auch sehr deutlich machen, dass die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz und auch an anderen Stätten offensichtlich immer noch Wirkung haben, zumindest es zu einer öffentlichen Verhaltensänderung möglicherweise auch bei den Militärs kommt.

    Meurer: Wie sehr hat es Sie erschrocken, dass laut Amnesty International und auch anderer Beobachter offenbar in den Gefängnissen in Ägypten genauso weitergefoltert wird wie früher unter Mubarak?

    Mützenich: Das hat uns nicht nur erschrocken, sondern wir haben auch in den letzten Wochen, auch bei öffentlichen Debatten, immer wieder darauf hingewiesen und auch die Bundesregierung haben wir aufgefordert, für die Freilassung der Demonstranten eben auch bei Gesprächen mit ägyptischen Offiziellen einzuschreiten, und ich glaube, darauf müssen wir weiterhin die Aufmerksamkeit lenken. Hier wird weiterhin mit einem unrechtmäßigen Verfahren auf die Demonstranten reagiert, und ich glaube, das ist genau die falsche Richtung, und deswegen ja auch ein Teil der Demonstrationen zum jetzigen Zeitpunkt.

    Meurer: Muss die Bundesregierung oder die Europäische Union hier ein klareres Wort sprechen, oder auch mal sagen, wenn das nicht im Sinne der Demokratie weiterläuft, wir können auch Sanktionen verhängen?

    Mützenich: Ich finde schon, dass ein deutlicheres Wort notwendig ist. Insbesondere muss ein gemeinsames Wort innerhalb der Europäischen Union gefunden werden. Da muss Lady Ashton, also die Beauftragte innerhalb Europas, hier auch stärker für werben und es dürfen nicht einzelne Aktionen von nationalen Regierungen erfolgen. Das ist sehr wichtig und ich glaube, darauf warten auch die Demonstranten.

    Meurer: Gegen Syrien gibt es ja schon Sanktionen, wirtschaftliche Sanktionen, politische Sanktionen. Die syrische Opposition ruft aber immer wieder um Hilfe, der Westen soll zum Beispiel wie in Libyen ein militärisches Flugverbot verhängen. Wird es Zeit, über solche Dinge nachzudenken?

    Mützenich: Das ist ein Teil der Stimmen. Offensichtlich gibt es auch unterschiedliche Formen des Widerstandes, das erleben wir in der jüngsten Zeit ja immer wieder, und der nationale Widerstandsrat ist eben nicht für eine Einrichtung einer Flugverbotszone. Und wir müssen auch einfach sehen: Die Einflussmöglichkeiten, die zurzeit genommen werden, sind doch sehr beachtenswert, was die Türkei macht, was zum Beispiel ein Nachbarland wie der jordanische König sagt, dass Assad zurücktreten soll. Dieser Druck insbesondere von arabischen Staaten, wo ja auch Syrien isoliert ist, wo zum Beispiel Algerien auch mittlerweile gegen Assad Stellung nimmt, sind doch sehr wichtige Entwicklungen, und ich glaube, Europa muss genau diese Entwicklungen mit unterstützen.

    Meurer: Bisher hieß es ja immer, wenn man in Syrien militärisch eingreift, ist das ein verheerendes Zeichen in der arabischen Welt. Da jetzt die Arabische Liga auch Druck macht auf Syrien, gilt das Argument noch?

    Mützenich: Ich glaube, es gilt zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall, weil ja zum Beispiel auch in der Türkei zum jetzigen Zeitpunkt diskutiert wird, ob nicht sichere Zonen entlang der Grenze eingerichtet werden können, wo eben auch Flüchtlinge stärker aufgenommen werden können. Wir müssen insbesondere humanitär die Länder unterstützen, wo auch Flüchtlinge aus Syrien hinkommen, und wir müssen auch stärker natürlich auf die Frage politischer Flüchtlinge reagieren und wir müssen hier auch stärker aus meiner Sicht in Europa Aufnahmebereitschaft zeigen.

    Meurer: Wie könnte das aussehen mit den sicheren Zonen? Ich denke, Sie denken an die Grenze von Türkei und Syrien?

    Mützenich: Ja. Dort haben wir ja erlebt, dass insbesondere jetzt entlang der Grenze viele Syrer auch geflüchtet sind, die in Aufnahmelager aufgenommen werden. Möglicherweise überlegt zum jetzigen Zeitpunkt die türkische Regierung, dies zu verstärken und auch diese sicheren Zonen so zu sichern, dass eben keine Angriffe erfolgen können. Das sind Entwicklungen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen, aber ich glaube, sie sind zurzeit eine sehr starke innertürkische Debatte, die dort geführt wird. Aber es ist sehr wichtig, dass Ministerpräsident Erdogan sehr klar gemacht hat, dass er das Assad-Regime nicht mehr unterstützt und insbesondere auch zu wirtschaftlichen Sanktionen weiterhin bereit ist.

    Meurer: Auf welchem Weg könnten syrische Flüchtlinge nach Deutschland kommen?

    Mützenich: Es gibt natürlich immer noch die Frage, ob politische Asylbewerber hier stärker aufgenommen werden können. Das betrifft aber insgesamt die Europäische Union, und ich glaube, die Bundesregierung wäre gut gehalten, genau diese Debatte auch innerhalb der Europäischen Union zu führen.

    Meurer: Sehen Sie da eine Bereitschaft, oder will Europa die Flüchtlinge eher abwimmeln?

    Mützenich: Sie haben ja eben zurecht darauf hingewiesen, dass wir zurzeit insbesondere über die Euro-Krise, über die Stabilität der Europäischen Union insgesamt diskutieren. Aber ich glaube, wir wären gut beraten, diese Debatte innerhalb der Gremien stärker zu führen. Das Europäische Parlament tut das, und ich glaube, innerhalb der Kommission und des Rates sollte eine ähnliche Diskussion erfolgen.

    Meurer: Der Wandel in der arabischen Welt, was kann und soll der Westen tun? Ich sprach mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke, Herr Mützenich. Auf Wiederhören!

    Mützenich: Danke, Herr Meurer. Alles Gute!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zu den Entwicklungen in der arabischen Welt: Sammelportal: Der arabische Aufstand