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"Muslim Girl" Sineb El Masrar
Wie junge Musliminnen in Deutschland leben

Sineb El Masrar ist jung, sie ist Muslimin - und schlägt einen ganz anderen Ton an als ältere, männliche Vertreter islamischer Verbände. Humorvoll, frech und selbstbewusst beschreibt die in Hannover geborene Deutsche mit marokkanischen Wurzeln, wie junge muslimische Frauen hierzulande leben.

Sineb El Masrar im Gespräch mit Andreas Main |
    Sineb El Masrar, aufgenommen am 08.10.2010 auf der 62. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Sineb El Masrar: "Ich habe keine große Migrationserfahrung" (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Andreas Main: Sineb El Masrar, Sie schreiben über Muslim Girls - so heißt ein Buch von Ihnen, das gerade neu aufgelegt wurde, es geht um muslimische Frauen. Ist die Flucht ins Englische eine Masche - oder steckt da mehr dahinter?
    Sineb El Masrar: Na ja, es funktioniert in jedem Businessbereich, also auch auf dem Buchmarkt, wenn man einen englischen Titel verwertet, dass auch da immer etwas Pfiffigeres, etwas Lockeres damit verbunden wird. Und das war mir bei diesem Buch ganz besonders wichtig: wegzukommen von den klassischen Opfergeschichten, von den klassischen Tragödien, die ja immer mit muslimischen Frauen und Mädchen in Verbindung gebracht werden. Und deswegen dachte ich mir, das wäre mal ein schöner Titel für ein Buch.
    Muslima, Muslimin, Muslim Girls
    Main: Im Buch sprechen Sie dann von Muslima. Eingedeutscht würde das heißen: Muslimin. Ich will jetzt nicht den Oberdeutschen mimen, aber solcherlei Wortwahl, die immer so hübsch politisch korrekt daherkommt, wirkt womöglich auch mal kontraproduktiv.
    El Masrar: Na gut, es gibt jetzt nun mal diese zwei Begriffe für die Frauen. Und Muslima klingt jetzt in meinen Ohren auch nicht irgendwie beleidigend oder negativ. Und damit spielt man ja auch. Es gibt ja auch durchaus Stellen, wo ich dann auch mal Muslimin sage. Insofern, es ist ja auch immer die Frage: Heißt es nun Muslimas, wenn ich von der Mehrzahl spreche, oder auch Muslima? Also gut, grammatikalisch habe ich das tatsächlich in diesem Buch nicht auf gebröselt, aber es sei mir verziehen.
    Main: Sie schreiben in diesem Buch über muslimische Frauen, wie der Titel schon sagt. Aber das Muslimische, der Islam als Religion spielt eindeutig eine Nebenrolle. Ist das ein Lapsus oder ist das prototypisch für Ihre Generation?
    El Masrar: Das Buch behandelt ja sozusagen die muslimischen Mädchen und Frauen, die in den 60er, 70er, 80er und 90er sozialisiert sind. Insofern ist natürlich die Religion ein Teil ihrer Identität und vor allem ist es auch ein Teil ihrer Entwicklung. Also je nachdem in welchem Alter, inwiefern die Sozialisation innerhalb der Familie, innerhalb der Gesellschaft stattgefunden hat, spielt auch der Islam unterschiedliche Rollen. Insofern kann ich nicht von der Muslima sprechen, die jetzt diesen Weg und diese Religiosität auslebt. Insofern spielt die Religion nur eine Säule in diesem Buch.
    Der Islam als Teil der Familienhistorie
    Main: Meine Fragen sind ja auch ein bisschen gemein. Wenn Muslime ganze Gesellschaften prägen wollen mit einer alles umfassenden Ideologie und das eben als Rechtsnorm etablieren wollen neben einer weltlichen Rechtsnorm, dann wird das hinterfragt von Säkularisten. Und wenn Sie der Religion keine Hauptrolle zuschreiben, dann werden Sie von mir gefragt, wo bleibt der Islam?
    El Masrar: Na ja, der Islam, wenn Sie jetzt von mir sprechen, der spielt ja auch in meinem Leben eine Rolle. Also, ich bekenne mich ja als Muslimin, als bekennende Muslima, fühle mich dieser Religion ja auch zugewandt. Sie ist ja auch ein Teil meiner Familienhistorie, also ich komme ja aus einer Familie, die aus Marokko stammt, wo die Hauptreligion der Islam ist, wo es natürlich auch andere Religionen gibt, wie das Judentum, das Christentum, die sehr friedlich miteinander auch bis heute leben. Insofern spielt es auch eine große Rolle in meiner eigenen Familiengeschichte und Herkunft. Marokko ist ein Teil von mir und hat mich genauso geprägt wie dieses Land: Deutschland. Insofern kann ich das - wie gesagt - nicht von meiner eigenen Person lösen und genauso wenig von anderen Frauen.
    Es gibt durchaus muslimische Frauen, die in einer muslimischen Familie groß werden, den Islam auch in ihrer Familie und in ihrem Herkunftsland kennenlernen, aber im Laufe der Zeit sich auch immer mehr davon distanzieren, sich auch durchaus als Atheistin verstehen oder eben auch ganz anderen Religionen sich zuwenden. Es gibt ja auch Frauen, oder auch Männer, die den Islam verlassen. Wie das dann am Ende in jeweiligen Gesellschaften, Communitys wahrgenommen wird und auch diskutiert wird oder eben auch sehr aggressiv mit umgegangen wird, das steht natürlich auf einem anderen Blatt.
    Main: Das führt hin bis zur Todesstrafe in Saudi-Arabien.
    El Masrar: Beispielsweise. Aber da wir hier in Deutschland sind, passiert das ja nicht gerade.
    "Ich bin innerhalb Deutschlands viel umgezogen"
    Main: Sie schmunzeln viel - auch in Ihrem Buch. Alles, was ich von Ihnen gelesen habe, Humor spielt in Ihren Texten eine große Rolle. Ist das Ihr Charakter, ist das eine Strategie - die Strategie, die Minderheitenrolle als Muslimin womöglich wegzulachen?
    El Masrar: Na ja, ich bin schon jemand, der sehr humorvoll ist. Ich finde, das Leben ist immer sehr anstrengend und fordert einen - und vor allem als Frau. Das ist jetzt nicht unabhängig davon, ab man jetzt Muslima ist, ob man Migrationshintergrund hat oder was auch immer. Man ist schon immer damit beschäftigt, seine eigene Rolle, sein eigenes Leben zu reflektieren, die eigenen Entscheidungen, sich oft auch rechtfertigen zu müssen. Also das ist nun wirklich unabhängig von der eigenen ... - nun ich habe jetzt keine große Migrationserfahrung. Ich bin innerhalb Deutschlands viel umgezogen. Den Hauptakt haben ja meine Eltern vollzogen, in dem sie entschieden haben, wir ziehen von Marokko nach Deutschland. Insofern spielt das natürlich schon eine Rolle.
    Und da das Leben sehr anstrengend ist, ist es schon manchmal ganz gut, wenn man einiges mit einem Augenzwinkern wahrnimmt oder verarbeitet vor allem. Weil manche Dinge auch ziemlich absurd sind. Also, es gibt zum Beispiel relativ am Anfang eine Stelle, wo ich vor allem die Frauen, die ein Kopftuch tragen, ein bisschen in den Fokus bringe und die dann ganz stupide Sachen gefragt werden wie: "Duschst du auch mit Kopftuch?" Also, wie will man da bitte schön noch ernst antworten?
    Main: Vertreter von Religionen haben meist wenig Humor - egal, welche Religion. Vor allem die, die sich und ihre Religion sehr ernst nehmen. Inwieweit teilen Sie diesen Eindruck?
    El Masrar: Ja, das - glaube ich - trifft schon zu. Und das trifft dann ja tatsächlich alle Religionsgemeinschaften oder auch politische Organisationen oder Vertreter. Da geht es eben ganz stark um Macht und um Selbstdarstellung. Und das können Männer sehr gut - sie haben eine sehr lange Tradition damit -, wenn ich jetzt mal ein bisschen pauschalisiere. Aber das muss ja nicht so bleiben. Und Muslime, die organisiert sind, sind vielleicht dort organisiert, aber es gibt ja noch viele, die außenstehend, die nicht organisiert sind und das Leben auch mit sehr viel Humor verstehen.
    Es gibt ein Leben neben der Religion
    Main: Vielleicht ist das auch wirklich eine Strategie, um herauszukommen aus diesem manchmal sehr betroffenen und verbiesterten Dialog Muslime und Nicht-Muslime.
    El Masrar: Genau. Man bewegt sich natürlich so ein bisschen im Kreis und man muss es tatsächlich ein bisschen auflockern. Denn dieses Thema ist manchmal auch ermüdend. Man hat schon das Gefühl, man kommt da sonst irgendwie nicht weiter, ja man kommt da auch gar nicht raus. Und manche Dinge, die wir in diesen ganzen Dialogveranstaltungen heute besprechen, hat man letztendlich irgendwie schon vor 20 Jahre vielleicht mal in einer anderen Form besprochen. Und es gibt ja immer noch ein Leben neben Dialog und neben Religion. Selbst religiöse Menschen gehen ja auch ganz normalen alltäglichen Dingen nach, und die sind manchmal auch ganz verwirrend - und dann reagieren die Leute auch mit Humor darauf. Manche haben gar keinen Humor, die reagieren immer irgendwie ein bisschen genervt.
    Lesen sie auch die Fortsetzung des Gesprächs mit Sineb El Masrar (2. Teil)