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"Nabucco ist ein Beitrag zur Versorgungssicherheit"

Der Direktor des Pipeline-Projekts Nabucco, Reinhard Mitschek, hält eine "volle Unabhängigkeit" von russischem Gas für derzeit nicht erreichbar. Europa importiere 150 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland. Nabucco werde im Endausbau 31 Milliarden Kubikmeter Gas zunächst aus Aserbaidschan liefern und werde somit für eine größere Gas-Bezugsvielfalt sorgen, so Mitschek.

Reinhard Mitschek im Gespräch mit Jochen Spengler |
    "Russland hat die Gaslieferungen nach Westeuropa nach Angaben aus Kiew wie angekündigt weiter gedrosselt."

    "Der russische Energiekonzern Gazprom will seine Gaslieferungen nach Europa morgen Vormittag wieder aufnehmen."

    " ... führt jetzt auch zu deutlichen Lieferausfällen in der Europäischen Union."

    "Nach sechstägiger Unterbrechung liefert der russische Energiekonzern Gazprom wieder Erdgas durch ukrainische Transitleitungen."

    " ... sind offenbar doch nicht wieder angelaufen."

    "Damit könne es in Kürze zu Engpässen bei der Weiterleitung kommen."

    Jochen Spengler: Nein, nein, nein. Das Hin und Her der letzten Tage ist noch nicht vorbei. Europa blickt immer noch in die Röhre. Das Gas aus Russland schafft es nicht durch die Ukraine. Ein Krisengipfel am Wochenende soll wieder Bewegung in die festgefahrenen Fronten bringen. Derweil sinnt Europa auf Alternativen. Gestern erklärte der EU-Ratsvorsitzende Topolanek vor dem Europaparlament, dass die Sicherung der Energieversorgung Europas Priorität bleibe, und vorrangig wolle man den Bau der Nabucco-Gaspipeline fördern. Sie soll für Europa neue Gasquellen erschließen, im mittleren Osten und im kaspischen Meer. Die Röhre soll an Russland und der Ukraine vorbei von der Türkei aus über 3300 Kilometer nach Mitteleuropa führen. Am Telefon in Wien ist der geschäftsführende Direktor des Internationalen Nabucco-Pipelinekonsortiums, dem auch der Energiekonzern RWE angehört, Reinhard Mitschek. Guten Morgen, Herr Mitschek.

    Reinhard Mitschek: Schönen guten Morgen!

    Spengler: Herr Mitschek, wie sehr würde Nabucco unsere europäische Abhängigkeit vom russischen Erdgas verringern?

    Mitschek: Nabucco wird im Endausbau 31 Milliarden Kubikmeter Gas liefern. Derzeit werden in Europa zirka 500 Milliarden Kubikmeter pro Jahr verbraucht. Das heißt, knapp acht Prozent des europäischen Gasverbrauches werden durch Nabucco abgedeckt.

    Spengler: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, oder?

    Mitschek: Das ist ein Beitrag zur Diversifikation. Es gibt schließlich eine ganze Reihe von Pipeline-Projekten und LNG-Projekten und in der Summe der Projekte wird eine ansehnliche Diversifikation erreicht werden.

    Spengler: Aber eine Unabhängigkeit vom russischen Gas ist nicht möglich für Europa?

    Mitschek: Europa importiert derzeit 150 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland und wir können eine Bezugsvielfalt erreichen, wir können keine volle Unabhängigkeit erreichen.

    Spengler: Versteht sich Nabucco eigentlich als Konkurrenz für Russland, oder als Ergänzung?

    Mitschek: Nabucco ist eine Ergänzung. Nabucco ist ein Beitrag zur Versorgungssicherheit und zur Bezugs- und Transportvielfalt.

    Spengler: Dennoch gibt es auf Seiten Russlands Argwohn. Den spüren Sie auch, oder?

    Mitschek: Den spüren wir derzeit nicht. Wir haben an sich keinerlei negative Reaktionen von der russischen Seite. Wir hören immer wieder das, was auch wir zu Nabucco sagen. Wir hören auch immer wieder von der russischen Seite, dass mehrere Projekte notwendig sein werden, um den zusätzlichen Gasimportbedarf für Europa abdecken zu können.

    Spengler: Hat denn Russland nicht die Pipeline "South Stream", also im Süden Europas, extra nur deswegen gebaut, um Nabucco Konkurrenz zu machen, um Nabucco vielleicht von Vornherein gar nicht Wirklichkeit werden zu lassen?

    Mitschek: Die Strategie von Gazprom dahinter kennen wir nicht. "South Stream" ist darüber hinaus auch noch nicht gebaut. Es gibt auch noch keine Machbarkeitsstudie zu "South Stream". Wir kennen die Machbarkeitsstudie und die Entwicklungsstadien von Nabucco, und die stimmen uns zuversichtlich.

    Spengler: Nun ging das Projekt Nabucco bislang eher stockend voran. Nun soll es in der EU höchste Priorität genießen. Das wird Sie sicher freuen. Aber glauben Sie das auch?

    Mitschek: Natürlich! Wir genießen hohe Priorität, und das nicht nur jetzt, sondern auch schon in der Vergangenheit. Nabucco ist ein sehr komplexes Projekt. Fünf Länder wollen wir durchqueren. Eine völlig neue Transportroute, völlig neue Bezugsquellen. Das dauert seine Zeit, um hier entsprechende Verhandlungen durchzuführen und Vereinbarungen zu treffen.

    Spengler: Was erwarten Sie von dem Nabucco-Gipfel am 26. Januar, in eineinhalb Wochen?

    Mitschek: Wir erwarten uns große politische Unterstützung. Es werden die Regierungsvertreter der Nabucco-Länder kommen, es werden die politischen Vertreter Deutschlands dort sein, es wird die Kommission anwesend sein, es werden Bankenvertreter von der Europäischen Investitionsbank dort sein, und solche Veranstaltungen wie dieser Nabucco-Gipfel in Budapest können dem Projekt nur förderlich sein.

    Spengler: Könnte die Unterstützung durch Deutschland größer sein als sie ist?

    Mitschek: Die Unterstützung von Deutschland ist sehr gut. Wir fühlen uns da sehr gut aufgehoben. RWE ist ein kompetenter Partner und auch die politischen Vertreter Deutschlands tun ihr Übriges, um das Projekt voranzubringen.

    Spengler: Diplomatisch wie Sie sind müssen Sie das ja auch so sagen. Aber haben Sie nicht auch den Eindruck, dass in Deutschland mehr auf die Ostsee-Pipeline gesetzt wird?

    Mitschek: Na ja, in Deutschland wird genauso wie in vielen anderen Ländern auf seine Transportroutenvielfalt und auf eine Bezugsvielfalt geachtet. Das ist ja eine verantwortungsvolle Energiepolitik, weil je mehr Gasquellen und je mehr Transportrouten für ein Land verfügbar sind, umso robuster ist in Krisensituationen der Bezug.

    Spengler: Wann wird Baubeginn sein?

    Mitschek: Den Baubeginn erwarten wir für das Jahr 2010. Wir werden die Investitionsentscheidung heuer treffen und beginnen dann im nächsten Jahr mit dem Bau.

    Spengler: Und wann wird dann das Gas fließen?

    Mitschek: Erstes Gas für Europa wird 2013 zu erwarten sein.

    Spengler: Ursprünglich sollte ja schon 2011 Gas geliefert werden. Das waren die ursprünglichen Planungen. Wenn die Unterstützung so groß ist, woran hat es gelegen, dass man nicht 2011 halten kann, sondern 2013 ins Auge fasst?

    Mitschek: Wie bereits erwähnt: Das Projekt ist sehr komplex. Wir haben eine Machbarkeitsstudie durchgeführt; die hat eineinhalb Jahre gedauert. Die ersten Gasmengen werden aus Aserbaidschan kommen, im Speziellen aus dem Schacht in Isfeld in Aserbaidschan, und dort wird 2013 die erste Produktion stattfinden. Sinnvollerweise werden wir unsere Zeitpläne für diese Riesen Projekte abstimmen.

    Spengler: Reicht Gas aus Aserbaidschan, oder muss man noch andere Gasfelder erschließen?

    Mitschek: Man wird noch andere Gasfelder erschließen müssen. Das ist aber ein sehr positiver Aspekt, den Nabucco mitbringt, weil wir mehrere Quellen aus Zentralasien und aus dem mittleren Osten anschließen können und damit auch eine Risikominimierung durchführen können.

    Spengler: Ist es denn risikoarm, zum Beispiel von Lieferungen aus dem Iran abzuhängen?

    Mitschek: Wir hängen nicht von einer einzelnen Gasquelle ab, weil wir mehrere Quellen anbinden können, denn Zentralasien und der mittlere Osten ist die gasreichste Region der Welt. Dort gibt es riesige Vorkommen, wesentlich größer als in allen anderen Weltregionen. Das ist der große Vorteil für Nabucco.

    Spengler: Ist das derzeit politisch durchsetzbar?

    Mitschek: Natürlich! Die Staaten in Zentralasien und im mittleren Osten sind ebenso an Vielfalt interessiert. Die europäischen Gaseinkäufer wollen aus vielen Quellen beziehen und die Produzenten in den Ländern wollen in viele Länder exportieren. Das erhöht den wirtschaftlichen Wert ihrer Ressourcen.

    Spengler: Herr Mitschek, acht Milliarden Euro, so viel kostet das Projekt Nabucco-Pipeline. Ist die Finanzierung gesichert?

    Mitschek: Jawohl! Das kann ich mit Fug und Recht behaupten. Die Finanzierung ist eine Angelegenheit, die das Projekt nicht bremsen wird.

    Spengler: Danke schön! - Das war der geschäftsführende Direktor des Internationalen Nabucco-Pipelinekonsortiums Reinhard Mitschek. Danke schön, Herr Mitschek.