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Mythenschreddermaschine

Der Regisseur und Autor Armin Petras hat sich der Aktualisierung antiker Stücke angenommen und dabei schon serienweise Mythen postmodern verhackstückt und wieder zusammengesetzt. Am Theater Basel ist seine Herakles-Trilogie zu sehen.

Von Cornelie Ueding | 16.04.2010
    Am Anfang dieser Herakles-Trilogie wird der heimkehrende Herakles viehisch umgebracht. Im zweiten Teil tanzt er dafür im tulpendekorierten Tanga und rülpst lautstark zwischen Kühlschrank, Bierdosen und Anmache einer Kellnerin; im dritten ist er dann doch wieder mausetot, und seine vielen Kinder werden lautstark als Stimmvieh in den mörderischen Machtspielen andrer benutzt.

    Der Regisseur und Autor Armin Petras hat sich der Aktualisierung antiker Stücke angenommen und dabei schon serienweise Mythen postmodern verhackstückt und wieder zusammengesetzt, wie das seit Heiner Müller in Mode gekommen ist - wir sehen also so was wie Sophokles und Euripides nach Petras. Teil eins, Herakles Tod, ist bis zur Unkenntlichkeit gestutzt, was aber nichts macht, denn die Krimisehern vertrauten Verdächtigen sind ja da: wartende - gleich betrogene - Ehefrau, geschwängerte Geliebte, wütender Sohn.

    Und man sieht auch gleich who done it - nämlich alle drei zusammen: Die Gattin sorgt fürs vergiftete Hemd, der Sohn brüllt und tritt zu und die Geliebte erdrosselt kurz entschlossen den Weiber-Helden, der röchelnd und blutend, Haut und Hemd Horrorfilm-würdig zerfressen, am Boden liegt. Wen kümmert es da noch, dass die Dialoge zum Phrasenaustausch verkümmert sind. Zumal Videoeinblendungen in Nahaufnahme rätselhaft und eklig-schön bebildern, was der Abwesende so treibt.

    Ähnlich sprachlos geht es - Teil zwei - in Alkestis Ehe zu. Sie geht für ihren Mann Admet in den Tod und ist schon lange vorher erstarrt. Die blinde Tochter, die lustig überall hin fotografiert, spürt Stimmungsnuancen und Zwischentöne, die unter Peter Kastenmüllers Regie leider gar nicht mitgespielt werden. Das erspart dem Publikum das Wechselbad der Gefühle, nicht aber die schleichende Langeweile. Denn die durch Radikalkürzungen im ersten Teil gewonnene Zeit wird beherzt dem zweiten zugeschlagen, der statt in Rampennaher Kiste nun auch auf richtig großer Drehbühne gespielt wird. Von der Terrasse bis ins Dachgeschoss haben wir Einblick in das quirlige Mehrgenerationenhaus. Es ist immer viel los rund um das ersterbende Ehepaar. Dazu kommt der lebensgierige Opa im Freizeit-Look, der partout nicht für seinen Sohn sterben will, eher "Klimbim" als Mythos.

    Was das alles mit Herakles zu tun hat? Na der holt doch, Held der er ist, die arme Alkestis zurück ins Leben in der Eheöde. Hauptsache Frau, denkt sich Admet, wenn er überhaupt was denkt, und schaut gar nicht erst unter dem Schleier nach, wen der Gastfreund ihm da angeschleppt hat. Und so wird die verschleierte Wiederbelebte Augenzeugin seines Treuebruchs, denn das zumindest hatte sie als Gegengabe für ihr Opfer verlangt: Er sollte nie wieder eine andere nehmen.

    Der dritte Teil ist bis zum Manipulativen chronisch juvenil. Zielgruppe: junges Publikum. Sollte er kritisch gemeint sein, geht das in Dauer-E-Gitarren-Beschallung und Gebrüll unter. 30 Jugendliche mit bemalten Gesichtern toben durch den Zuschauerraum, werfen Feindbilder, Fahndungsfoto in den Saal, rotten sich auf dem mittendurch gehenden Steg oder vor der Bühne zusammen, werden auf Linie gebracht oder zu Sprechchören gebraucht. Dass sie Flüchtlingskinder sind, zeigt unterdessen ein Video, in dem sie sich, aus dem Schlaf gerissen, eilig anziehen und weg müssen. Dass sie besser hinhören und genau aufpassen sollten, wo sie da hineingeraten, hineingezogen worden sind, ist vielleicht der Wunsch mancher Zuschauer.

    Aber wenn es denn eine Linie in diesem dreistündigen Dreistücke-Suchbild Herakles' gibt, dann die, dass kritisches Nachdenken nicht gefragt ist. Schließlich gehen die Kids nach dem Ende der Kämpfe friedlich ab und schütteln allen nett die Hand. In den durch die Mythenschreddermaschine gejagten Materialien nach einem Sinnzusammenhang zu suchen, ist wenig Erfolg versprechend.

    Jedes reizvolle Umspielen der Bezugstexte hätte deren Wiedererkennbarkeit zur Voraussetzung. Die Figuren aber bleiben in dem Baseler Aktionsgetümmel so farblos wie ihre Probleme, und Sprachregie ist Fehlanzeige: was nicht gebrüllt wird, wird aufgesagt. Wäre Intensität in Dezibel messbar, diese Trilogie des Nicht-Wiedererkennens wäre einer der intensivsten Theaterabende überhaupt.