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Museum der verfolgten Künste

Jürgen Serke war der Erste, der systematisch nach den Spuren der Schriftsteller suchte, die von Nazis vertrieben und deren Bücher verbrannt wurden. Fast 40 Jahre lang hat Serke recherchiert und Manuskripte, Erstausgaben und andere Dokumente gesammelt. Seit diesem Wochenende nun hat Jürgen Serkes Lebenswerk zu den "Verbrannten Dichtern" ein Zuhause im Museum Baden in Solingen.

Interview mit Museumsleiter Rolf Jessewitsch | 30.03.2008
    Dina Netz: Jürgen Serke war sechs, als er mit Mutter und Schwester aus dem damals brandenburgischen, heute polnischen Landsberg an der Warthe vor den russischen Truppen fliehen musste. Vielleicht war das ein Antrieb für das, was später seine Lebensaufgabe wurde, die Beschäftigung mit denen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Jürgen Serke war der Erste, der systematisch nach den Spuren der Schriftsteller suchte, die von Nazis vertrieben und deren Bücher verbrannt wurden. Fast 40 Jahre lang hat Serke, der als Journalist unter anderem. beim "Stern" arbeitete, recherchiert und seine Recherchen ausgeweitet auf den Ostblock, auf Dichter, deren Werke unter kommunistischen Regimen nicht gedruckt wurden. Er hat einige Bücher veröffentlicht, das bekannteste, das Standardwerk, "Die verbrannten Dichter".

    Jürgen Serke war bei seinen Recherchen aber immer auch von der Liebe zu den Büchern getrieben, und so hat er auch Manuskripte, Erstausgaben und andere Dokumente gesammelt. Seit diesem Wochenende nun hat Jürgen Serkes Lebenswerk zu den "Verbrannten Dichtern" ein Zuhause in Solingen, im Museum Baden nämlich. Frage an den Museumsleiter Rolf Jessewitsch, woraus genau besteht die neue Dauerausstellung in Solingen?

    Rolf Jessewitsch: Jürgen Serke hat auch versucht herauszubekommen, was hat die Leute angetrieben, diese Bücher zu schreiben. Und dazu hat er persönliche Briefe, Autografen, Typoskripte, persönliche Fotos, er hat die Beziehungen auch aufgemacht. Wir haben mal 2003 hier eine Ausstellung gezeigt "Liebes- und Musengeschichten - Glück und Unglück in Zeiten von Verfolgung und Exil". Da ging es auch um die gesammelten Werke. Und wir haben gesehen, was ist in den Paarbeziehungen eigentlich passiert. Was hat Döblin angeregt, Irmgard Keun? Und wir haben jetzt hier, in dieser Ausstellung, das Ganze ausgeweitet und man sieht, was hat Wolfgang Borchert angetrieben. Und man kommt auf eine Ursache in den persönlichen Briefen, "Der Hinkemann" von Ernst Toller, den er 1924, das Drama, das er 1924 schrieb. Und wir beginnen damit, eine Ausstellung aufzublättern, bei der man in einen Kosmos der Literatur hineinkommt und wo man die einzelnen Künstler, die Literaten, mit ihren Beweggründen nachvollziehen kann.

    Netz: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Jessewitsch, dann ist es eher eine Ausstellung, die weniger über die politischen Hintergründe und über die zeitgeschichtlichen Hintergründe erzählt als vielmehr über die Biografien der Schriftsteller, die Psychologie der Autoren, die dort präsentiert werden?

    Jessewitsch: Ja, das ist richtig. Wobei wir die Zeitgeschichte natürlich miteinbeziehen, weil sie Grundlage des Handelns, des Denkens, des Fühlens, des Leidens war. Und wir haben es so im Katalog wie in der Ausstellung so dargestellt, dass die Hintergründe die vermittelnden Texte beinhalten zur Historie, zur Zeitgeschichte, was ist da passiert, und was ist mit den Menschen passiert. Und im Vordergrund, da haben wir die Bücher mit den Erklärungen. Was ist überhaupt drin? Wie wird mittels dieser Bücher, mittels dieser Geschichte, mittels dieser persönlichen Briefe auf diese Geschichte, die sich im Hintergrund in den Vitrinen abspielt, reagiert.

    Netz: Jürgen Serke hat ja ganz viel geforscht, über viele, viele Dichter, die von den Nationalsozialisten, von den Kommunisten verfolgt wurden. Wir haben schon drüber gesprochen. Haben Sie auswählen müssen für Ihre Präsentation, und wenn ja, wonach haben Sie ausgewählt?
    Jessewitsch: Ja, es ist ausgewählt worden. Die Ausstellung hat den Titel "Himmel und Hölle 1918 bis 1989". 1918, natürlich das Jahr des Umbruchs, der Revolution, wir haben das in der Grafik dargestellt. Und es ist so, dass hier die Münchner Räterepublik zur verorten ist. Und da beginnen wir natürlich mit Landauer, mit Mühsam, mit Toller und beginnen eben mit dem "Hinkemann" von Ernst Toller. Und das Ganze zieht sich zu Borchert, der sich auf den "Hinkemann" beruft, zieht sich zur Bürgerrechtsbewegung der DDR, die sich wiederum auf Borchert beruft, und damit schließt sich der Kreis 1989.

    Die Auswahl ist daraufhin vorgenommen worden, dass wir hier eine schlüssige Geschichte darstellen können. Und, das muss man dazu sagen, wir haben diese Ausstellung dann aber in ein Haus gegeben mit der Bürgerstiftung für verfemte Künste, in der schon Bilder da sind. Das heißt, man ist zum Beispiel im Raum mit dem "Hinkemann" und sieht daneben einen Christuskopf von Cesar Klein. Die Verbindung ist die: Der Christuskopf von Cesar Klein hing auf der Ausstellung "Entartete Kunst" in München, genau dieses Blatt. Cesar Klein war da Professor noch bis Anfang der 30er Jahre an der Kunstakademie in Berlin, wurde relegiert, zusammen mit Hofer und Schlemmer. Und Gustav Gründgen sorgte dafür, dass Cesar Klein wenigstens noch Bühnenbilder schaffen durfte. Cesar Klein war aber nicht nur Professor an der Kunstakademie, er war auch Mitglied im Schauspielensemble, dass den "Hinkemann" von Ernst Toller wiederum aufführte. Da schließt sich dann der Kreis. Und insofern haben wir eine Auswahl getroffen, bei der wir besonders diese Verbindungen zur Zeitgeschichte und diese Verbindungen der Künstler untereinander darstellen können.

    Netz: Solche Schriftstellermuseen wirken ja oft so ein bisschen papieren. So wie Sie es jetzt erzählen, sind es Geschichten. Aber wenn man nur Dokumente hat, wirkt es oft ein bisschen staubig. Wie verhindern Sie das in der Ausstellung?

    Jessewitsch: Wir haben in der Ausstellung eigentlich eine neue Art von Vitrinen genommen. Das sind transparente Wände, die von hinten hinterleuchtet werden und auf denen die Zeitgeschichte dargestellt wird, die Zeitumstände. Und auf der vorderen Ebene befinden sich dann die persönlichen Dokumente, die Bücher. Die heben ab. Und dann haben wir es so gestaltet, dass wir beispielsweise aus Vitrinen einen kleinen Raum gebaut haben. In dem Moment, wo man anfängt, hinzuschauen und zu lesen, da eröffnet sich eine Erlebniswelt. Man muss die Inhalte darstellen.

    Netz: Herr Jessewitsch, apropos die Inhalte, es gibt ja inzwischen viele Arbeiten über verbrannte Dichter. Es gibt viele Sammlungen. Es werden auch immer wieder Ausstellungen gezeigt. Warum brauchen wir jetzt diese Dauerausstellung in Solingen der Sammlung Serke noch?

    Jessewitsch: Erstens wird sie, glaube ich, nirgendwo durch persönliche Zeugnisse so vorgestellt wie hier, wo wir durch diese Art der Vermittlung die Bücher wirklich zum Leben erwecken. Zum Zweiten haben wir diese einzigartige Kombination aus Literatur und bildender Kunst. Denn ich sagte eben, im Haus befindet sich die Bürgerstiftung für verfemte Künste mit der Sammlung Schneider. Und das ist im Grunde genommen der einzige Ort, der beides so fulminant zueinander bringen kann. Das geschieht eben durch die beiden Sammler, die dahinterstehen, einmal Dr. Gerd Schneider und einmal eben Jürgen Serke.

    Netz: Und dessen Sammlung ist ab sofort in Solingen zu sehen. "Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989 - Die verbrannten Dichter" heißt die Ausstellung. Das war ein Gespräch mit dem Direktor des Museums Baden Rolf Jessewitsch.