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Musikfestival über Depression und Suizid
"Das Leben wieder bunter machen"

"Reason to Rock" - das schwierige Thema depressiver Erkrankungen im Zentrum eines Musikfestivals? Ja, um Mut zu machen, Anteil zu nehmen und das Leben zu feiern. Eine in Deutschland bislang einzigartige Veranstaltung. Vielleicht ein größerer Trend.

Von Peter Backof |
Ein Mann schlägt seine Hände vor das Gesicht.
Bei den Themen Depression und Suizid herrscht großes Schweigen - das will das Festival „Reason to Rock“ ändern. (imago / Igor Stevanovic / Science Photo Library)
"Also es war tatsächlich meine Idee. Inspiriert bin ich gewesen von dem Festival in den USA, von der Band Seether. Der Sänger Sean Morgan hatte einen Bruder. Und der hat sich, ich glaube dieses Jahr sind es acht Jahre, das Leben genommen."
Zeina Augustiniak und 16 andere angehende Veranstaltungskaufleute wollten es der Band Seether nachmachen und ein Musikfestival organisieren, um - so das Motto - das Leben wieder etwas bunter zu machen.
"Reason to Rock" - offiziell ein Praktikum, und mehr: Denn auch im Umfeld der Organisatoren gab es Fälle depressiver Erkrankungen bis hin zum Suizid. Zeina Augustiniak: "Und da wir in Deutschland nicht darüber sprechen, da es ein absolutes Tabuthema ist und ich gemerkt oder gesehen habe, dass es nötig ist, dass darübe gesprochen wird, war das meine Idee, so ein Festival ins Leben zu rufen. Um das Outen geht es nicht, es ist eher dafür da, eine Plattform zu schaffen, für Leute, die Angehörige haben, die Probleme haben, denen es nicht so gut geht."
Wir-Gefühl schaffen
Die Atmosphäre ist zwanglos, heiter im "Odonien", ein Flecken Wildnis am Bahndamm. Von Nachmittag bis Abend sind es mal 200, mal 400 Gäste. Gut besucht für die Verhältnisse des Geländes.
Auf zwei Bühnen spielen lokale Bands wie Deine Vorstadt, Römisch Drei oder Kann Karate. Manche bringen gerade ihre erste Single heraus. Zeina Augustiniak und ihre Mitveranstalter wollten ganz bewusst nicht bekanntere Bands programmieren, um möglichst viel Publikum anzulocken, sondern wie Seether in den USA beim "Rise Above This Festival" Wir-Gefühl schaffen.
Nicht so am Rand wie auf größeren Festivals: Die Infostände; der von "Trees of Memory" fällt besonders auf, mit Design in Grün. "´Trees of Memory´ ist entstanden aus der Initiative von Mario Dieringer, der um die Welt läuft, in Frankfurt angefangen letztes Jahr, und in diesem Zug Bäume der Erinnerung für Hinterbliebene nach Suizid pflanzt", erläutert Iris Pfister und verteilt Infoprospekte.
Mario Dieringer setzt mit Tagebuch-Posts von seiner Wanderung in den sozialen Medien Zeichen. Durch diese neu gepflanzten Bäume soll das Gefühl der Trauer verdinglicht und greifbar werden. Das kann helfen, Sprachlosigkeit zu überwinden.
Druck durch Influencer
Beim Themenfeld von der Depression bis zum Selbstmord herrscht: Das große Schweigen. Wer zugibt, depressiv zu sein, macht sich angreifbar und disqualifiziert sich oft im der Arbeitswelt.
Und die sozialen Medien bringen auch Krankheitsbilder hervor, ergänzt Zeina Augustiniak. "Heutzutage auch sehr ausgeprägt durch die ganzen Influencer. Wenn man sich die Profile so anguckt, sieht man Bilder von tollen Reisen und wie die alle lächeln und alles gut ist. Dann hat man natürlich persönlichen Druck, den man aufbaut und da kommt ganz, ganz viel zusammen."
Das große Tabu loswerden
Darum geht es in den Talks zwischen den Musikprogrammteilen, in einer Art Speaker´s Corner auf Wurzelholzbänken. Psychiater treten auf und reden mit Interessierten. Und Betroffene, die zu Aktivisten geworden sind, wie der Niederländer Maartens Mind, der seine jahrelangen Therapieerfahrungen beschreibt, bis zu einem persönlichen Schicksalsmoment: "Es war ein relativ langer Weg. Erst in Institutionen, kleine Räume, kein Tageslicht, Reden über alles Schlimmes, was mir widerfahren ist. Bis zu dem Moment, wo ich vor ein paar Jahren in nahezu erfrorenes Wasser lag."
Das hat Maartens Mind ins Leben zurückgeholt und er will die Erfahrung mit anderen teilen, am Rand des Extremsports gegen Depressionen. Körperlich nichts für alle.
Das Festival indes kommt sehr gut an. Publikumsschnitt um die 30. Es rockt auch mal richtig und macht sichtbar, welche Vielfalt es gibt, von der Telefonseelsorge bis zum Global Walk, um das große Tabu los zu werden. Wenn es nach Zeina Augustiniak geht, könnte "Reason to Rock" nochmal stattfinden. Oder Nachahmer finden. "Das wäre total schön, wenn das Projekt Zukunft hätte."
Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111.