Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Mutterschaft im Hip-Hop
Zwischen Gucci-Strampler und Rotlichtmilieu

Mütter sollen liebevoll, einfühlsam und fürsorglich sein. Eigenschaften, die für Rapperinnen ungewöhnlich sind. Das Genre fordert Härte und Dominanz. Was verändert sich, wenn Hip-Hop-Akteurinnen Kinder bekommen? Einblicke in alternative Rollenbilder im Rap.

Von Helene Nikita Schreiner | 22.02.2020
Rapperin Cardi B mit Backgroundtänzeinnen während der 19th Verleihung der BET-Awards im Microsoft- Theater in Los Angeles
Die US-amerikanische Rapperin Cardi B hat jetzt einen Boss: Ihre Tochter Kulture (imago / UPI Photo / Jim Ruymen)
"Wie soll ich denn noch Hip-Hop machen, wenn ich so ein kleines, süßes Kind zu Hause habe?"
Das fragt die Schweizer Rapperin Loredana ihre Fans in einem Video auf Instagram. In dem Video sieht man ihre Tochter Hana in einer Babyschale sitzen. Loredana filmt Hana und kneift ihrer Tochter liebevoll in die Wangen.
"Nichts geht über das Lächeln meiner Tochter"
Loredana ist aktuell eine der erfolgreichsten Rapperinnen Deutschlands. Den Intro-Track ihres Debütalbums "King Lori" widmet die Schweizerin ihrer Tochter:
"Für mich zählt nur Familie und der Rest ist mir egal / Fahr durch die Gegend wie ein Rockstar / Doch nichts geht über das Lächeln meiner Tochter"
Als 2018 ihr Durchbruch kam, war Loredana bereits schwanger. Bis zur Geburt versteckte sie ihren Babybauch, denn viele haben ihr von einer Schwangerschaft abgeraten. Wegen der Karriere hat sie aber niemals daran gezweifelt, dass sie ein Kind bekommen möchte. Hana war geplant und ein absolutes Wunschkind. Außerdem macht ihr die Arbeit seit der Geburt ihrer Tochter noch mehr Spaß, sagte die Schweizerin in einem Interview.
"Meine Tochter ist die Prio"
Während eine Schwangerschaft für Frauen nicht selten einen Karriereknick bedeutet, läuft es bei Loredana gut. Sie verkauft Platten, verdient viel Geld und hat somit die nötigen Ressourcen, um sich rund um die Uhr Babysitter zu leisten, während sie selbst auf der Bühne oder im Studio steht.
"Keine Sorgen mehr ich hab meine Mio. Doch scheiß auf Geld meine Tochter ist die Prio. Hana, Mozzik, Lori – Rapstartrio."
Die Vereinbarkeit von Job und Familie ist besonders für Frauen immer wieder ein Thema. Während es bei Männern gesellschaftlich absolut akzeptiert ist, dass sie nach der Geburt eines Kindes wieder arbeiten gehen, wird von Frauen häufig erwartet, dass sie sich nun ausschließlich um ihre Babys kümmern, zu Hause bleiben und die Karriere hinten anstellen. Das weiß auch die Hamburger Rapperin Finna, die in dem Song "Mudder" über ihre Rolle als Mutter einer mittlerweile 6-jährigen Tochter rappt.
"Besonders, weil ich diesen Mudder-Track in meinem Live-Set habe und damit auch sichtbar und transparent mache, dass ich einer Mutter bin, fragen häufig Leute, wo mein Kind ist. Es wird auch nicht in Erwägung gezogen, dass ein Kind nicht immer bei der Mutter sein muss. Man kriegt oft negative Reaktionen, wie sich eine Frau verhalten soll, in Bezug auf ein Kind."
"Mama iz da"
Viel Kritik muss auch immer wieder die Rapperin Schwesta Ewa einstecken, nicht zuletzt, weil die Mutter eines einjährigen Kindes aktuell in in einer Strafanstalt sitzt - einen Platz im Mutter-Kind-Gefängnis hat sie nicht bekommen.
Wegen Körperverletzung, Steuerhinterziehung und sexueller Verführung Minderjähriger wurde die Rapperin zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Am 12. Januar trat Ewa ihre Haftstrafe an. Nur zwei Wochen später brachte sie ein neues Album raus - es trägt den Namen ihrer Tochter "Aaliyah".
Auch auf diesem Album widmet die Rapperin einen Song ihrem Kind. Das Video zu "Mama iz da" startet mit Handyvideos von Herzfrequenzmessgeräten während der Geburt, man sieht ein Krankenbett mit Babybett daneben, außerdem eine rappende Ewa mit Kind auf dem Arm, ein krabbelndes Baby im Gucci-Strampler und Mutter und Tochter beim Schmusen auf dem Bett. Ungewöhnliche Einblicke, denn die meisten Videos von Schwester Ewa, die früher als Prostituierte arbeitete, zeigen ungeschönte Einblicke ins Rotlichtmilieu: Frauen in Stripclubs, teure Autos, Waffen, Gewalt und umherfliegende Geldscheine.
Resozialisierung, das versprechen Gefängnisse. Wenn man den Lyrics von "Mama iz da" glauben darf, dann hat sich seit der Geburt ihrer Tochter bei Schwesta Ewa schon einiges verändert: PART Schwesta Ewa "Mama iz da"
"Ich wurd ein anderer Mensch seit der Trennung der Nabelschnur / Mama ist nicht perfekt / Mama hat so viele Fehler / Du hast meinen Körper entgiftet von Alk, Weed und Beyda"
"Beyda" ist ein arabisches Wort und steht in Rap-Texten für Kokain.
Wie sich das Leben der Rapperin nach der Haft ändern wird, bleibt abzuwarten. Ewa macht in ihrem Song aber klar: meine Tochter soll ein anderes Leben führen. Dass Aaliyah ihrer Mutter nicht nacheifert, dafür möchte Ewa höchstpersönlich sorgen:
"Sorge dafür, dass du niemals wirst wie ich / Nein nein / Niemals wirst wie ich / Nie ackern für Scheine / Kein rotes und kein blaues Licht"
Die Vereinbarkeit von Rapgeschäft und Mutterschaft
Dass sich das Leben einer Rapperin mit der Geburt eines Kindes ändert, überrascht nicht: Mutterängste, Hoffnungen für eine gesicherte Zukunft des eigenen Kindes, der Wunsch, alles richtig zu machen. Wahrscheinlich kann jede Mutter diese Gedanken nachvollziehen, egal welchen Job sie hat. Doch wie sind Rapgeschäft und Mutterschaft vereinbar? Welche Hürden man als Mutter im Rampenlicht zu nehmen hat, weiß die Rapperin Finna:
"Es hat ne andere Qualität, wenn man eine Person des öffentlichen Lebens ist. Dann wird man von Leuten beäugt, die mich gar nicht kennen. Ob man jetzt nun Rapperin ist, oder einen ‚normalen‘ Job hat – auch dann wird man verurteilt. Leute haben generell immer eine Meinung dazu, wie Erziehungspersonen sich zu verhalten haben und es ist schwierig sich davon freizumachen."
Dass eine Geburt auch die komplette Veränderung des musikalischen Outputs hervorrufen kann, demonstriert die Berliner Rapperin Sookee. Sozialkritisch, links, feministisch. Sookee orientierte sich nie an gängigen Rap-Klischees, sondern nannte ihre Musik selbstermächtigend "Zeckenrap".
Im Dezember 2019 reichte es Sookee dann aber trotzdem: In einem Statement verkündete sie über Facebook, dass sie ihre Karriere als Rapperin vorerst beendet. Grund für Sookee: Frust über die Verwertungsmechanismen der Hip-Hop-Industrie und über ihre Macho-Kollegen.
Musik macht sie aber weiterhin: als Sukini hat die Musikerin ein Album für Kinder herausgebracht.
"Meine Mamas haben kürzlich auch geheiratet / Gemeinsam freuen wir uns auf alles weitere / Meine Mamas sind cool / Meine Mamas sind lieb / Ich liebe meine Mamas weils für mich keine besseren gibt / Eines Tages will ich auch eine Mama sein / Dann sind die Mamas Omas von ihren Enkelein"
Alternativen zur klassischen Mama-Papa-Kind-Familie
Sound und Ansprechhaltung haben sich stark verändert. Ihren Themen bleibt die Rapperin aber treu: die Songs versuchen, Kindern Alternativen zur klassischen Mama-Papa-Kind-Familie aufzuzeigen, werfen Geschlechterzuschreibungen über den Haufen und beschäftigen sich - möglichst kinderfreundlich - mit Gleichberechtigung und Solidarität.
Mag sein, dass das neue Projekt eine willkommene Abwechslung zum Rap ist, da aber auch Sookee vor ein paar Jahren Mutter geworden ist, liegt die Vermutung nah, dass ihr Kind und ihre neue Rolle als Mutter viel Inspiration für das Kinderalbum geliefert haben. Ihr Kind hält Sookee allerdings aus der Öffentlichkeit heraus.
Ganz im Gegenteil zur US-Rapperin Cardi B, die anfangs zwar noch nicht das Gesicht ihrer Tochter Kulture zeigte, sich inzwischen aber dazu entschieden hat, ihr öffentliches Leben mit ihrer Tochter zu teilen - und so teilten sich Cardi B und Kulture bereits das Cover der Vogue.
Eines der härtesten Shootings die Cardi je hatte, schrieb sie später auf Instagram, denn die 1 1/2 -Jährige hatte mal so gar keine Lust auf Fotos. Dass Kulture von Geburt an den Takt vorgibt, merkte die Rapperin schnell. In einem Live-Video bei Instagram sagte sie:
"She is very demanding. I can’t believe I have a boss now. Like: I REALLY have a boss now. When my baby wanna eat - she wanna eat. It’s not like: wait three minutes. No!"
Cardi B hatte plötzlich einen Boss
Cardi B hatte plötzlich einen Boss. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und den Herausforderungen, die mit der Mutterschaft verbunden sind, respektiert die Rapperin Mütter heute noch viel mehr als bisher und sieht sie nun ganz anders und hat einen Wahnsinns-Respekt vor dem, was sie leisten:
"I just wanna say that I respect mothers more than ever now. I see moms differently. Especially the young ones. So young and they barely have experience, they barely have money. Wow - I don’t know how they could do it."
Im Hip-Hop geht es um das, was man hat, oder was man noch haben möchte. Dass dazu nicht nur Materielles gehört, zeigen diese Rapperinnen. In ihren Songs machen sie klar, dass sie sich zwar gerne mit Statussymbolen schmücken, sie aber nichts glücklicher macht als ihre Töchter.
Cardi B verstärkt dieses Motiv in ihrem Song "Money", in dem sie anfangs darüber rappt, dass ihr nichts auf der Welt wichtiger ist als Geld. Am Ende rückt an die Stelle des Wortes "Money" aber der Name ihrer Tochter, beziehungsweise die Buchstaben der drei Vornamen von Kulture Kiari Cephus: KKC.
"I was born a flex / Diamonds on my neck / I like boarding jets /I like morning sex / But nothing in this world, that I like more than Kulture / All I really wanna see is the money / I don’t really need the D I need the money / All a bad bitch needs is KKC"
Neue Perspektiven auf Weiblichkeit und Muttersein
Es ist eine einfache Rechnung: Wenn mehr Frauen Hip-Hop machen, gibt es auch immer mehr Mütter, die rappen.
Mit Müttern und Rapperinnen werden allerdings komplett andere Dinge verbunden. Mütter sollen hingebungsvoll, einfühlsam, aufopfernd und lieb sein – Eigenschaften, die im Rap ungewöhnlich sind. Raum für Dominanz, Selbstbewusstsein und für Fehler wird Müttern selten gegeben – diese Rapperinnen nehmen ihn sich trotzdem.
Dass sie, mit ihren Kindern, nun also neue Perspektiven auf Weiblichkeit und Muttersein schaffen - in denen Mütter empathisch und dominant sein dürfen - lässt darauf hoffen, dass zukünftig in nicht mehr ganz so vielen Rap-Texten Mütter beleidigt werden.