Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Mystiker am Lido

Bei Terrence Malick ist alles anders. Auch in seinem neuen Film, oberflächlich gesehen eine Liebesgeschichte. Wenige Regisseure sind so eigensinnig wie er. Das bringt ihm naturgemäß viel Feindschaft ein. Im Premierenpublikum war sie nicht zu überhören. Christoph Schmitz war dabei.

Von Christoph Schmitz | 03.09.2012
    Bei Terrence Malick ist alles anders. Auch in seinem neuen Film. Obwohl die Geschichte recht normal ist. Eine Liebesgeschichte. Wie sie tausendfach geschieht und erzählt wird. In Paris haben sich die junge Französin Marina und der junge Amerikaner Neil frisch verliebt, sie folgt ihm zusammen mit ihrer Tochter in die USA. Als ihr Visum abgelaufen ist und er sie nicht fragt, ob sie bleiben möchte, fährt sie wieder nach Frankreich.

    Von Paris ist sie enttäuscht, die Tochter zieht zu ihrem Vater, Marina kehrt allein zu Neil zurück, der inzwischen eine neue Freundin hat, diese aber wegen Marina verlässt. Sie heiraten, kirchlich, dann kommt der Streit, sie betrügt ihn, er sucht Rat bei einem Priester, Neil verzeiht ihr, sie sind versöhnt, dennoch geht sie fort. Er lässt sie einfach ziehen, ohne Kampf, ohne Vorwürfe. Er liebt sie und gibt sie frei. Dieses Ende ist nicht mehr ganz so normal.

    Wer ist dieser Neil, verhalten gespielt von Ben Affleck? Wer ist diese Marina? Terrence Malick geht ihnen nicht auf den Grund. Er ist kein Psychologe und kein Soziologe. Er leuchtet seine Figuren nicht aus. Er dekliniert nicht die Kausalitäten ihres Verhaltens durch. Er rückt seinen Geschichten nicht auf den Leib. Seine Bilder packen nicht zu, sie lassen das Geschehen, Gedanken und Gefühle nur aufscheinen. Das Morgenlicht, das Licht der aufgehenden Sonne, das die Konturen nicht scharf markiert, sondern abtastet, ist für Malick auch in seinem neuen Film bevorzugtes Stilmittel. Die Stimmen kommen meist aus dem Off, wie hörbar gemachte innere Stimmen. Die Laut- und Geräuschkulisse der sichtbaren Welt ist gedämpft. Dazu Musik, Klassisches, Wagner, Parsifal.
    Wenn Terrence Malick weder Psychologe noch Soziologe ist, so ist er mitunter ein Mythologe. Schön wie ein Renaissanceengel ist Marina. Olga Kurylenko verleiht ihr eine himmlische Leichtigkeit, einen Liebreiz, den Malick in immer neuen Bildern feiert. Dann eine Freundin Marinas, dunkel, hart, aggressiv vital. Sie ermuntert Marina, sich von allen Fesseln zu lösen, unabhängig zu sein, bringt das Wort Hexe ins Spiel. Ringen mit und in Marina dunkle und helle Mächte? Jedenfalls leidet sie darunter, dass das Glück nie endlos ist, in der Fülle schon der Verlust steckt. Für einen Mythologen wiederum ist Terrence Malick zu vorsichtig, zu sanft und vor allem zu realistisch. Blumen, Bäume und Gras, Pferde und Büffel in weiten Hügellandschaften, die Fische im Meer, die wippende nasse Sanddecke bei Ebbe am Mont Saint-Michel – das Leben auf diesem Planeten, den Planeten selbst verliert Malick nie aus dem Blick. Verwundert muss er immer wieder auf den regennassen Zweig schauen, der Kreatur ins Gesicht. Verwundert und wegen all des Wundersamen, vom Glück geradezu trunken bewegen sich Marina, ihre Tochter und Neil nie einfach so durch einen Park, über eine Straße, ein Feld. Sie laufen, springen, tollen. Ein unablässiger Tanz.

    Wenn Terrence Malick schwer zu fassen ist, so ist er doch vor allem ein Mystiker. Nicht nur der einzige unter den Regisseuren in diesen Tagen am Lido, sondern unter den Regisseuren von heute überhaupt. Als Mystiker sucht er aber nicht nur das Licht hinter dem Licht, sondern landet er auch regelmäßig in der Finsternis. Wie sein Priester, gespielt von Javier Bardem, der zweifelt und verzweifelt, aber nicht aufgibt und die Sterbenden, Gefangnen, Geschundenen und Kaputten im runtergekommenen Vorort besucht und Neil und Marina in der Krise zuhört. In der Finsternis klingen die Klagen der Psalmen an, im Glück auch. Malick schöpft aus der Bibel. Der Zuspruch des Priesters ist es, der Neil in die Lage versetzt, Marina zu verzeihen und sie gehen zu lassen.

    Bei Terrence Malick ist alles anders. Wenige sind so eigensinnig wie er. Das bringt ihm naturgemäß viel Feindschaft ein. Im Premierenpublikum war sie nicht zu überhören. Erschienen war Malick zur Pressekonferenz nicht. Es wäre ein Wunder gewesen. Plakate waren an den Marmorwänden des alten Filmpalastes zu sehen. Ein Foto des Regisseurs. Darunter der Schriftzug: Wer hat diesen Mann gesehen?