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Mutmaßliche Nähe zu Islamismus
Vorwürfe an Berliner Expertenkommission

Vor zwei Monaten nahm die "Expertenkommission zu antimuslimischem Rassismus" ihre Arbeit auf. Inzwischen gibt es Kritik an der Kommission. Zwei Mitglieder werden in Zeitungsartikeln als Islamisten bezeichnet - einer von ihnen: Mohamad Hajjaj vom Verein Inssan. Doch was ist dran an den Vorwürfen?

Von Luise Sammann | 26.04.2021
Mohamad Hajjaj vom Zentralrat der Muslime posiert anlässlich der geplanten Menschenkette «Hand in Hand gegen Rassismus» am 14.06.2016 in Berlin. Die Menschenkette soll am 17.06.2016 ab 14 Uhr auf dem Kreuzberger Oranienplatz stattfinden. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Mohamad Hajjaj ist Mitglied der Berliner Expertenkommission zu antimuslimischem Rassismus (dpa / Jörg Carstensen)
Dem Berliner Oppositionsführer Burkard Dregger von der CDU ist die Wut über die rot-rot-grüne Regierung der Hauptstadt anzuhören:
"Also entweder sie haben Tomaten auf den Augen - oder sie sind an Naivität nicht zu überbieten. Wenn man eine Expertenkommission gründet, die sich mit beklagenswertem Rassismus oder Diskriminierung zu Lasten muslimischer MitbürgerInnen befassen soll, dann beruft man darin nicht Personen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen."
Dreggers Forderung: Die im Februar vom Senat eingesetzte Expertinnenkommission zu antimuslimischem Rassismus muss aufgelöst werden. Als Begründung nennt er Details aus Artikeln der Zeitung "Die Welt ". Vor allem Mohamad Hajjaj, Landesvorsitzender des Zentralrats der Muslime Berlin, soll demnach in Vereinen aktiv sein, die "vom Verfassungsschutz als islamistisch bewertet werden".
Sagen & Meinen - Rassismus auch Rassismus nennen
Auch im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Terroranschlag von Hanau haben viele Medien wieder von einem "fremdenfeindlichen" Hintergrund oder "ausländerfeindlichen" Motiven gesprochen. Doch diese Begriffe passen fast nie.

Kein Gespräch mit Hajjaj gesucht

Mohammad Hajjaj selbst bestreitet die Möglichkeit zufälliger Kontakte zu solchen Akteuren und Vereinen nicht, wohl aber eigenes Engagement oder gar feste Verbindungen in die islamistische Szene. Vor allem aber kritisiert er, dass der Autor des Welt-Artikels nie mit ihm gesprochen habe:
"Wenn man das getan hätte, wenn man inhaltlich auf meine Positionen zu sprechen gekommen wäre, dann würde man sehen, dass ich immer jemand gewesen bin, der praktisch auf Menschenrechte wertgelegt hat in meiner Arbeit, ich mich stets gegen Antisemitismus in all seinen Formen ausgesprochen habe, auch gegen Antizionismus ausgesprochen habe."
Hajjaj verweist auf seinen 2002 gegründeten Verein Inssan, der sich nach eigenen Angaben für "die Entwicklung eines deutschsprachigen Islam" einsetzt. Auch Inssan stand vor 14 Jahren vorübergehend als "muslimbrudernah" im Verfassungsschutzbericht. Zugleich werden seine Projekte seit Jahren vom Berliner Senat gefördert. Auch und gerade solche, für die Hajjaj sich in seiner Community rechtfertigen muss – etwa wenn es um die Integration homosexueller Muslime geht.
"Ich hab da trotzdem dafür gekämpft, dass diese Menschen Zugänge erhalten in die Gemeinde und dass die Art zu lieben und zu leben auch akzeptiert wird. Weil am Ende bin ich der Überzeugung, dass Gott der Richter ist und wir uns nicht in die privaten, individuellen Lebensweisen von Menschen einzumischen haben. Sondern jeder soll sein Leben so leben wie er es möchte."

Viele Personen stellen sich hinter Hajjaj

Mitglieder unterschiedlichster religiöser Gemeinden und Vereine, die in den vergangenen 15 Jahren mit Hajjaj gearbeitet haben, stellen sich im persönlichen Gespräch mit dem Deutschlandfunk an seine Seite. Auch Katerina Niewiedzial, Integrationsbeauftragte von Berlin, verteidigt ihn. Bei ihr ist das Islamforum angesiedelt, das Hajjaj im Februar einstimmig für die Kommission gegen antimuslimischen Rassismus ernannte.
"Ich weiß nur aus der praktischen Arbeit im Islamforum, dass Herr Hajjaj sehr engagiert ist. Er ist in diesem Thema sehr wohl bewandert, und ich konnte an keiner Stelle irgendeinen Anlass haben zu sagen, wir benennen Herrn Hajjaj nicht in diese Expertinnenkommission."
Naiv wirken solche Aussagen auf CDU-Politiker Burkard Dregger. Er verweist auf die Anhänger des sogenannten legalistischen Islamismus in Berlin.
"Das sind Personen, die sich an die derzeitigen Regeln halten, die also nicht etwa zu Gewalt neigen, die aber das Ziel verfolgen, unser Land und unser demokratisches System zu unterwandern."

Kontaktschuld alleine reicht nicht aus

Tatsächlich warnt der Verfassungsschutz seit einigen Jahren verstärkt vor genau solchen "Wölfen im Schafspelz". Allerdings dürften uneindeutige Begriffe wie legalistischer oder auch politischer Islam das politische Engagement von Muslimen nicht unter Generalverdacht stellen, meint etwa der Rechtswissenschaftler Mathias Rohe, Mitglied der noch jungen "Beobachtungsstelle Politischer Islam" in Österreich. Auch der Kulturwissenschaftler und Islamismusexperte Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt betont:
"Das zu unterstellen, ohne dass auch nur ein einziges Zitat oder eine einzige Handlung tatsächlich genannt wird, ist sozusagen Vorverurteilung."
Die in der Welt gebrachten Indizien, bezögen sich auf einzelne Kontakte und Verbindungen zu anderen, angeblich den Muslimbrüdern oder der Hamas nahestehenden Akteuren, so der Professor. Eigene verfassungswidrige Aussagen oder Handlungen Hajjajs fehlten. Diese so genannte Kontaktschuld allein reiche nicht aus, um jemanden als Islamisten zu beschuldigen, räumt auch ein Verfassungsschutzmitarbeiter ein, der anonym bleiben will.

Hajjaj behält das Amt

Einverstanden sein müsse man mit Mohamad Hajjaj oder den Positionen des Zentralrats der Muslime, für den er steht, nicht. Die Unschuldsvermutung aber müsse für alle gelten.
"Die Verurteilung der Kontaktschuld bedeutet nicht jemanden von der Kritik zu immunisieren. Aber einfach den Imperativ den anderen in seinen Positionen ernst zu nehmen, und wenn man gegen die Positionen ist, auch dagegen zu argumentieren, mit ihm zu streiten, sich auseinanderzusetzen."
Genau das aber würde verhindert, wenn politisch aktive Muslime durch Kontaktschuldvorwürfe vom gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden. Im Falle Mohamad Hajjajs scheint das vorerst nicht anzustehen. Nach einer vertraulichen Besprechung des Berliner Ausschuss für Verfassungsschutz mit Vertretern der Behörde vergangene Woche soll er sein Amt in der Kommission zu antimuslimischem Rassismus laut der zuständigen Senatsverwaltung behalten.