Dienstag, 19. März 2024

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Musiker Nick Waterhouse
Kalifornischer Vintage-Visionär

Nick Waterhouse spielt traditionellen Sound zwischen Rhythm & Blues, Soul und Jazz ohne dabei antiquiert zu klingen. Mit seinem neuen Studioalbum "Promenade Blue" erzeugt der Perfektionist und geschickte Arrangeur aus Kalifornien Fernweh nach palmengesäumten Freeways und der Pazifikküste.

Von Anke Behlert | 11.04.2021
    Ein Mann mit Sonnenbrille lehnt mit den Armen auf einem Geländer und blickt in die Ferne.
    Der Kalifornier Nick Waterhouse sieht seine Heimat differenziert (Jared Chambers)
    Musik: "This is a game"
    Auch wenn sein Image in letzter Zeit durch Waldbrände, hohe Obdachlosigkeit und die stete Gefahr von Erdbeben ein bisschen angekratzt wurde – Kalifornien ist für viele Menschen immer noch ein Sehnsuchtsort. Verständlicherweise: meistens gutes Wetter, wunderschöne Natur, teure und aufregende Städte. Der gebürtige Kalifornier Nick Waterhouse ist weder braungebrannter Surfer noch schwerreicher Tech-Investor. Der 35-jährige Musiker sieht seine Heimat differenzierter und hat ihr sein neues Album "Promenade Blue" gewidmet. "Blau" ist für ihn aber mehr als nur die Farbe des Pazifiks.
    "Ich wurde in der Nähe des Pazifiks geboren – ein tiefblaues Meer. "Blau" ist für mich auch etwas sehr Amerikanisches, es ist omnipräsent in westlicher Popmusik. Es gibt da diesen Blaustich und natürlich die "blue note". Für mich und meine Musik ist Rhythm‘n‘Blues der Dreh- und Angelpunkt. Manche finden das vielleicht retro, aber auch in einem Taylor Swift-Song findet man sehr wahrscheinlich eine "blue note". Mit diesem Album ist mir so richtig klargeworden, dass ich eine Welt für meine Hörer baue und die ist zart blau."
    Musik: "Minor time"
    Blues und Rock spielten schon früh eine Rolle im Leben von Nick Waterhouse. Einige seiner ersten Alben waren "December‘s Children" und "Aftermath" von den Rolling Stones. Seine eigene Musik ist vor allem eins: äußerst tanzbar. Die zu Anfang noch etwas hüftsteife aber mittlerweile ungemein schwungvolle Mixtur des Kaliforniers aus Rhythm'n'Blues, Soul, Boogaloo, Rock'n'Roll und Jazz eignet sich hervorragend für die Tanzfläche. Eigentlich nicht überraschend, schließlich ist er auch DJ und seine ersten Erfahrungen mit Livemusik waren Tanzveranstaltungen der lokalen Feuerwehr von Huntington Beach, wo sein Vater gearbeitet hat.
    "Ich bin mit all diesen Leuten aus der Feuerwache aufgewachsen. Meine Familie und die anderen Familien waren eng befreundet und haben auch oft gemeinsam Partys veranstaltet, zu denen sie eine Band gemietet haben. Ich hab mich neben den Drummer gesetzt und war total fasziniert davon, wie die Musik all diese Erwachsenen bewegt, welche Macht sie hatte. Das gemeinsame Erlebnis, das eben nicht daraus bestand, in die Mall zu gehen oder so, das hat mich nachhaltig beeinflusst.
    Musik: "I Had Some Money (But I Spent It)"
    "I Had Some Money (But I Spent It)" vom Album "Never Twice". Ein bisschen ist der Songname Programm, sagt Nick Waterhouse, denn sobald er gesetzlich durfte, spielte er Auftritte mit verschiedenen Bands und suchte sich einen Job in einem Plattenladen, der Importe aus England führte, die er von seinem Gehalt kaufte. Später, während des Studiums in San Francisco, bei Rookie Ricardo's, einem kleinen Laden, der sich auf vintage R'n'B und Soul-Vinyl-Singles spezialisiert hat. Nachdem er einige Zeit als DJ die Tanzflächen beschallt hatte, nahm er schließlich seinen ersten Song "Some place" auf und brachte ihn auch als Single heraus.

    Experiment ohne Erwartungen

    "Ich hab das als Experiment gesehen und hatte keine Erwartungen. Ich war gerade am Ende einer Beziehung und hatte ziemlich damit zu kämpfen. Außerdem hatten sich meine Pläne, an der Uni meinen Master zu machen, in Luft aufgelöst. Meine Karriere war vorbei, meine Beziehung auch, alles schien irgendwie sinnlos. Außer diese Single, die war ein Lichtblick. Und die Reaktionen darauf waren überwältigend."
    Und zu recht: Mit seinem Gitarren-Twang, dem ungestümen Bariton-Saxofon, rollenden New Orleans-Piano und nicht zuletzt Waterhouse' Urschrei-Gesang setzt das Stück 2010 ein Ausrufezeichen in der wiedererwachten Soulszene.
    Musik: "Some place"
    Musik: "I can only give you everything"
    Das war der Song "I can only give you everything", im Original von der nordirischen Band Them aus dem Jahr 1966, hier von "Time's all gone", dem Debütalbum von Nick Waterhouse von 2012. Er bleibt darauf seinen Vorbildern treu, nimmt konsequent live und analog auf. Seine Alben Platten klingen immer nach dem Raum, in dem sie entstanden sind, so auch "Time‘s all gone". Der Gesang geht im Mix manchmal etwas unter und man hört auch kleine Fehler, was aber der Energie des Albums nicht schadet. Und ganz in oldschool-Tradition covert Waterhouse immer wieder Lieblingsstücke, vor allem live - einige sind aber auch auf seinen Alben erschienen. Darunter sind auch Songs von Mose Allison, The Seeds oder Charles Sheffield.
    "Als ich meine ersten Sachen herausgebracht hab, wurde ich oft gefragt, ob ich Tom Waits und Amy Winehouse mag. Aber deren Musik hab ich vielleicht eine Stunde gehört, in meinem Leben. Aber ich kann dir alles über "It's your voodoo working" von Charles Sheffield erzählen. Den Song habe ich ungefähr 500 Stunden gehört. Nur diesen einen Song.
    Musik: Charles Sheffield – "It's your voodoo working"
    Musik: "Sleepin' Pills"
    Der Song "Sleeping Pills" des kalifornischen Musikers Nick Waterhouse, von seinem zweiten Album "Holly". Über diese Aufnahme sagt er selbst: "Bei "Time's all gone" hatte ich einfach nur diese Songs. Also waren die das Album. Bei "Holly" hatte ich mehr Spaß mit dem Format, es ist wie eine Breitbildvariante meiner Musik. Der Film "The Master" von Paul Thomas Anderson hat mich damals sehr beeindruckt und für mich klingt die Platte so, wie dieser Film aussieht."
    Ein Mann mit Brille hockt auf einem Felsen vor dem Ozean und blickt in die Kamera.
    Nick Waterhouse wurde in der Nähe des Pazifik geboren (Jared Chambers)
    In den Songs auf "Holly" hört man schnarrende Saxofone, Congas, Pianophrasen mit kubanischem Einschlag und seine verhallten, rhythmisch tighten, aber etwas ungeschliffenen Gitarrenfiguren. Aber: er baut auch schon mal ein paar Mariachi-Bläser ein oder lässt die Band wilden Jazz improvisieren.
    Musik: "Dead Room"
    Filme sind neben alten 7-Inch-Singles eine wichtige Inspirationsquelle für Nick Waterhouse. War es bei "Holly" ein Streifen von Paul Thomas Anderson, so hat er sich später in das Werk von John Cassavetes vertieft, einem Wegbereiter des amerikanischen Independentfilms.
    "Er war wie eine Insel. Seine Filme standen abseits des Mainstream und waren eine Welt für sich mit einer wiedererkennbaren Bildsprache, ähnlichen Themen und den immer gleichen Schauspielern. Und das beeinflusst mich sehr, ich orientiere mich auch nicht am Markt. Und die Musikerinnen und Musiker, die mit mir spielen, glauben an die Sache, sie sind Idealisten. Wegen des Geldes kommen sie bestimmt nicht oder weil sie dadurch berühmt werden."

    Punktgenaue Lässigkeit

    Es ist leicht nachzuvollziehen, warum Waterhouse eine Art Seelenverwandschaft zu Cassavetes sieht. Auch der Musiker bewegt sich innerhalb eines stilistisch klar abgesteckten Feldes, in dem er immer wieder neue Schwerpunkte setzt. Das kann man nun retro oder zeitlos nennen, aber wiedererkennbar ist es in jedem Fall. Und zu seinen "true believers" - seinen idealistischen Mitstreitern zählen zum Beispiel die Saxofonistin Paula Henderson, der Perkussionist Andres Renterias, die Sängerin Carol Hatchet und sein Schulfreund Anthony Polizzi. Und die sind auch beim "Song for winners" mit dabei, vom 2019er-Album "Nick Waterhouse".
    Musik: "Song for winners"
    Auf seinem vierten selbstbetitelten Album strotzt jeder Song vor Energie und Lässigkeit. Hier wird es ganz deutlich: Er ist Perfektionist und geschickter Arrangeur. Schneidende Bläser, ein druckvolles Schlagzeug, flirrende Vibraphontupfer im Hintergrund - alles sitzt punktgenau, wirkt aber nie angestrengt. Und Waterhouse weiß auch, wann weniger mehr ist, wie bei dem wunderbar zärtlichen Liebeslied "Thought & Act".
    Musik: "Thought & Act"
    Um Liebe geht es auch auf dem neuen Album "Promenade Blue". Allerdings nicht notwendigerweise um die der romantischen Art. Es geht auf dem Album um das Verliebtsein in das Leben selbst. Die Vinyl-Singles, die ich mag, sind sehr impressionistisch, sie sind wie Minitheaterstücke, kleine Eindrücke, oder kurze Filme. Immer wenn die Kamera schwenkt, beginnt eine neue kleine Geschichte. In meinen Songs geht es auch um Momente und Orte, die Wertschätzung und Liebe zu diesen Momenten.
    Musik: "Very blue"
    Auf "Promenade Blue" lässt er sich nicht nur von Filmen inspirieren, auch seine Songs bewegen sich ein gutes Stück Richtung Filmmusik mit üppigen Streicherarrangements und erstmals auch einem männlichen Chor.

    Feuerwehrpartys und DJ-Nächte

    "Ich habe bisher meistens für weibliche Stimmen geschrieben, aber dieses mal hatte ich eine männliche Gesangsgruppe: die Sensational Barnes Brothers aus Memphis, wo wir die Platte aufgenommen habe. Die gibt‘s schon ewig und ich bin sehr glücklich darüber, dass sie auf meinem Album singen. Aber es sind nicht nur die Profis, auf einigen Songs hört man auch meinen Pianisten, den Produzenten und einen großen, blonden Typ aus LA, der die ganz tiefen Parts singt.
    Musik: "The Spanish look"
    Musik: "Medicine"
    Die Profis und die Idealisten, vintage Subkultur-Sounds und ein Mainstream-Charterfolg, klassische Herrenmoden-Ästhetik und Fotosession mit Glamour-Model Kendall Jenner – bei Nick Waterhouse kollidieren scheinbare Gegensätze miteinander. Und das gilt in gewissem Sinn auch für ihn selbst und seine Musik: denn einerseits ist er ein kundiger Plattennerd, der die Instrumentalisten von raren B-Seiten im Schlaf aufzählen kann, sich ausgeklügelte Konzepte für seine Alben überlegt und problemlos mit popkulturellen Zitaten jongliert. Andererseits folgt er einfach seinem Gespür und macht nur, was er auch selbst gut findet. Zum Glück.
    "Die Feuerwehrpartys, die High School-Bands und die DJ-Nächte in San Francisco und London – dort habe ich gelernt, wozu diese Platten und diese Musik gut sind. Das Ziel ist nicht, dass die New York Times oder Pitchfork darüber schreiben, sondern dass die Leute dazu tanzen. Darum geht‘s eigentlich.
    Musik: "B. Santa Ana, 1986"