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NABU spricht sich für Renaturierungsprogramm von Flüssen aus

Wenn die Wasserwirtschaft zentral organisiert wäre, könnten viele Probleme einfacher geregelt werden, sagt Rocco Buchta vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Da die Bundesländer unterschiedlich finanzstark seien, müsse für den Hochwasserschutz auch Geld vom Bund bereitgestellt werden, ergänzt er.

Rocco Buchta im Gespräch mit Britta Fecke | 25.07.2013
    Britta Fecke: Die Pegelstände sind gesunken nach dieser Jahrhundertflut. Es war schon die zweite Jahrhundertflut in eben diesem Jahrhundert und es wird wahrscheinlich nicht die Letzte bleiben, denn die Extremwetter-Ereignisse nehmen zu im Zuge des Klimawandels. Auch die Flüsse sind an vielen Stellen begradigt, eingedeicht oder vertieft. Was früher Aue war, ist heute ein Maisacker, früher standen Weiden unter Wasser, heute sind es Keller. Die Deiche höher zu ziehen, kann nicht die Lösung sein, und wenn, dann nur im städtischen Bereich. Deshalb fordern Umweltschützer schon lange die Renaturierung von Auen und Flüssen, damit das Wasser wieder auf großen Flächen versickern kann. Mehr Platz für die Flüsse ist auch die Forderung des Naturschutzbund Deutschland, kurz NABU. Heute Vormittag werben die Umweltschützer für ein blaues Band im Berliner Regierungsviertel.
    Ich bin jetzt verbunden mit Rocco Buchta, er ist Leiter beim NABU für Fluss- und Auenökologie. Herr Buchta, welche Flüsse sind es denn, die stark eingezwängt sprich eingedeicht sind in Deutschland?

    Rocco Buchta: Zunächst muss man sagen, in Deutschland gibt es keinen Quadratmeter, der nicht an ein Entwässerungssystem angeschlossen ist, und die Auen insgesamt haben heute noch etwa ein Drittel ihrer ursprünglichen Größe. Am schlimmsten ist es bei den Flüssen, die uns aus den Nachrichten der letzten Jahre immer wieder bekannt sind: Elbe, Donau, Rhein. Hier sind nur noch etwa zehn bis 20 Prozent der ursprünglichen Flussauen vorhanden.

    Fecke: Sind die ehemaligen Auwälder und Wiesen zu Siedlungen geworden, oder zur landwirtschaftlichen Fläche umgewidmet worden?

    Buchta: Das kommt je nach Lage an. In den Gebirgen ist es ja üblich, dass Siedlungsstrukturen sich in diesen Flusstälern entwickeln konnten und nur dort entwickeln konnten. Aber in der Ebene, im Flachland, da ist es so, dass man sagen kann, 80 bis 90 Prozent der ausgedeichten Flächen sind heute landwirtschaftlich intensives Kulturland.

    Fecke: Schon nach der letzten Flut wurde ja nicht genug in Renaturierungsmaßnahmen investiert. Was macht Sie denn glauben, dass es jetzt nach dieser Flut besser wird?

    Buchta: Sehen Sie, ich wohne ja im Bereich, wo die untere Havel in die Elbe fließt. Hier war ja auch die spektakuläre Flutung der Havel-Polder, die 2002 und 2013 bei dem Elbe-Hochwasser der Elbe etwas Druck nahmen. Bis zu 40 Zentimeter sind die Pegel gesunken, weil diese Flächen der unteren Havel-Niederung das Wasser abnehmen konnten. Und es war schlicht so, dass sich hier in dieser Region niemand Sorgen machen musste, egal was passiert. Denn diese riesigen Flächen, die wir noch haben, sind schlicht die Lebensversicherung. Wir sind davon überzeugt, dass sich diese Erkenntnis bald bundesweit durchsetzen wird. Denn wenn, egal welche Rekordpegel gemeldet werden, in der unteren Havel-Niederung man immer beruhigt sagen kann, uns kann nichts passieren, wir haben unsere Flächen und wir sogar noch was abnehmen können, wenn die Elbe Hochwasser führt, dann sollte das doch bundesweit ein einzigartiges Beispiel bringen.

    Fecke: Das heißt, die Länder müssten auch besser zusammenarbeiten?

    Buchta: Das ist ein anderer Punkt. Wenn eine Wasserwirtschaft zentral organisiert wäre, also wenn der Bund dafür zuständig wäre, dann wäre vieles einfacher, vor allen Dingen die Konflikte. Der Oberlieger muss ja Wasser zurückhalten, um den Unterlieger zu entlasten. Das sind in Deutschland oftmals unterschiedliche Bundesländer und daraus entwickeln sich auch unterschiedliche Interessenlagen. Wenn das alles in einer Hand wäre, der Hochwasserschutz also Bundesangelegenheit oder zumindest eine ganz klare länderübergreifende enge Zusammenarbeit liefe, dann würden die Dinge anders aussehen.

    Fecke: Sie haben ja gerade schon gesagt, dass ein Großteil der ehemaligen Auwälder und Wiesenflächen landwirtschaftlich genutzt wird. Wie stellen Sie sich vor, wie wird dort die Fläche umgewidmet beziehungsweise wie kann dort der jeweilige Landwirt entschädigt werden?

    Buchta: Die Sache ist so einfach, dass eigentlich jeder darauf kommen könnte. Wenn ein Landwirt in einer Flussaue wirtschaftet – und ich muss wieder die untere Havel zitieren; hier haben wir ja noch sehr große Gebiete, die Überschwemmungsland sind, das ist das größte Binnenfeuchtgebiet im westlichen Mitteleuropa -, dann ist es so: Die Wertschöpfung eines Landwirts aus diesen Flächen ist sehr gering.

    Ein Acker zum Beispiel mit Mais oder Weizen bringt die doppelte Wertschöpfung. Und wenn jetzt davon gesprochen wird, dass Teile der mittlerweile in intensive Landwirtschaftsflächen umgewandelte Agrarstruktur wieder Überflutungsgebiet werden sollen, dann sagt jeder Bauer, es halbiert sich letztendlich das, was übrig bleibt bei mir, beziehungsweise es bleibt ja nichts mehr übrig, ich muss Konkurs anmelden. Wenn man dieses Dilemma lösen will, dann müssen die Bauern mit ins Boot.

    Das heißt, man muss ihnen eine klare Perspektive geben, sie müssen ihre Schulden abzahlen können aus den bisherigen Investitionen, sie müssen auch Geld haben für eine Umorientierung, und dann muss garantiert werden, dass es ihnen hinterher bei der halben Wertschöpfung nicht schlechter geht als jetzt. Dann ist mit Sicherheit auch seitens der Landwirtschaft gar kein großes Hindernis mehr zu sehen.

    Fecke: Herr Buchta, mit Bitte um eine kurze Antwort: Woher soll das Geld kommen?

    Buchta: Das Geld kann nur vom Bund kommen. Es gibt Länder, die sind reich, die haben aber wenig Fläche zur Verfügung. Es gibt Bundesländer, die sind arm, so wie Brandenburg oder Sachsen-Anhalt, die haben aber Flächen. Und wenn es nicht ein Bundesprogramm gibt für die Renaturierung von Flüssen und Auen, mit einer entsprechend großzügigen Ausstattung, zehn Prozent des Schadenspotenzials etwa – das ist dann schon eine Milliarde -, dann werden auch die armen Bundesländer, die die Fläche haben, nichts tun können.

    Fecke: Vielen Dank für diese Einschätzungen - Rocco Buchta war das vom NABU.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.