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Muscheln
Flexible Fasern aus dem Meer

Muscheln müssen der Brandung trotzen und bei Ebbe und Flut verhindern, einfach abgetrieben zu werden. Einige Arten wie die Miesmuscheln verankern sich mit speziellen Faserfäden. Bayreuther Bioforscher haben diese Fasern nachgebaut.

Von Magdalena Schmude | 26.02.2014
    Brandungszonen an der Küste, Flussmündungen oder das Wattenmeer sind typische Wachstumsgebiete für Miesmuscheln. Oft überziehen dort dichte Muschelteppiche Steine und Holzpfähle. Um nicht von den Wellen, Ebbe oder Flut davongespült zu werden, heften sich die Muscheln mit einem Bündel spezieller Fasern, dem Muschelbyssus, am Untergrund fest. Das Material dieser Fasern braucht für eine stabile Verbindung besondere mechanische Eigenschaften, erklärt Thomas Scheibel vom Lehrstuhl für Biomaterialien der Universität Bayreuth:
    "Es muss weiches Gewebe, einen Muskel im Inneren der Muschel verbinden mit hartem, äußerem Gewebe, einem Stein zum Beispiel. Und das ist ein großes Problem. Denn wenn Sie was ganz was weiches mit ganz was hartem verbinden- irgendwo haben Sie eine Schnittstelle und an der reißt dieser Faden."
    Die Muschelfasern reißen nicht. Sie halten den Bedingungen in der Strömungszone stand und verbinden die Muschel fest mit Holz oder Stein. Möglich wird das durch einen Materialgradienten. Die Mischung der Proteine in der Faser ändert sich gleichmäßig von einem Ende zum anderen. Ein Protein, das an einem Ende in großer Menge vorkommt, ist am anderen Ende deutlich weniger vorhanden. Dadurch verändern sich auch die Eigenschaften der gesamten Faser.
    "Das Wichtige bei diesen Gradientensachen ist: Wir brauchen drei Moleküle. Ein hartes, ein weiches und eines, das sozusagen ohne Gradienten in dem gesamten Bereich alle Moleküle miteinander verbindet."
    Weich und hart zugleich
    Die Muschelfaser besteht vor allem aus länglichen Proteinen, den Kollagenen. Die verschiedenen Kollagene bilden Gradienten, die genaue Mischung bestimmt dann die Steifigkeit der Faser. Am Muskel im Inneren der Muschelschale ist sie weich und elastisch, am Stein eher fest und starr. Doch zwischen den Kollagenen fanden Thomas Scheibel und sein Team ein weiteres Protein, das die Festigkeit der Faser beeinflusst.
    "Wir haben ein Matrixprotein entdeckt, das an Kollagenfasern bindet. Und zwar in einer sehr eigenartigen Art und Weise, das geht wie so eine Art Abstandshalter, nur auf die Oberfläche und verhindert so, dass zwei Kollagenfasern miteinander sehr gut wechselwirken können."
    Lagern sich viele dieser Abstandshalter zwischen den Kollagenen ein, entsteht ein lockeres Gewirr, und die Faser bleibt weich und elastisch. Nimmt die Menge der Abstandshalter ab, können die Proteine dichter gepackt werden- die Faser wird steifer. Mit ein und demselben Fasermaterial können so verschiedene mechanische Eigenschaften erzeugt werden.
    Muschelfasern als Sehnenersatz
    Thomas Scheibel und sein Team wollen dieses Prinzip auf andere Materialien übertragen und damit unter anderem gerissene Sehnen ersetzen:
    "Anwendung sind überall da, wo man hart mit weich verbindet, also Knochen - Muskel, Metall - Kunststoff, im Auto, im Flugzeug, überall, wo hart - weich- Übergänge stattfinden und wo sie sozusagen ein Verbindungsstück brauchen. Also nicht einfach nur einen Kleber, sondern wirklich dann auch vielleicht ein mechanisch belastbares Verbindungsstück."
    Diese Verbindungsstücke sollen bald nach dem Muschelprinzip entstehen. Die Bayreuther Forscher können aus verschiedenen Kunststoffen schon jetzt zentimeterlange Gradientenfasern erzeugen.