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"Musik hat durchaus was dazu zu sagen"

Der neue Chefdirigent des Deutschen Sinfonie Orchesters Berlin, Ingo Metzmacher, hat zum Tag der Deutschen Einheit Hans Pfitzners romantische Kantate "Von deutscher Seele" auf das Programm gesetzt. Nach Ansicht von Metzmacher sollte zu jedem Festtag Musik ertönen, die auch zum Anlass passt. Bei dem Antisemiten Pfitzner habe ihn interessiert, wie so jemand Musik schreibt, fügte Metzmacher hinzu.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Das Deutsche Sinfonie Orchester Berlin - kurz DSO - feiert in diesen Tagen seinen 60. Geburtstag. Als RIAS-Sinfonie-Orchester gegründet, gaben die Berliner im September 1947 ihr erstes Konzert. Zweimal hat das DSO seither den Namen gewechselt. Heute gehört es zur Rundfunkorchester und Chöre GmbH und deren größter und alles andere als stiller Teilhaber ist unser Mutterhaus, nämlich Deutschlandradio. Das Orchester zählt zu den besten, nicht nur in der Hauptstadt, sondern landesweit. Deshalb lecken sich auch die erstklassigen Dirigenten die Finger nach dem DSO. Neuer Chef ist Ingo Metzmacher, 49 Jahre jung, ehemals Generalmusikdirektor der Hamburger Staatsoper, Gastdirigent vieler großer Klangkörper: der Wiener Philharmoniker, London Philharmonic, Concertgebouw Amsterdam, Boston Sinfony und so weiter. Zum Tag der Deutschen Einheit hat Ingo Metzmacher Hans Pfitzners romantische Kantate "Von deutscher Seele" aufs Programm gesetzt. Das ist sein erster großer Auftritt mit dem DSO. Deutschlandradio Kultur überträgt das Konzert am 3. Oktober ab 20 Uhr direkt aus der Berliner Philharmonie. Ich habe Ingo Metzmacher vor dieser Sendung gefragt, was man bei Pfitzner und den zu Grunde liegenden Gedichten von Eichendorff über diese deutsche Seele erfahren kann?

    Ingo Metzmacher: Pfitzner selber hat ja gesagt, dass er den Titel gewählt hat, weil sozusagen die Nachdenklichkeit, die schwärmerische Seite, das Übermütige, das Heldische hat er sogar gesagt, und das Träumerische dieser Seele ihn an den Texten angezogen hat und er eben versucht hat, in seiner Musik dem zu entsprechen.

    Heinemann: Und es ist kein Zufall, dass Sie am Tag der Deutschen Einheit sich sozusagen musikalisch Gedanken machen über die deutsche Seele?

    Metzmacher: Mich als Musiker stört immer sehr, wenn an Feiertagen, die ja eine Bedeutung haben - in diesem Fall der Tag der Deutschen Einheit -, irgendeine festliche Musik gespielt wird, die keinerlei Bezug hat zum Thema. Ich finde Musik hat durchaus was dazu zu sagen. Deswegen habe ich nach einem Stück gesucht. Man könnte auch die Deutsche Sinfonie von Hanns Eisler spielen oder die 9. Sinfonie von Henze. Das hat auch sehr viel mit Deutschland zu tun. Ich wollte Pfitzner machen, weil wir dieses Jahr mit dem Deutschen Sinfonieorchester auch einen Themenschwerpunkt haben, wo wir uns nicht nur am 3. Oktober, sondern auch im Laufe der gesamten Saison auf die Suche nach dieser deutschen Seele in der Musik begeben, und ich wollte das natürlich anfangen mit einem Stück, das auffällt. Von mir erwartet man vielleicht nicht, dass ich Pfitzner dirigiere, und deswegen habe ich gedacht, mache ich das einfach mal.

    Heinemann: Und dieses Tiefgründige, dieses Nachdenkliche, ist das denn noch deutsch?

    Metzmacher: Heute meinen Sie?

    Heinemann: Ja.

    Metzmacher: Ja, ich glaube schon, aber es ist nur eine Seite. Ich bin ja selber Deutscher und denke darüber nach, was meine Identität ist, und würde immer sagen, das was mich daran fasziniert ist die Palette an Möglichkeiten, in denen sie sich äußert. Ich glaube, dass sie sich sehr extrem äußern kann in viele Richtungen und eine Richtung davon ist natürlich auch das Nachdenkliche, das Ernste. Aber es gibt auch die leichte und die übermütige Seite, die jubelnde und die traurige. Also es gibt da einfach sehr viele Facetten und das finde ich interessant.

    Heinemann: Stichwort Facetten. Pfitzner war Antisemit und mit Hans Frank befreundet, einem der schlimmsten NS-Verbrecher. Was reizt Sie an diesem Komponisten?

    Metzmacher: Ja gut, das irritiert mich natürlich erst mal sehr und das hat mich auch in den vergangenen 20 Jahren, die ich jetzt dirigiere, dazu gebracht, um die Musik von Pfitzner immer einen großen Bogen zu machen, bis ich eines Tages Musik von ihm hörte und nicht wusste, dass sie von ihm war. Dann habe ich gedacht, vielleicht muss man da mal differenzierter hingucken. Erstens: Der Verleger von Pfitzner, Wilhelm Fürstner, war ein Jude und er hat ihm Zeit seines Lebens die Stange gehalten.

    Heinemann: Also Pfitzner ihm?

    Metzmacher: Ja, Pfitzner ihm. Er war auch bis fast ganz zum Schluss seines Lebens mit dem großen jüdischen Dirigenten Bruno Walter befreundet, der ihn sehr geschätzt hat. Das ist wie immer: Wenn man einen Menschen betrachtet, muss man das ein bisschen differenzierter sehen. Das entschuldigt nichts und ich will auch nichts entschuldigen. Ich glaube nur, dass er eine vielfältige Persönlichkeit war, und mich hat einfach interessiert: Wie schreibt so jemand Musik. Ich finde, dass das etwas zeigt von seiner Persönlichkeit, das man auch wahrnehmen muss.

    Heinemann: Sie sind jetzt Chef des DSO. Wie kann man den Klang und die Spielweise dieses Orchesters beschreiben? Oder anders gefragt: Wie unterscheidet sich dieses von anderen Orchestern?

    Metzmacher: Bemerkenswert ist, dass das DSO ursprünglich ja das Orchester war, was die Amerikaner im Zusammenhang mit dem Aufbau des RIAS in Berlin nach dem Krieg gegründet haben. Die Amerikaner haben irgendwann dann gemerkt, dass sie ein Orchester nicht in deutscher Tradition subventionieren können, weil sie das daheim in Amerika auch nicht machen. Dann ist es in eine andere Trägerschaft gekommen. Schließlich nach der Wende ist es in die ROC gekommen, die Rundfunkorchester und Chöre von Ost- und Westberlin unter einem Dach zusammengeführt hat. Dann ist es umbenannt worden in Deutsches Sinfonie-Orchester. Das finde ich erst mal eine ganz faszinierende Geschichte. Ich hatte fünf Vorgänger. Das waren alles große Dirigenten. Und das Orchester ist quasi so alt wie die Bundesrepublik, könnte man jetzt einfach so sagen. Es besteht aus vielen, vielen Nationalitäten und ist glaube ich in seiner Offenheit und in seiner Vielfalt sowie in seinen Möglichkeiten irgendwie ein getreues Abbild von Deutschland heute. Ich finde den Namen deswegen auch sehr gut und möchte versuchen, das weiterzuentwickeln.

    Heinemann: Und das Klangideal oder die Spielweise?

    Metzmacher: Ich würde immer sagen verwurzelt, so wie ich selber verwurzelt in der deutschen Tradition, weil natürlich da auch viel bedeutende und große Musik zu finden ist, aber offen nach allen Seiten. Ich glaube nicht, dass ein Orchester einen Klang haben kann, weil es einfach immer davon abhängt, welche Stücke man spielt. Ich glaube, dass heute Orchester in der Lage und auch aufgefordert sind, sich jeweils dem Stück was sie spielen anzupassen und den Klang dort zu suchen. Ich würde ihn aber insgesamt als offenen Klang beschreiben. Das ist für mich wichtig als Grundvoraussetzung.

    Heinemann: Herr Metzmacher, an den beiden Enden des musikalischen Repertoires, also in der alten und in der modernen Musik, gibt es immer mehr Spezialisten. Sie selbst haben das Ensemble Modern geleitet. Die einen beherrschen die modernen Spieltechniken, die anderen spielen auf barocken Instrumenten, und zwar so gut, dass das Naturhorn nicht nach Glücksspirale klingt. Ist das die Zukunft der Orchester, kompetente Klangkörper für eine spezielle Epoche?

    Metzmacher: Das würde ich nicht sagen. Was Sie jetzt gerade beschrieben haben, das sind ja meistens Orchester in freier Trägerschaft, die sich selbst organisieren, die sehr erstaunliche Leistungen hervorbringen und auch sehr wesentliche Impulse ins Musikleben hineintragen. Die haben immer meine Unterstützung. Ich glaube aber, dass ein Orchester wie das Deutsche Sinfonie-Orchester versuchen muss, in all diesen Bereichen tätig zu sein. Ich glaube das moderne Orchester muss - und das tut das DSO auch - wie ein Barockorchester spielen können, aber auch wie ein ganz modernes - wir haben das neulich gemacht mit Edgar Varèses "Amériques", Musik sozusagen höchster Modernität - mit Elektronik umgehen und allen Entwicklungen nachgehen, die es im 20. und jetzt im 21. Jahrhundert gibt.

    Heinemann: Und zu Ostern steht bei Ihnen auch Bach auf dem Programm. Wie halten Sie es mit der historischen Aufführungspraxis?

    Metzmacher: Ich bewundere das sehr. Ich habe manchmal meine Zweifel, wie die so sicher sein können, wie das damals geklungen hat, weil ja niemand dabei war. Für mich gilt aber trotzdem: ich nehme das zur Kenntnis und ich finde das wichtig. Aber für mich ist noch wichtiger, dass ich ein Verhältnis von heute aus zu der Musik entwickle, weil ich glaube, dass es keinen Sinn hat, Musik auszustellen wie in einem Museum, sondern sie muss für uns heute noch was bedeuten. Das ist für mich immer wichtig, dass ich so einen Punkt der Modernität in der Musik finde, die ich dirigiere. Ich finde Bach ist da zeitlos gültig.

    Heinemann: In der alten Musik sagt man, bezogen auf die Artikulation oder die Spielweise, was Bach getrennt hat soll der Mensch nicht binden.

    Metzmacher: Das höre ich heute zum ersten Mal. Sie merken: ich lache. Das finde ich einen guten Satz.

    Heinemann: Sie sind als Chefdirigent auch eine Art Lord-Siegel-Bewahrer eines kulturellen Erbes. Wie bekommt man mehr junge Menschen in die Konzertsäle?

    Metzmacher: Ich glaube das hat sehr viel mit dem Bild zu tun, was man nach außen von sich gibt. Wir versuchen da jetzt am Wochenende auch ein neues Format, ein neues Konzertformat einzuführen, was ich mal ganz flapsig "Casual Concerts" nenne. Das kenne ich aus Amerika, wo man sich ja über so was viel mehr Gedanken macht als hierzulande.

    Heinemann: Was bedeutet das?

    Metzmacher: Das bedeutet erst mal einfach, dass das Orchester nicht im Frack auftritt und nicht in Schwarz, sondern bunt, farbig und wie es Lust und Laune hat, individuell halt. Man könnte sagen es ist eine öffentliche Probe. Das will ich aber nicht sagen, sondern der Gegenstand, die Musik, wird sehr ernsthaft behandelt wie in einem Konzert. Nur eben ist das Drumherum ganz anders. Es gibt einen Einheitspreis. Ich glaube der liegt bei 15 Euro und ermäßigt 10. Und es gibt freie Platzwahl. Wer zuerst kommt sitzt vorne und die anderen sitzen halt weiter weg. Ich werde das Konzert selber moderieren, vielleicht zusammen mit jemand aus dem Orchester. Das werde ich mir noch überlegen. Wir werden aber auch richtige Aufführungen der Stücke, die wir da geplant haben, anbieten. Meine Erfahrung aus Los Angeles ist die, dass das ein sehr aufmerksames, ja fast staunendes Publikum ist, weil viele von denen vielleicht zum ersten, zweiten, dritten, vierten Mal ein Orchester so aus der Nähe erleben. Es gibt glaube ich eben doch viele Menschen, die einfach nur deshalb nicht ins Konzert gehen, weil ihnen der ganze Rahmen nicht passt. Da möchte ich einfach mal ein ganz anderes Format anbieten.

    Heinemann: Und das funktioniert? In Amerika hat es geklappt?

    Metzmacher: Das funktioniert da sehr, sehr gut.

    Heinemann: Sie leiten jetzt ein Sinfonie-Orchester, verfügen aber gleichwohl über Opernerfahrung. In Bayreuth haben Katharina Wagner und Christian Thielemann ihre Hüte jetzt gemeinsam in den Ring oder auf den Ring geworfen. Ist das Ihrer Meinung nach eine gute Lösung für die Nachfolge?

    Metzmacher: Ich denke im Geiste Richard Wagners. Aus der Distanz würde ich sagen, wenn er noch lebt und dazu was sagen könnte, wäre er ganz sicher, so wie ich seine Musik jedenfalls kennen gelernt habe, dafür, dass es da um ein offenes Konzept gehen muss, was sich nicht nur auf die Werke, auf seine eigenen Werke bezieht, sondern auch auf die, die vielleicht in Bezug dazu stehen und die mit diesem Raum, den er da geschaffen hat, in Beziehung treten. Das wäre so meine Idee dazu. Da bin ich mir jetzt nicht ganz sicher, ob das in dieser Konstellation eine Rolle spielt.

    Heinemann: Eher nicht, denn sie haben das Gegenteil angekündigt, dass sie sich stark auf Wagner konzentrieren wollten.

    Metzmacher: Dann habe ich Ihnen ja meine Antwort schon gegeben.

    Heinemann: Genau. - Letzte Frage: Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade dirigieren, Klavier spielen oder sich mit Musik beschäftigen?

    Metzmacher: Ich interessiere mich sehr für Fußball und hoffe immer auf die Gelegenheit, das wieder selber ein bisschen zu praktizieren. Ich gehe gerne Spazieren. Ich fahre Fahrrad und höre gerne Jazz-Musik.

    Heinemann: Welchem Verein drücken Sie Samstags die Daumen?

    Metzmacher: Wollen Sie das wirklich wissen?

    Heinemann: Das will ich wirklich wissen.

    Metzmacher: Ich bin geboren in Hannover und bin dort als junger Mensch ziemlich oft über den Zaun gestiegen, als Hannover 96 im tiefen Abstiegskampf steckte. Das ist irgendwie hängen geblieben.

    Heinemann: Ingo Metzmacher, der neue Chefdirigent des Deutschen Sinfonie-Orchesters Berlin, den Sie bald wieder hören können: nicht nur in Konzertsälen, sondern auch in diesem Programm. Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, antwortet Ingo Metzmacher ab 17:05 Uhr hier im Deutschlandfunk auf unsere "Kulturfragen". Am Abend überträgt Deutschlandradio Kultur ab 20 Uhr dann das Konzert des DSO aus der Berliner Philharmonie. Auf dem Programm Hans Pfitzners romantische Kantate Von deutscher Seele.