Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Musikfest Berlin
Der einzelne Ton machte bei Isang Yun die Musik

Südkoreanische Musiktradition verbunden mit westlicher Neuer Musik - das zeichnete das Werk des Komponisten Isang Yun aus. Der gebürtige Südkoreaner wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Anlässlich des Jubiläums erinnerte das Musikfest seiner Wahlheimat Berlin nicht nur an seine Musik, sondern auch an seine Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst.

Von Julia Kaiser | 18.09.2017
    Der Komponist Isang Yung im Jahr 1972.
    Arbeitet damals an einer Oper für die Olympischen Spiele in München: Isang Yung im Jahr 1972 (imago)
    "Ich denke, er hat etwas gesucht, was ihm selber entsprach, also seinen koreanischen Wurzeln. Das war ihm aber nicht genug, ein Heimatkomponist zu sein, er wollte auch in die Reihe der großen Avantgarde aufrücken", sagt die Flötistin Roswitha Staege über Isang Yun.
    Wenige Jahre nach dem Koreakrieg, 1956, konnte Yun als Gewinner des Kulturpreises der Stadt Seoul nach Europa reisen. Zunächst nach Paris, um die großen Vertreter der Avantgarde kennenzulernen. Ein Jahr später kam er nach Deutschland, erst nach Köln, später nach Berlin, wo Boris Blacher den inzwischen 40-jährigen Yun ermutigte, die Zwölftontechnik Arnold Schönbergs zu studieren. Er fand zu seiner eigenen, noch heute faszinierenden Sprache. Roswitha Staege hat viele Werke von Isang Yun uraufgeführt.
    "Eine vollkommen andere Herangehensweise an Musik"
    "Ich empfinde seine Musik als hoch expressiv. Wahrscheinlich, weil so viel Koreanisches, Asiatisches an Ausdruck mitschwingt. Zum Beispiel die Phrasierung ist anders, die Artikulation ist anders. Im Zentrum steht ein Ton, ein langer Ton. Unsere westliche Musik bezieht sich ja auf Harmonie, also vertikal und Melodie, horizontal. Und ein Ton ist bei uns wirklich nichts. Der ist nur wichtig im Zusammenhang mit anderen Tönen, sei es mitklingend oder folgend. Das ist bei Yun nicht so! Der eine Ton ist so lebendig, mit seinem Anfang und wie er sich bewegt, verschiedene Vibrati, verschiedene Ornamentik – der eine Ton ist quasi schon eine Phrase! Und das ist eine vollkommen andere Herangehensweise an Musik."
    Musik: Isang Yun "Dolce", Etüde V für Violoncello solo (1993)
    Ungemein schwer zu spielen, und doch gefühlvoll auslotend, was auf modernen, westlichen Instrumenten dem koreanischen Originalklang nachempfunden werden kann, so beschreiben auch der Cellist Mischa Meyer und der Oboist Thomas Hecker Yuns Kompositionen, mit denen sie sich erst seit Kurzem beschäftigen.
    "Je mehr man hört von ihm, desto mehr hört man die Anklänge an die asiatischen Instrumente. Das ist interessant, weil die klassischen Instrumente, wie jetzt mein Cello, oft auch wie Schlaginstrumente verwendet werden. Das sind zum Teil neue Techniken, die man lernen muss. Es ist auch eine andere Tonsprache. Es geht sehr viel um Vibrato, wie schnell man vibriert, wie stark die Amplitude ist, das wird sehr stark ausgereizt. Das Stück 'Piri', das ich heute spiele, ist nach einem Instrument aus Korea benannt, der Oboe relativ ähnlich, aber man kann eben diese Glissandi über mehrere Takte viel natürlicher spielen als auf der Oboe. Das muss man sich erst sehr langsam erarbeiten."
    Musik: Isang Yun "Piri" für Solo-Oboe (1971)
    Isang-Yun-Ausstellung in der Berliner Philharmonie
    "Eine neue klangliche Dimension, die im Raum, im Kosmos immer fließt", nannte Isang Yun das, was er in seiner Musik suchte. 1995 war das, kurz vor seinem Tod, als er längst seinen Durchbruch bei den Donaueschinger Musiktagen gefeiert, große Opern komponiert hatte und schon Jahrzehnte Kompositionslehrer an der Berliner Hochschule der Künste war. Der Vorsitzende der internationalen Yun-Gesellschaft, Wolfgang Sparrer, hat anlässlich des Musikfestes eine beeindruckende Ausstellung über das Leben des Komponisten zusammengetragen. Der Schau in der Berliner Philharmonie gelingt gleichermaßen, die äußeren Umstände von Yuns Arbeit zu umreißen, aber auch, in die Tiefe seiner faszinierenden Klangsprache vorzudringen. Wolfgang Sparrer:
    "Er denkt melodisch, also horizontal und in Klangschichten. Er hat das dann gegeneinander verschoben, da gibt es Identität und Abweichung, eine vegetative Gestaltung, die gleichzeitig sorgfältig geplant ist, aber die immer wirkt wie improvisiert."
    1967 entführte der südkoreanische Geheimdienst in einer verdeckten Operation 17 gebürtige Südkoreaner aus Deutschland nach Seoul. Darunter Isang Yun. Ihm wurde zur Last gelegt, dass er Komponisten in Nordkorea besucht hatte und an die Wiedervereinigung Koreas glaubte. Yun wurde gefoltert und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Die Ausstellung zeigt die Liste der 181 prominenten Musiker, die sich für die Freilassung Yuns einsetzten, darunter Strawinsky, Schostakowitsch, Ligeti und Herbert von Karajan. Zwei Jahre später, 1969, kam Yun frei.
    In Südkorea erst 2017 vollkommen rehabilitiert
    Eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Isang Yun heute", in der Akademie der Künste, beleuchtet das Weltgeschehen, das die Arbeit des Komponisten beeinflusst hat. Isang Yun, oder Yun-I-Sang, wie er auf Koreanisch heißt, wurde in seinem eigenen Land erst spät rehabilitiert. Die letzte südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye, war die Tochter des Diktators Park Chung-hee, der Yun hatte entführen lassen. Sie erstellte eine sogenannte schwarze Liste, die bis zu ihrer Amtsenthebung in diesem Frühsommer gültig war, erklärt die Koreawissenschaftlerin Eun-Jeung Lee.
    "Im Ausland wurde seine Musik immer gespielt. Die Frage war die Förderung durch das koreanische Kultusministerium. Weil die Gruppe um Yun Isang auf der Black List stand, durfte gar nichts gefördert werden, aber jetzt hat sich das durch den Regierungswechsel geändert. Das Symbolische dabei war, dass die First Lady beim Arbeitsbesuch des Staatspräsidenten im Juli das Grab von Yun Isang besuchte und eine Pflanze aus seiner Heimat mitbrachte und einpflanzte. Einen besseren symbolischen Akt konnte es nicht geben, um ihn in der südkoreanischen Öffentlichkeit zu rehabilitieren, denn in den letzten neun Jahren war er fast Persona non grata, trotz seines internationalen Renommees."
    Ein breites Spektrum von Isang Yuns Kammermusik hat das Musikfest Berlin abgebildet. Sein sinfonisches Schaffen konnte erst anklingen. Der neue Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, Vladimir Jurowski, wählte als erstes Stück für sein Antrittskonzert "Dimensionen" von Isang Yun, für großes Orchester und Orgel. Exemplarisch zeigte er damit am gestrigen 100. Geburtstag, wie man Isang Yuns Tonsprache missverstehen kann, wenn man sich nur kurz damit auseinandersetzt. Vor allem der Zugang zu Yuns Spieltechniken fehlte und wurde durch Lautstärke ersetzt.
    Musik: Isang Yun "Muak, Tänzerische Fantasie für Orchester"
    Wunderbar dagegen das aus Korea angereiste Gyeonggi Philharmonic Orchestra unter der Leitung seiner beachtenswerten Dirigentin Shiyeon Sung, das zeigte: "Forte" und "fortissimo" bedeuten bei Isang Yun nicht unbedingt "laut", sondern vor allem "hoch konzentriert".